Tourtagebuch: Ski Aggu im Land der unbegrenzten Möglichkeiten
Erste US-Tour eines deutschen Rappers: Kleinere Venues, große Wirkung. Hier schreibt Ski Aggus Publizist und Freund über die Konzertreise in die USA.
Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten kann jeder alles machen. Morgens verkatert aufwachen, mittags beim Posten von Stories beraten, nachmittags Merch sortieren und abends als Stage Security auf der Bühne stehen.
Der Show-DJ ist plötzlich auch der behelfsmäßige Tourmanager, der Artist ein bester Freund.
Ski Aggu ist ein Berliner Rapper, der mit viel Wortwitz auf Techno Beats über Hedonismus, Berlino Life und Gefühle rappt. Mit echtem Namen heißt er August.
Erste US-Tour eines deutschen Rappers: Kleinere Venues, große Wirkung
Einer von Augusts besten Schulkumpels wird später einer meiner besten Unifreunde. Dadurch, dass ich mir von ihm Ende 2023 bereitwillig einen ganzen Döner für das Musikvideo des Songs „HUSO“ (von Ritter Lean und Ski Aggu) ins Gesicht drücken lasse, freunden wir uns weiter an. Inzwischen verbringe ich gerade regelmäßig die Zeit meines Lebens an Augusts Seite.
Weil ich einer der Wenigen in seinem Umfeld bin, der noch manchmal Zeitung liest, qualifiziere ich mich schnell dafür, seine Interviews gegenzulesen. Ohne, dass ich jetzt in Augusts Namen Texte verfasse, wie es im Englischen vielleicht ein „Publicist” tun würde, haben wir das Wort absichtlich falsch eingedeutscht und ich stelle mich seitdem als sein Publizist vor, was bis jetzt kaum jemand hinterfragt hat.
Im Winter sage ich ihm beim Pumpen: „Alle, die dich kennen und nicht fragen, ob sie auf die US-Tour mitkommen dürfen, sind verrückt!”, und ich darf.

Neben den eingangs aufgezählten Tätigkeiten versuche ich mich hier und da positiv einzubringen. Vor allem durch die besondere Befugnis, August sein Handy abzunehmen, wenn wir uns mal wirklich beeilen müssen, um nur halbwegs verspätet zu einem Interview mit einem berühmten Instagrammer in der New Yorker Innenstadt einzutreffen. Dafür lädt mich August mit zu sich auf die Bühne ein, wo ich als geneigter Konzertgänger und Sensation Seeker aus bester Position mit einem Security-Shirt bekleidet die Shows erleben darf.
Deutschlernen fürs Konzert: Wie amerikanische Fans den Berliner Lifestyle feiern
Ski Aggu ist der erste deutsche Rapper, der eine Tour in den USA spielt. New York, Chicago, LA. Veranstaltungsorte mit Kapazitäten zwischen 300 und 600 Personen.
Also durchaus kleiner als noch zuletzt die fast 10.000 Menschen beherbergende Max-Schmeling-Halle in Berlin. Trotzdem werden hier auf bis dato unbekanntem Terrain Tickets so schnell verkauft, dass die Tour inklusive mehrerer Zusatzshows restlos „sold out” ist.
Neben deutschen Aupairs, Urlaubern oder Delegierten des Bundestags besteht das Publikum etwa zur Hälfte aus Amerikanern. Entweder lesen sie die Übersetzungen der Texte im Internet nach oder haben nun damit begonnen, für ihr Verständnis Deutsch zu lernen.
Ich bin jedes Mal fasziniert davon, wie das sein kann. Während meines Auslandsjahres vor über zehn Jahren habe ich damals kein allzu großes Interesse an deutscher Kultur feststellen können. In der Schlange vor dem Einlass interviewen wir deswegen immer wieder die amerikanischen Besucher. Diese kennen Aggu meistens aus dem Kontext der ESC-Teilnahme von Joost Klein, mit dem er den Song „Friesenjung”, welcher ihm zu seinem Durchbruch verhalf, herausgebracht hat. Und sowieso aus dem Internet.
Seine offene und tolerante Art habe ihnen imponiert. Immer wieder hat er sich für die Kommentare oder Posts der Fans auf den Social Media Plattformen Zeit genommen. Eine junge Frau erzählt, wie berührt sie davon gewesen ist, als er ihr Tiktok vor ein paar Monaten wiederveröffentlichte. Diese Fan-Nähe wird ihm hier, wie auch schon in Deutschland, sehr hoch angerechnet.
DIY-Tourmanagement: Crewfreunde, Chaos und kreative Lösungen
Alles ist hier mit heißer Nadel gestrickt. Die Tour wird kaum die entstehenden Kosten tragen, aber natürlich dient die erste US-Tour eines deutschen Rappers eher der Legendenbildung.

So richtig sind die Verantwortungen nicht immer klar. Eine ausgewiesene Tourmanagerin fehlt anfangs. Wir jonglieren die Verantwortlichkeiten, bis sich mitangereiste Freunde beispielsweise für das etwas leidliche Thema des Merches opfern. Das Beispiel zeigt: wenn man eng genug mit seiner Crew befreundet ist, bringen sich alle so ein, dass es am Ende irgendwie klappt.
Als wir eines Abends in unser Zuhause in Brooklyn zurückkehren, bedankt sich August schon bei der Reinigungskraft, von der er denkt, dass sie tagsüber aufgeräumt habe. Später stellt sich heraus: Es war unser Fotograf Luis.
Das Programm ist voll, entweder drehen wir mal ein Musik- oder Kurzvideo, führen Soundchecks oder Fantreffen durch.
Zwischen Moshpit und Melancholie: Die Shows als emotionale Hotspots
Während August seine TikToks schneidet, bugsiere ich ihn wie ein Blindenhund durch die Metropolen. Mir macht das nichts aus, es ist natürlich sehr spannend, so nah am Auge dieses Orkans zu stehen oder in dem Fall zu laufen. Allgemein empfinde ich mich nicht, als in Augusts Schatten stehend, sondern so, als ob ich etwas mitstrahlen darf.
Zeit zum Innehalten bleibt also nicht, auch nicht für Banalitäten wie Wäschewaschen. Notfalls funktionieren wir ein paar mitgebrachte Merch-Unterhosen zu neuen, eigenen um. Die Städte verschwimmen ineinander und ich glaube, dass wir uns später nur dadurch an alles erinnern können, weil so viele Fotos und Videos davon gemacht werden. Das Passierte wird verarbeitet, indem darüber gepostet wird.

Immer mal kritisieren Menschen in den Kommentarspalten, dass August in den USA tourt, nachdem dort liberale Werte wieder auf höchster Ebene angezweifelt werden. Wenn man sich das Publikum anschaut, wird aber schnell klar, dass sich die Leute hier freuen, an einem so toleranten Ort wie der US-Aggu-Tour zusammenzukommen. Wie auch in der von Aggu oft berappten Berliner Szenerie kommen hier queere Menschen mit vermeintlichen Atzen zusammen, wo sowohl miteinander ausgerastet, als auch aufeinander Acht gegeben wird. Man müsste die Konzerte jetzt nicht zu einem Lichtblick hochstilisieren, aber sie zeigen, dass es hier ein breites Publikum gibt für alles, wofür der Präsident offensichtlich nicht einsteht.

In den Kommentaren unter einem Post von August, Ikkimel, die den Pre-Act gibt, und mir freuen sich unzählige Fans darüber, wie süß wir alle miteinander auf der Reise interagieren. Dazwischen tummelt sich aber auch immer wieder Hass. Manche wünschen sich, die Waffen-affinen US-Amerikaner mögen uns erschießen. Nachdem ich das erste Mal mit so etwas konfrontiert werde, frage ich mich, was Leute so sehr verletzt haben kann, dass sie sich derart im Internet äußern.
Chicago reimt sich auf Ski Aggu
Dafür schlägt uns aber sehr viel Nettigkeit entgegen. Während unseres Fantreffens in Chicago möchte die Polizei vor Ort wissen, mit wie vielen Fans zusätzlich noch zu rechnen sei und ob es eventuell noch Tickets für das Konzert am Abend gäbe.
Vor jeder Show gehen August und ich das Programm durch. Wir überlegen, wie man das Publikum am jeweiligen Ort am besten anspricht. Also vermitteln wir Deutsch-Vokabeln à la „Atzen” oder amüsieren uns über den Reim von „Chicago” auf „Ski Aggu”.
Der deutsche Fotograf Paul Ripke, der uns auf den LA-Konzerten besucht, wird später in seinem Podcast sagen: „Ich kam als Interessierter und bin als Fan gegangen.”

Auch wenn dem Publikum manchmal nicht klar ist, wie man ein Moshpit abhält, nutzen die meisten die Chance, nach dem Konzert noch ein Foto mit Aggu und Ikkimel zu erhaschen, wobei sie sich ebenso sehr für das Konzert bedanken.
August hat das alles schon mal durch: Kleinere Venues, sich beweisen müssen. Nach dem großen Erfolg der letzten Jahre könnte er sich auf den Lorbeeren ausruhen. Stattdessen betont er, dass er Bock hat, sich jetzt auch in den Staaten zu profilieren.
Ich halte das für verrückt. Es muss so viel Kraft abverlangen, es einmal zu schaffen. Wieso würde man das Gleiche nochmal an anderer Stelle versuchen?
„Keiner ist hier als Tellerwäscher angereist. Trotzdem fahren wir mit einer aufgerundeten Million an schönen Erinnerungen nach Hause“
Bald nehme ich wahrscheinlich Wetten an, ob Ski Aggu nächstes Jahr Teil des Coachella Line-Ups sein wird, nachdem er einem ARD-Reporter versichert: ein entsprechendes Angebot würde er unverzüglich annehmen. Im September ist er jedenfalls schon für ein Festival in San Francisco gebucht.
Auf dem Weg zur letzten Show in Los Angeles hören wir laut Fontaines D.C. in unserem standesgemäßen Siebensitzer. August sagt im Auto, dass er hofft, dass alle körperlich durchhalten, damit wir uns später gemeinsam betrinken und am nächsten Tag auf einem durch Pilzschokolade induzierten High das Geschehene doch noch etwas Revue passieren lassen können.

Nach der Tour legen wir alle ausgedachten und neu auferlegten Funktionen wieder ab. Merchverkäufer werden wieder Freunde, Fotografen wieder Atzen. Ich mutiere zurück zur Privatperson und weiß, dass ich jetzt für eine Weile erstmal jedem davon erzählen muss, was wir erlebt haben, bis ich es selber glaube. August hat die Möglichkeit wahrgenommen, maximal abzureißen, wie man als Millennial sagen würde.

Durch die Shows waren wir für kurze Zeit Teil der jeweiligen Stadt. Mehr am Wuseln als alles andere, sahen wir frevelhafter Weise die Freiheitsstatue nur mal aus dem Augenwinkel. Aber statt der Besichtigung der Chicagoer Silber Bohne, dem Cloud Gate, aßen wir wenigstens die örtlich berühmte Deep Dish Pizza.
Keiner ist hier als Tellerwäscher angereist. Trotzdem fahren wir mit einer aufgerundeten Million an schönen Erinnerungen nach Hause. Alle sind sich im Klaren, auch wenn es kitschig klingt, dass die vergangenen zehn Tage Teil der Geschichten sein werden, die wir später unseren Enkeln gegen ihren Willen immer wieder auftischen werden.