30 Jahre Rolling Stone

"A rolling stone gathers no moss hieß es im Muddy Waters-Song, der den Rolling Stones, aber auch dem Rolling Stone seinen Namen gab. 30 Jahre sind vergangen, und von Moos keine Spur. Die deutsche Ausgabe, mit drei Jahren gerade mal dem publizistischen Laufstall entwachsen, zieht vor Big Brother respektvoll den Hut.

Der Legenden gibt es viele. Wie etwa die, daß Eric Clapton buchstäblich in Ohnmacht gefallen sei, als er 1968 im einem Plattenreview des Rolling Stone las, daß er ein „master of blues diches“ sei, virtuos nur im Sterilen von anderer Leute Ideen. Clapton, der ansonsten schon mal gerne auf den Namen „God“ hörte, erwachte aus seiner tiefen Ohnmacht – und löste Cream desillusioniert auf. Johnny Winter andererseit, den jenseits von Texas keine Menschenseele kannte, zog das große Los, als ihn der ROLLING STONE als ein unentdecktes Genie feierte: Columbia Records überschlug sich geradezu, ihm mit 600 000 Dollar den höchstdotierten Vertrag der noch jungen Pop-Geschichte zu unterbreiten.

„Rolling Stone? Alles Arschlöcher“ wiederum befand Janisjoplin. „Die haben keine Ahnung, was abgeht. Diese Schlaumeier meinen doch tatsächlich, ihr San Francisco sei der Nabel der Welt.“ Es sollte nicht ihr letztes Wort gewesen sein:

Nur wenige Tage, nachdem ihr der Rolldsg Stone nahegelegt hatte, sich von ihrer offenkundig unprofessionellen Begleit-Band „Big Brother and the Holding Company“ zu trennen, tat sie – genau das.

Selbst die großen Rolling Stones kuschten, wenn der freche Namensvetter Rüffel verteilte. Kritiker Jon Landau, der spätere Bruce Springsteen-Manager, rammte „Their Satanic Majesties Requests“ unangespitzt in den Boden, ja äußerte sogar die Befürchtung, daß sich die Stones von dem Fehltritt womöglich nie erholen würden. Woraufhin Charlie Watts einen artigen Leserbrief aufsetzte, sich entschuldigte und hoch und heilig versprach, man werde sich beim nächsten Mal entschieden mehr Mühe geben.

Von dem 21jährigen Jann S. Wenner (mit einem Startkapital von 7 500 Dollar) im Jahre 1967 gegründet, besaß das amateurhaft produzierte Magazin aus San Francisco fast aus dem Stand heraus ein Machtmonopol, wie es in der heutigen Medienlandschaft nicht mal ansatzweise vorstellbar ist. Macht und Freiheit, selbst Narrenfreiheit Nichts illustriert das subkulturelle Selbstverständnis besser als die „Masked Marauders“-Episode: Der Rolling STONE-Redakteur Greil Marcus hatte sich angesichts der inflationären „Super-Groups“ und „Super-Sessions“ laut gefragt, wie denn wohl eine wirkliche Super-Group aussehen würde. Dylan, Lennon, Jagger und McCartney müßten mindestens dabei sein, und produziert werden solle das Jahrhundertwerk am besten von AI Kooper.

Gesagt, getan. „Als das Gerücht zu kursieren begann“, las man in der Ausgabe vom 18. Oktober ’69, „schien es zuerst ein Produkt krankhafter Phantasie zu sein.-“ Doch die Fiktion, so erfuhr der verduzte Leser, sei von der Realität tatsächlich eingeholt worden. Unter strengster Geheimhaltung sei das Meisterwerk „in einem abgelegenen kanadischen Kaff nahe der Hudson Bay“ entstanden, und man könne schon so viel verraten, daß McCartney einen Titel namens „Mammy“ singe, Dylan sich offensichtlich „am frühen Donovan“ orientiere und Jagger mit dem hundertprozentigen Hit „I Can’t Get No Nookie“ vertreten sei.

Als die Ausgabe auf dem Markt war, stand im ROLLING STONE-Office in der Brennan Street das Telefon nicht mehr still. Dylan-Manager Albert Grossman wollte wissen, wie weit das Projekt denn gediehen sei; er habe seit Monaten keinen Kontakt mehr zu seinem Klienten gehabt und müsse das angesichts der Tragweite dieses Ereignisses nun schleunigst nachholen. Allen Klein, damals als Manager für die Beatles und Stones tätig, zeigte sich vom Undercover-Coup ebenfalls überrascht, konnte sich aber nichtsdestotrotz die potentiellen Umsätze bereits plastisch vorstellen. AI Kooper seinerseits, auf die Studioarbeit mit den Pop-Göttern befragt, spielte das Spiel mit, berief sich auf seine Schweigepflicht – und heizte die Spekulation nur noch weiter an.

Von der Reaktion auf ihren Lausbubenstreich hellauf begeistert, hatten die Rolling STONE-Redakteure nun endgültig Blut geleckt. Mit ein paar Freunden ging man ins Studio, dilettantierte auf einem Titel namens ,4 Can’t Get No Nookie“ und sorgte dafür, daß das Opus Magnum auch in der lokalen Radiostation über den Äther ging. Und lag, von Lachkrämpfen geschüttelt, auf dem Büroboden, als sich umgehend ein aufgeregter A&R-Manager von Motown Records meldete und 100 000 Dollar für die Bandübernahme bot™ Alles, wirklich alles schien möglich zu sein. Für die amerikanische Gegenkultur, die sich just zu diesem Zeitpunkt formierte, für Blumenkinder und Vietnam-Gegner, Acid-Heads und Sozialrevolutionäre erwies sich der ROLLING STONE als das – und das einzige – Sprachrohr.

Keine andere Zeitschrift der Welt wäre wohl auch auf die Idee gekommen, ihren Abonnenten roachclips für den Joint zu schenken.

Es lag sicher nicht daran, daß die Auflage innerhalb von zwei Jahren von 6 000 auf 100 000 stieg, daß aus dem idealistischen Fanzine von der Westcoast eine kulturelle Institution wurde, die weltweit als „Bibel der Rockmusik“ respektiert wurde. Mick Jagger, der Kritikerschelte zum Trotz, machte sogar 40 000 Dollar locker, um eine englische Ausgabe aus der Taufe zu heben. (Leider eine Fehlinvestition, wie sich herausstellen sollte, da die britischen Redakteure so exzessiv dem „Alternativen“ frönten, daß sie darüber das Zeitungsmachen völlig vergaßen.) Doch auch dem US-Mutterblatt blies der Wind ins Gesicht. Die überlebenswichtigen Anzeigen wurden immer noch nur von der Musikindustrie gebucht, und als man sich auch noch an einer unzeitigen Expansion in andere Medien verhob, waren die Kassen mehr als einmal leer.

Auch wenn Dr. Hook 1972 das „Cover Of The Rolling Stone“ als den ultimativen Traum eines jeden Musikers besangen (und dafür postwendend mit einer Titelgeschichte gewürdigt wurden), befand Wenner, daß die Zeit reif war für eine redaktionelle Häutung. „Ob wir’s wahrhaben wollen oder nicht“, schrieb er in einem Editorial, „wir sind an einem Punkt der gesellschaftlichen Entwicklung angekommen, an dem Politik unser Leben prägt und an dem wir uns als Zeitung einmischen sollten.“

Die apolitischen Hippie-Ideale wurden zu Grabe getragen, gesellschaftspolitische Themen in den Vordergrund geschoben, Atommüll-Skandale (später als „Silkwood“ verfilmt) aufgedeckt, Interviews mit liberalen Präsidentschaftskandidaten wie McGovern (und später Bill Clinton) geführt Es war die große Stunde des Hunter S. Thompson, der mit seinen psychotischen Wortkaskaden selbst staubtrockene Themen in einem journalistischen Feuerwerk zelebrierte – und nicht zu Unrecht als Erfinder des „Gonzo-Journalismus“ in die Geschichte eingehen sollte.

So wie er zu Anfang der von den bürgerlichen Medien ignorierten Jugendbewegung eine Plattform zur Verfügung gestellt hatte, so verstand sich der ROLLING STONE nun als Sprachrohr einer erwachsen gewordenen Alternativ-Kultur. Marion Brando, den Medien notorisch abgeneigt, machte für den ROLLING STONE eine Ausnahme, Woody Allen und Truman Capote schmückten das Cover – ebenso wie giftige Karikaturen von Richard Nixon, der als bevorzugter Prügelknabe gleich mehrfach herhalten mußte. (Was die Zeitung einmal mehr an den Rand des Ruins brachte: Lange hing das Damoklesschwert einer 100 Millionen-Schadensersatzklage über Wenner, weil in einem Artikel finstere Machenschaften zwischen Nixon, Howard Hughes, der CIA und der Mafia angedeutet worden waren.) Viel Feind, viel Ehr. Das Standing der Zeitung wuchs, und mit ihr die redaktionelle Qualität Hatte früher eine Annie Leibovitz noch im Alleingang die Optik geprägt, so war der Rolling Stone nun die erste Adresse für Star-Fotografen und Journalisten. Da aber das verschlafene San Francisco nicht gerade Zentrum journalistischer Erneuerung war, befand Wenner, daß die Zeit für die nächste Metamorphose gekommen sei.

Der Umzug nach New York – zu allem Überfluß in die nobel-neureiche Fifth Avenue, dem Dorado des Yuppie-Kapitalismus – war 1977 ein Einschnitt, wie er symbolträchtiger nicht hätte sein können. Der Chor der ,Judas“-Rufer schwoll an zum Orkan, die Häscher waren sich einig in ihrem Verdikt: Der RoLUNG STONE, die Bastion der alternativen Utopie einer Gegenkultur, hatte sein wahres Gesicht gezeigt und sich mit den Mächten des Bösen verbündet.

Sollten ihn der Bannfluch der alten Weggefahrten getroffen haben, so hat Wenner den Tiefschlag gut verdaut Er habe nie einen Zweifel gehabt, daß dieser Schritt eine evolutionäre Notwendigkeit war – und verweist auf das kleinlaute Eingeständnis einstiger Wüteriche, daß er wohl die Zeichen der Zeit richtig gedeutet habe.

Alle zwei Wochen findet der heutige Rolling Stone 1,2 Millionen Käufer – und hat alle Attacken der nachwachsenden Print-Konkurrenz routiniert pariert. Quincy Jones, der 1993 das „schwarze“ Magazin „Vibe“ ins Rennen schickte und prophezeite, daß es „der ROLLING STONE der 90er“ werde, muß heute düpiert feststellen, daß die Prognose wohl etwas vollmundig war und daß Rap und HipHop, so unbestritten wichtig sie auch sein mögen, eben nie die Breitenwirkung des Rock’n’Roll hatten.

Auch „Spin“ sah sich schon als legitimer Nachfolger. Man war sich sicher, daß neue Schlachtrufe wie „Alternative“ und „Generation X“ die greisen Rocker ins offene Grab stoßen würden. Doch „Alternative“ ist, in den USA zumindest, mausetot – und „Spin“ womöglich nicht allzu weit entfernt davon. Bob Guccione Jr. jedenfalls, Gründer und Herausgeber, zog unlängst die Notbremse und verkaufte sein Blatt.

Selbst die journalistischen Bilderstürmer des avantgardistischen Meta-Magazins „Ray-Gun“ fühlten sich berufen, mit dem Rolling Stone in den Ring zu steigen. Auch hier hieß es siegesbewußt: „Ray-Gun is to the 90’s what Rolling Stone was to the 70’s.“ Wunschdenken einmal mehr: „Ray-Gun“ ist über das Stadium der medialen Eintagsfliege nie hinausgekommen.

„Qualität, Konstanz und das Festhalten an der journalistischen Identität“, so Wenner, seien der Grund, daß der ROLLING STONE das Kunststück vollbracht hat, 30 wechselvolle Jahre nicht nur zu überstehen, sondern die unangefochtene Position sogar noch weiter auszubauen.

Doch halt! Den alles entscheidenden Faktor muß Wenner dabei wohl geflissentlich übersehen haben: Glück. Mega-Massel, genaugenommen. Denn was wäre passiert, wenn – wie Mick Jagger unlängst das Horror-Szenario genüßlich ausmalte wenn Wenner auf den falschen Namen gesetzt hätte? Wenn er nicht an die Zukunft des Rock’n’Roll und die Rolling Stones, sondern an sagen wir mal – die Herman’s Hermits geglaubt hätte? Und 30 Jahre später seine Zeitung immer noch Herman’s Hermits hieße?

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