So wurde „Tim und Struppi“ zum größten Comic der letzten 50 Jahre

Der markante Zeichenstil von Hergé ist stilbildend geworden. „Tim und Struppi“ ist ein Kulturgut.

Ein halbes Jahrhundert lang gab es für Tim viel zu tun. Im Roten Meer befreite der belgische Reporter mit dem markanten Quiff afrikanische Sklaven, außerdem rettete er die Monarchie im osteuropäischen Syldavien (Sie werden es auf keiner Karte finden), und im Kalten Krieg geriet er zwischen die Fronten kommunistischer und faschistischer Machthaber. Am Ende seiner langen Karriere kämpfte Tim in den Regenwäldern Lateinamerikas gegen einen Diktator. Er ist einer der großen Aktivisten des 20. Jahrhunderts. Immer an seiner Seite natürlich: der Drahthaar-Foxterrier Struppi.

Von 1929 bis 1976 reisten die beiden durch die Welt, gemeinsam mit Kapitän Haddock, den Detektiven Schulze und Schultze und Professor Bienlein, verewigt in 24 Bänden des Zeichners Hergé. Einmal verließen sie sogar unseren Erdball. „Wir waren die ersten Moon­walker – nach Tim“, soll Apollo-11-Besatzungsmitglied Buzz Aldrin gesagt haben. Schließlich war es Tim, der dem Raumfahrer und dessen Kollegen Neil Armstrong 1954 in „Schritte auf dem Mond“ zuvorkam – um 15 ­Jahre. NASA-Wissenschaftler hatten den Band längst gelesen, Tims Erkundungen der Mondhöhlen wurden im Apollo-Programm gar als Idee diskutiert (und natürlich verworfen).

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Tim in Syrien?

In den vergangenen 41 Jahren hat sich vielleicht nicht der Mond verändert, aber die Welt. Heute würde Tim wohl in andere Krisengebiete reisen. „Es wäre nicht unspannend, wenn er etwa nach Syrien fahren würde“, sagt Klaus Schikowski, Programmleiter von Carlsen Comics, die „Tim und Struppi“ seit 1967 verlegen. „Wir kennen heute alle Länder dieser Welt. Dennoch könnte Tim seinem Beruf als Reporter nachgehen und von dort berichten.“ Vor 90 Jahren habe man sich in den Comics auch über fremde Kulturen informieren wollen. ­Natürlich mit Einschränkungen, wie Schikowski sagt: „Bei Tim finden wir realistische Beschreibungen, allerdings fußt diese Welt auch auf der Fantasie.“ „Tim ist ganz sicher kein Imperialist, der Ideale auf der Welt durchsetzen will“, sagt Benoît Mouchart, Programmchef vom belgischen Verlag Casterman, der „Tim und Struppi“ seit 1934 als Comicbände vertreibt. „Tim sucht das Abenteuer nicht – das Abenteuer findet ihn.“

Der Reporter klettert in „Tim in Tibet“ auf die Berge des Himalaja, denen im Comic Zeichnungen der echten Gebirgskette zugrunde liegen. Dort trifft er nicht nur auf seinen vermissten Weggefährten, den Chinesen Tschang – sondern auch auf den Yeti.

Die heutigen Krisengebiete aber wird Tim nicht bereisen. Das legte sein Schöpfer Hergé per Testament fest. Der 75-jährige Zeichner, durch Blutarmut geschwächt, fiel im Fe­bruar 1983 ins Koma. Mit seinem Tod vier Wochen später durften keine neuen Abenteuer mehr erscheinen. Heute wacht die Hergé-Stiftung, gegründet von seiner Witwe, Fanny Vlamynck (inzwischen Fanny Rodwell), streng über die Einhaltung seines letzten Willens. Erst im Jahr 2053, ­also 70 Jahre nach Hergés Ableben, könnten neue Geschichten in den Handel kommen – die Rechte an den Comicfiguren verfallen dann.

Willkommen in Mühlenhof

Bis dahin bemühen sich die Nachlassverwalter um Kontrolle. Der Brite Nick Rodwell, Ehemann von Hergé-Witwe Fanny, bezeichnet sich deshalb als „unbeliebtester Mann in Belgien“. Er ist Manager der Stiftung, die selten – nach Meinung vieler Fans zu selten – „Tim und Struppi“-Bilder zur Veröffentlichung freigibt. So kommt es, dass manche Leser bei dem Wort „Moulinsart“, auf Deutsch „Mühlenhof“, nicht an den Wohnsitz von Kapitän Haddock denken, sondern an die nicht überall beliebte Hergé-Stiftung gleichen Namens. (Bei Google Bilder finden sich dennoch etliche, sicher nicht lizen­sierte Auszüge aus den Comics.)

Immerhin Regisseur Steven Spielberg gab die Stiftung 1983 grünes Licht, die Geschichte vom „Geheimnis der ‚Einhorn‘ “ zu verfilmen. Er ließ sich Zeit. Erst 2011 erschien die Adaption als 3‑D-Animation. Der Film floppte – auch weil die dreidimensionalen Figuren nicht mehr wie Hergé-Figuren aussahen: Haddock wurde einfach eine Knollennase verpasst, eines der größten Comic-Klischees.

Auch deshalb bilden Hergés „Tim und Struppi“-Geschichten einen abgeschlossenen, unantastbaren Korpus, dessen Kanon aus 22 Bänden in den letzten Jahrzehnten nur um zwei Bände erweitert worden ist. Mit „Tim und die Alpha-Kunst“ erschienen – als mehr oder weniger zusammenhängende Erzählung – Skizzen jenes Werks, das Hergé nicht vollenden konnte. Sein eigentliches Debüt, „Im Lande der Sowjets“ (1929), in dem der Held noch nicht ganz seine bekannte Gestalt angenommen hatte, gilt heute als „Band 0“.

Beide Werke sind Bestandteil der neuen Gesamtausgabe, die jetzt als Hardcover im Schuber erschienen ist und das Genie Hergés in seiner ganzen Breite dokumentiert. Als Georges Prosper Remi kam Hergé am 22. Mai 1907 in Etterbeek bei Brüssel zur Welt. Mit sechs Jahren erlebte er die Besatzung Belgiens durch deutsche Truppen. Seinen ersten Job als Zeichner erhielt Remi nach der Militärschule bei der katholischen Zeitung „Le XXe Siècle“. In deren Kinderbeilage erschien 1929 ebenjenes erste Tim-Abenteuer. Im Original heißt Tim Tintin und der Foxterrier Struppi Milou. Die Serie ging als „Les Aventures de Tintin“ („Die Abenteuer von Tintin“) in Produktion. 1952 erschienen im „Hamburger Abendblatt“ die ersten der Comics auf Deutsch („Tim auf der Jagd nach dem geheimnisvollen Zepter“), zu Bestsellern wurden dann ab 1967 die Softcoverbände mit dem charakteristischen roten Rücken von Carlsen. Programmleiter Schikowski betont, dass „Tim und Struppi“ keineswegs ausschließlich Kinderlektüre ist, ja dass die meisten Leser das Erwachsenenalter tatsächlich längst erreicht haben. In der Regel kaufen auch Eltern die 64-Seiten-Geschichten eher für sich als für ihre Kinder.

Ligne claire, das Markenzeichen Hergés

„Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Alle berühmten Comic­marken, etwa ‚Die Peanuts‘ oder ,Spider-Man‘, sind älter als 50 Jahre“, sagt Schikowski. „Seitdem gibt es nur zwei Marken, die in den klassischen Comic-Kanon aufgestiegen sind: ,Calvin und Hobbes‘ und ,The Walking Dead‘.“ Die sich übrigens beide, was Verkäufe angeht, brav hinter „Tim und Struppi“ einreihen müssen. Kein Wunder, modern wirkt die Mischung aus Slapstick und Action, die jedem Band zugrunde liegt, noch immer, eigentümlich zeitlos. Aber es ist der Zeichenstil, den Hergé vor bald 90 Jahren begründete und der ihn weltberühmt machen sollte – zum berühmtesten Comic-Künstler des 20. Jahrhunderts.

Herge (Archivfoto vom 18.03.1981).

Die sogenannte Ligne claire, als Begriff für Hergés Technik erst 1976 etabliert, setzt auf absolute Klarheit. Deutliche Abgrenzung in den Konturen, konkrete Farbverläufe, Vereinfachung durch Einfarbigkeit großer Flächen. In den einzelnen Bildern auf einer Seite, den jeweiligen Panels, erleben wir dadurch eine Ruhe und Strukturiertheit, die kein anderer Comiczeichner in dieser Perfektion erreicht hat. Selbst wenn durch Geschwindigkeitsstriche das Tempo von Autos illustriert wird oder der schwirrende Kopf des betrunkenen Kapitän Haddock. „Diese Sichtbarkeit, diese Klarheit hat Hergé zum Ziel erhoben – und sie wirkt grafisch modern“, erklärt Schikowski. „Sogar wenn in den Bildern Oldtimer zu ­sehen sind, die junge Leser nicht kennen, Flugzeugtypen, die nicht mehr bekannt sind.“ Für den jungen Leser von heute“, befindet Casterman-Programmleiter Mouchart, „ist das im Comic dargestellte 20. Jahrhundert eine sagenhafte Welt – fast schon so, wie wir uns das Mittelalter vorstellen.“


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Die zeichnerische Eindeutigkeit jeder einzelnen Seite wird durch die Exaktheit der technischen Details unterstützt. Überwältigend ist die Detailtreue der Transportmittel, wie etwa des Jeeps oder des Doppeldeckers. Hergé ging auf Nautikmessen, um dort Kataloge von Motorbooten mitzunehmen. Später arbeitete er mit Rechercheuren zusammen, jeder hatte ein Fachgebiet, etwa die Luftfahrt. Von Karomuster und Form der Militärrakete V2, von Wernher von Braun im Zweiten Weltkrieg konstruiert, war dann jenes Raumschiff inspiriert, mit dem Tim und Freunde in „Reiseziel Mond“ ins Weltall flogen. Die ikonische rot-weiße Rakete kennen sogar Menschen, die nie einen „Tim und Struppi“-Band in den Händen gehalten haben. „Lange Zeit galt es als ausgeschlossen, dass auf dem Mond Eis zu finden ist“, sagt Benoît Mouchart. „Hergé starb mit der Befürchtung, seine Darstellung in ,Schritte auf dem Mond‘ könnte fehlerhaft gewesen sein. Mittlerweile gibt die Wissenschaft ihm recht.“

James Bond und Indiana Jones

Nicht zuletzt sorgt die Detailtreue der Fahrzeuge dafür, dass wir Tim seine Welt- und Weltraumreisen überhaupt abnehmen. Selbst wenn sie, wie die Mondrakete oder das legendäre haiförmige U-Boot aus „Der Schatz Rackhams des Roten“, der Fantasie entsprungen sind. Als Nutzer von Gadgets wirkt Tim wie ein früher James Bond, im Erkunden exotischer, gefährlicher Natur war er Vorbild für Spielbergs „Indiana Jones“.

Auch die „große Kunst“ beeinflusste er. Pop-Art-Künstler Roy Lichtenstein war großer Hergé-Fan, ebenso wie -Andy Warhol, der einmal sagte, Hergé habe ihn ebenso stark beeinflusst wie Disney, und ihn zweimal porträtierte. In Deutschland begegneten wir der Ligne claire zuletzt auch in der Welt der Literatur: Die Covergestaltung von Christian Krachts Roman „Imperium“ ist an Hergés Stil angelehnt, und das Erscheinungsbild des weltmännisch auftretenden Schriftstellers Kracht: die blonde Spitzbübigkeit, der Trenchcoat, die Pluderhose, erinnert doch stark an Tim.

„Tintin“ heißt übersetzt „Nichts“. Hergé hatte seinen Reporter so angelegt, dass er quasi als leere Identifikationsfigur dienen konnte, als nur über wenige Eigenschaften, geschweige denn eine Biografie, verfügende Projektionsfläche. Er ist aufopferungsvoll und höflich – und das sind denn auch schon Tims hervorstechende Charakterzüge. Sein Elternhaus bleibt ebenso im Dunkeln wie sein Liebesleben. Es sind Tims Freunde, in denen wir uns wiederfinden und die uns zum Lachen und Staunen bringen: der mutige, kluge, in seinen Gedankenblasen wie ein Mensch erscheinende Hund Struppi, die trotteligen Detektive Schulze und Schultze, das Genie Professor Bienlein, dessen stoi-sches Wesen ebenso wie seine Schwerhörigkeit Kapitän Haddock zur Verzweiflung treiben.

Archibald Haddock ist zweifelsfrei die beliebteste Figur im Hergé-Universum. Obwohl er schwerer Alkoholiker ist. Oder gerade weil er Alkoholiker ist. Als Schreihals macht Haddock, im Griff seiner Sucht, fast alles falsch. Seine unzähligen Wutausbrüche sind auch in der deutschen Übersetzung legendär: „Hunderttausend Höllenhunde!“ und „Hagel und Granaten!“ sind die bekanntesten, „Süßwassermatrose!“ und „Vegetarier!“ die schönsten Ausrufe. Schnell löste der Kapitän, nachdem wir ihn erstmals im neunten Band („Die Krabbe mit den goldenen Scheren“) kennen-lernten, den Vierbeiner Struppi als Tims engsten Kompagnon ab. Der Hund wurde zunehmend zum Kommentator degradiert, der kaum noch helfen muss. Schließlich war Tim immer häufiger damit beschäftigt, den vermeintlich nichtsnutzigen Haddock, der sich seiner adligen Abstammung lange nicht gewachsen fühlte, vor dem Alkoholtod zu retten. Da hat der Hund am Ende wohl Glück gehabt, dass er auf Deutsch im Serien-titel „Tim und Struppi“ verewigt wurde – hierzulande liebt man den besten Freund des Menschen eben.

So haben Tim und seine Gefährten zwar stets das Gute im Sinn. Aber die Comics offenbaren auch die bis heute kontrovers diskutierten Haltungen ihres Schöpfers Hergé. Vor allem in der Erstfassung des 1930 veröffentlichten „Tim im Kongo“ ist eine rassistische Gesinnung erkennbar, wenn Afrikaner als faul und geistig zurückgeblieben und mit karikierten Gesichtszügen dargestellt werden.

Mbutu Mondano Bienvenu scheiterte vor Gericht

Vor fünf Jahren scheiterte ein Kongolese, der diesen ersten Band verbieten lassen wollte, vor einem Gericht in Brüssel. Die Darstellungen der Afri-kaner in der belgischen Kolonie, urteilten die Richter, spiegeln die damalige Zeit wider. Die Klage sei deshalb zulässig gewesen – aber unbegründet. „Wünschenswert wäre tatsächlich eine kommentierte Fassung, in der zeitgeschichtliche Zusammenhänge erklärt werden“, sagt Klaus Schikowski in Bezug auf den problematischen „Tim im Kongo“-Band.

Antisemitische Klischees

In „Der geheimnisvolle Stern“ wiederum findet sich ein antisemitisches Klischee: ein krummnasiger, verschlagener Bankier namens Blumenstein. Die Figur hat traurige Berühmtheit erlangt, und der Kultur-kritiker Georg Seeßlen hat auch in der Überspitzung nicht unrecht, wenn er sie in seinem Buch „Tintin, und wie er die Welt sah“ als „ ,Meister-werk‘ der antisemitischen Propaganda in Comic-Form“ bezeichnet.

Hergé, der über die Jahre Revisio-nen der kritischen Passagen vorgenommen hat, berief sich stets auf das „Weltbild“, das seinerzeit geherrscht habe. „Der geheimnisvolle Stern“ -etwa war 1942 während der deutschen Besatzung Belgiens erschienen, die Nazis leiteten die Zeitung. Und vor diesem Hintergrund, sagte Hergé, müsse die Karikatur des amerikanischen Juden gewertet werden. Als Opportunismus wohl.

1954 wurde Blumenstein zwar in Bohwinkel umgetauft – Hergé hat jedoch nicht jeden Kritiker überzeugt. Der britische Schriftsteller Tom McCarthy, der Autor des Buchs „Tim & Struppi und das Geheimnis der Literatur“, sagt, dass Hergé mit den Nazis zusammenarbeitete, weil er kein sonderlich reflektierter Mensch gewesen sei: „Hergé war ein Kollaborateur, weil er naiv war.“ McCarthy glaubt, dass der Zeichner nach Ende des Zweiten Weltkriegs nur deshalb nicht verurteilt wurde, weil „Tim und Struppi“ auch in der Résistance Bewunderer hatte. Der Legende nach soll der Staatsanwalt gesagt haben: „Ich kann doch Tim nicht vor Gericht stellen. Dann müsste ich doch auch Struppi anklagen.“

Inspirierte die Guerilla-Story der „Picaros“: Fidel Castro

In Hergés letztem vollendeten Werk, „Tim und die Picaros“ von 1976, lässt sich eine politische Veränderung erkennen. Tim wird darin zum Linksaktivisten, der in Südamerika am Umsturz eines Despoten beteiligt ist. Eine Charakterentwicklung zeigte sich auch bei Haddock, wenn auch nicht im Politischen. Der Kapitän wird immer klarer im Kopf, weil Bienlein ihm eine Wunderpille untergejubelt hat, die seinen geliebten Loch-Lomond-Whisky ungenießbar macht. Am Ende ist Haddock schließlich doch noch ein trockener Alkoholiker geworden.

Vielleicht wollte Hergé Frieden mit seinen Figuren machen, als er merkte, dass seine Kräfte schwanden und seine Gesundheit sich verschlechterte. Schon früh arbeitete er mit einem Zeichenteam zusammen, das ihm Arbeit abnahm. Die Abstände zwischen den Bänden wurden immer größer, Hergé begründete das mit dem Erwartungsdruck. Zwischen den „Picaros“ und dessen 1968 veröffentlichtem Vorgänger, „Flug 714 nach Sydney“, lagen volle acht Jahre. Seine anderen Comicschöpfungen, wie „Stups und Steppke“, die längst nicht so populär wurden wie die Geschichten um den Reporter, seinen Hund und seine Freunde, hatte Hergé da schon längst aufgegeben.

Weiße Flächen

Jahrzehnte zuvor hatte sein Psychiater Hergé den Rat gegeben, mit dem Zeichnen aufzuhören. Hergé sah in seinen Albträumen „weiße Flächen“, was einem Zeichner natürlich Angst machen muss. Hergé schlug den Rat freilich aus und machte aus den ihn quälenden „weißen Flächen“ Schneegebirge. Zu sehen ist das in seinem Band „Tim in Tibet“ von 1959, wohl Hergés Meisterwerk. Hier hält Haddock Tim für verrückt, weil der sich auf die Suche nach Tschang, seinem Weggefährten aus dem „Blauen Lotos“, macht, dessen Flugzeug im Himalaja abgestürzt war und der unmöglich überlebt haben konnte. Aber Tschang war Tim im Traum begegnet – Grund genug, daran zu glauben, dass der alte Freund noch lebte. Schließlich wird er nach all den Strapazen seiner Reise von tibetanischen Mönchen aufgepäppelt.

Herge trifft Zhang Chongren 1981 auf dem Brüsseler Flughafen. Sein viele Jahre nicht gesehener Freund war Vorlage für Tschang – den Comic-Held Tim in Tibet rettet.

Das kam auch in der echten Welt gut an. Der Dalai Lama war tief bewegt, er verlieh „Tim in Tibet“ 2006 einen Preis. Begründung: Das von China besetzte Gebiet sei durch den Comic einem breiteren Publikum bekannt gemacht worden. Die Auszeichnung erfolgte, fünf Jahre nachdem die Hergé-Stiftung wieder mal ein Publikationsverbot ausgesprochen hatte – allerdings ein bedachtes: Moulinsart verhinderte eine chinesische Ausgabe mit dem irren Titel „Tim und Struppi im chinesischen Tibet“. Kurios: Der Licht-der-Wahrheit-Award reiht nun die Preisträger Desmond Tutu und „Tim und Struppi“ nebeneinander.

Die Ehrung zeigt jedoch, welchen kulturellen und politischen Einfluss Hergés Comicfiguren heute noch ausüben. Und in den vergangenen Jahren erscheinen sie so lebendig wie lange nicht: Im Londoner Westend lief mit großem Erfolg eine Musicalfassung von „Tim in Tibet“ , und in Frankreich und Belgien wurden Briefmarken mit den Figuren neu aufgelegt. Auch hierzulande wird Hergé bald geehrt. Zum 90. Geburtstag von Tim 2019 sind Veranstaltungen und eine Ausstellung in Hamburg und Berlin im Gespräch.

Zum 50-jährigen Jubiläum des Carlsen Verlags, der 1967 den ersten „Tim und Struppi“-Band heraus-brachte, gibt es nun
sämtliche 24 -Alben der -Serie als Hardcover im Schuber. Die Prachtausgabe kostet 199 Euro.

Fünf Fakten zu Tim

Schloss Mühlenhof

Frankreich: Loir-et-Cher, Cheverny: die Inspiration für Schloss Mühlenhof

Mühlenhof fällt Haddock in „Das Geheimnis der ‚Einhorn‘ “ in die Hände, wird zur Einsatzzen-trale und im Band „Die Juwelen der Sängerin“ gar zum alleinigen Schauplatz einer -Geschichte. Trotz seiner Größe und der umgebenden Ländereien hält das Anwesen ein einziger Mensch in Schuss: Butler Nestor. Hergé orientierte sich architektonisch am Loire-Schloss Cheverny bei Blois (Frankreich), ließ allerdings zwei Seitenflügel weg. In einem Nebengebäude von Cheverny gibt es übrigens eine ständige Ausstellung zu „Tim und Struppi“.

Tim und der Haifischsee

Zu den 24 offiziellen Bänden gesellt sich diese 1973 erschienene Geschichte, eine Umsetzung des Zeichentrick-Kinofilms, in dem Tim und Struppi gestohlene Kunstschätze suchen und dabei auf ihren Erzfeind Rastapopoulos treffen. Die Story kreierte erstmals nicht Hergé, sondern der mit ihm befreundete Zeichner Michel Régnier alias Greg (bekannt geworden durch die „Albert Enzian“-Strips). Der Comic ist eine weitest-gehend werkgetreue Umsetzung des Films, der seit 2006 auf DVD erhältlich ist.

Tims Wohnung

Der Reporter residiert in einer Wohnung in der rue du Labrador 26 in Brüssel. Viel Glück bei der Suche: Die „Labrador-straße“ existiert leider nicht, Hergé hatte sie sich ausgedacht – allerdings an sein Elternhaus angelehnt. Sein erstes Lebensjahr verbrachte er in der rue Cranz 25 (heute rue Philippe Baucq 33) im belgischen Etterbeek. Eine Pla-kette erinnert dort an den ehemaligen Bewohner. Tintinologen beklagen sich übrigens über die „unpersönliche Einrichtung“, die Tim in seiner Wohnung zur Schau stelle.

Die anderen Werke

Hergé erschuf natürlich nicht nur „Tim und Struppi“, sondern auch andere Comic-serien. „Stups und Steppke“ erzählte von zwei Strolchen, die tagein, tagaus Erwachsene ärgern. Interessanter sind da „Paul und Virginia bei den Langohr-Indianern“, weil darin Tiere die Hauptfiguren sind, denen menschliche Eigenschaften zugeschrieben werden. Am deutlichsten erinnern „Jo, Jette und Jocko“ zeichnerisch wie inhaltlich an die „Tim“–Geschichten: Zwei Kinder und ihr Affe erleben Abenteuer auf der ganzen Welt.

© Hergé-Moulinsart 2017
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© Hergé-Moulinsart 2017

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