Neunte Kunst (12)

Kaputte Pinsel: Wie Reinhard Kleist aus Nick Caves Leben einen Comic machte

Reinhard Kleist hat gleich zwei Bücher über Nick Cave gezeichnet – der Künstler höchstselbst hat ihm dabei assistiert. Im RS-Interview erzählt der Berliner Comicautor, wie er sich dem Musiker schrittweise annäherte.

Seit Reinhard Kleist 2006 seine Johnny-Cash-Biografie „Cash – I See A Darkness“ veröffentlichte, ist der Zeichner nicht nur Comicfans, sondern auch Musikliebhabern ein Begriff. Danach wandte er sich anderen Themen zu, reiste durch Kuba, zeichnete eine Biografie des „Máximo Líder“ Fidel Castro, erzählte in „Der Boxer“ die Geschichte des jüdischen Boxers Hertzko Haft und in „Der Traum von Olympia“ vom tragischen Schicksal der somalischen Sprinterin Samia Yusuf Omar. Nun hat der 47-Jährige sich wieder ­eine Musikerbiografie vorgenommen.

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In seinem epischen Album „Nick ­Cave – Mercy On Me“ erzählt er in fünf Kapiteln aus Leben und Werk des Sängers und Dichters, folgt ihm aus dem australischen Kaff Warracknabeal nach Melbourne, London und ins Berliner Szenelokal Risiko, in dem ein missmutiger Blixa Bargeld hinter der Theke stand, zeigt die Krisen seiner ersten Bands The Boys Next Door und The Birthday Party, die künstlerischen Triumphe mit den Bad Seeds und die tragische Liebe zu der Sängerin Anita Lane. Dabei mischen sich immer wieder die Figuren aus Caves Songs und Romanen in die Erzählung ein und übernehmen sie.

Um den eckigen und rauen Stil zu finden, der zu Cave passe, habe er sich etwa am Werk des US-Illustrators Kent Williams orientiert und für den nötigen Effekt hauptsächlich mit „kaputten Pinseln“ gezeichnet, so Kleist, der neben dem Comic einen sehr schönen Kunstband mit Cave-Zeichnungen veröffentlicht.

Wie hat Nick Cave von Ihrer Idee erfahren, einen Comic über ihn zu machen?
Über seine Plattenfirma kam ein Kontakt zu seiner Assistentin zustande, die das aber erst mal abgebügelt hat, weil sie meinte, so was kriege der jede Woche auf den Tisch. Aber 14 Tage später habe ich eine Mail von Nick Cave persönlich bekommen. Er schrieb, er kenne meinen Comic über Johnny Cash und könne sich das vorstellen, auch wenn er selbst nicht viel Input geben könne, sondern nur mal einen Schubs in die „richtige“ Richtung.

Haben Sie ihn dann getroffen?
Ja. Bei einem Festival in Brandenburg. Er musste seinen Auftritt vor den Zugaben wegen eines anrollenden Gewitters abbrechen, und ich habe mich mit zwei Freunden hinter die Bühne durchgeschlagen. Da saß Nick draußen ganz allein auf dem Fußboden mit einer Flasche Wasser neben sich, schaute hoch und sagte: „Wer von euch ist denn jetzt Reinhard?“ (Lacht) Und dann haben wir mit uns zu ihm gesetzt, Wasser getrunken, und ich habe ihm meine paar Ideen erzählt. Als wir zurück zum Auto sind, kam wirklich eine Wand von Regen runter, und es blitzte und donnerte, und als wir klitschnass im Auto saßen, dachte ich: So muss so ein Projekt anfangen.

Hat er das Projekt dann begleitet?
Ich habe ihm in der Anfangsphase Entwürfe geschickt, wie ich mir das vorstellen könnte, und bei einem hat er dann gesagt: „Ist okay“, da wusste ich, so geht es nicht. Ich habe mich dann langsam an das ­Konzept ­he­rangetastet – ich musste irgendwie näher an den Kern von ihm als Künstler kommen und nicht so über die Person gehen. Denn das wäre dann doch eine sehr ähnliche Geschichte wie die von Johnny Cash geworden: Junger Musiker wird berühmt, nimmt Drogen, wird noch berühmter, nimmt noch mehr Drogen.

Also haben Sie sich über seine Kunst genähert.
Genau. Ich habe viele Interviews mit ihm gelesen und festgestellt, dass er dort sehr über seine Position als Künstler reflektiert, darüber, dass er ja ein Erschaffer von Welten ist, ein Gott in seinem eigenen Kosmos. Das fand ich spannend. Und ich dachte, wenn ich in meiner Geschichte mit den Figuren, die er geschaffen hat, arbeite, müssen sie auch irgendwann mit ihrem Schöpfer in Kontakt treten und mit ihm reden. Er ist zu seinen Figuren ja nicht gerade freundlich. Die meisten sterben am Schluss – das können sie ihm ja auch mal vorwerfen. Am Ende mussten sie ­also mit ihm ins Gericht gehen.

Nick Cave im kreativen Rausch
Nick Cave im kreativen Rausch

Bezogen sich Ihre Recherchen nur auf seine Songs?
Nein, ich habe mir auch die Filme angeschaut, die es über und mit ihm gibt, die erstaunlich wenigen Bücher über ihn gelesen und mit Leuten gesprochen, die Teil der Szene waren. ­Bela B etwa hat mir verraten, welche Biermarke im Risiko bevorzugt wurde. Ich wollte aber keine Faktenhuberei betreiben. Mir waren das Erzählkonzept und das Beleuchten der verschiedenen Facetten von Nicks Suche nach künstlerischem Ausdruck wichtiger. Er war lange Zeit ein Suchender, mit der ersten Band, Boys Next Door, war er unglücklich, dann hat er auch The Birthday Party irgendwann aufgelöst. Mit den Bad Seeds kam er zum ersten Mal dem nahe, was er erreichen wollte. Wichtig war da sicher „Tupelo“, eines seiner großen Lieder, in dem eine ganz eigene Welt entsteht, und die Musik, die wie ein Gewitter aufzieht und sich dann entlädt.

Der Song handelt auch vom Presley-­Mythos, von Presleys Zwillings­bruder, der bei der Geburt starb …
Das ist ein Mythos, den er immer wieder bearbeitet hat. In seinem ersten Roman ist das Motiv des toten Zwillings ja auch drin, und als ich dann vom Tod seines Sohnes (Nick ­Cave ist Vater von Zwillingen, Arthur und Earl; Arthur kam 2015 bei einem Sturz von einer Klippe ums Leben) gehört habe, dachte ich, tragischer kann es jetzt wirklich nicht mehr werden. Es lief mir kalt den Rücken runter, als mir bewusst wurde, dass das ein Topos ist, der bei ihm mehrfach auftaucht.

Selbst in dieser menschlichen Tragödie spinnt sich fort, was Cave in der öffentlichen Inszenierung seiner Person angelegt hat. Das Leben geht in der Kunst auf, er selbst ist eine mythische Figur.
In der allerersten Mail hat er schon geschrieben, er könne sich vorstellen, dass mein Buch eher in so eine mythologisierende, legendenhafte Richtung steuert. Aber gleichzeitig wollte ich doch auch Fakten vermitteln, damit die Leute, die den Comic lesen, einen Eindruck bekommen, was das für ein Typ ist, wo der herkommt, was der so gemacht hat. In Gesprächen, die wir geführt haben, habe ich das Gefühl gehabt, dass er ein leicht schizophrenes Verhältnis zu sich selbst hat: zu der Privatperson, die er ist, und der Legende, die er aufbaut. Als er den fertigen Comic am Ende durchsah, lachte er sehr viel, und bei einer Szene, in der ich zeige, wie er und Anita ­Lane sich auseinandergelebt haben, sagte er: „Oh, das ist so traurig.“ Und es klang, als redete er über jemand anderen oder schaute sich gerade eine Szene aus „Vom Winde verweht“ an.

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Carlsen Comics/ Reinhard Kleist
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