Bild von Birgit Fuß
Birgit Fuß fragt sich durchKolumne

Mit Jill Sobule zu Hause in Happy Town

In Erinnerung an die Songschreiberin: Kann es gelingen, im Laufe des Lebens nicht zu verbittern?

ROLLING STONE Badge
Empfehlungen der Redaktion

Als ich hörte, dass Jill Sobule am 1. Mai mit 66 Jahren bei einem Hausbrand gestorben ist, musste ich sofort an dieses eine Lied von ihr denken, das ich 1997 monatelang mitgesungen habe, bis ich es vollkommen verinnerlicht hatte: „Bitter“. Und daran, dass ich ziemlich lange nicht mehr an die Singer-Songwriterin gedacht hatte.

Ihr letztes Album war 2018 erschienen, es hieß – ihrer vorwärts gerichteten Einstellung entsprechend – „Nostalgia Kills“. Wahrscheinlich ging es Sobule auf die Nerven, dass alle nur dieses andere Stück von ihr hören wollten, das sie 1995 kurz in die amerikanischen Charts gebracht hatte.

Katy Perry hatte mit demselben Songtitel einen größeren Hit

„I Kissed A Girl“ verbreitete stets gute Laune, weil es so ein betont unbedarfter Song war, der sich nicht zu wichtig nahm. Vielleicht mache ich es wieder, sang Sobule damals, das wird die Welt nicht verändern. Dreizehn Jahre später wurde der Titel von den Hit-Schreibern Dr. Luke, Max Martin und Cathy Dennis geklaut und Katy Perry geschenkt. Die Leichtigkeit war durch Nachdruck ersetzt worden („… and I liked it“). Gleichzeitig hatten sie schon eine Entschuldigung für die lesbische Erfahrung eingebaut („I kissed a girl just to try it/ I hope my boyfriend don’t mind it“). Es wurde natürlich ein viel größerer Hit. Plakativität sells.

„I could sneer, I could glare/ Say that life is so unfair/ And the one who made it/ Made it ’cause her breasts were really big …“

Es ist Jill Sobule gelungen, auch angesichts dieser Ungerechtigkeit nicht zu verbittern. 1997, auf dem zauberhaften Album „Happy Town“, sang sie davon, wie leicht es sei, auszurutschen und hinzufallen – zwischen all den „other jealous bitches and the bitter, grumbling men“. Man muss einfach lachen, wenn sie so trocken feststellt, wie leicht es wäre, sich von der Härte des Alltags unterkriegen zu lassen: „I could sneer, I could glare/ Say that life is so unfair/ And the one who made it/ Made it ’cause her breasts were really big.“

Kennen wir alle: Unfähige Leute (noch häufiger ohne Brüste) blenden sich nach oben, die Netten bleiben außen vor. Aber Sobule hat einen Chorus parat, der sich dagegen wehrt, das resiginiert hinzunehmen: „No, I don’t wanna get bitter/ I don’t wanna turn cruel/ I don’t wanna get old before I have to/ And I don’t wanna get jaded/ Petrified and weighted.“ Abgestumpft, versteinert, beschwert: Wer will das schon? Lieber in die Sonne blinzeln, als immer nur den Schatten sehen.

Trotz allem lächeln – und an das Gute glauben

Ein kluger Mann hat mich mal gefragt, ob der Mensch sich wohl aussuchen kann, ob er verbittert? „Ich dachte immer, das Schicksal muss nur genug auf den Menschen einschlagen, dann verbittert er schon“, schrieb er mir – aber ich habe mir doch nicht umsonst „Living well is the best revenge“ auf den Arm tätowieren lassen! Ich halte es für eine Entscheidung, zumindest solange das Schicksal nicht allzu brutal eingreift. Sobule sah das wohl ähnlich, denn in „Bitter“ beschließt sie, trotz allem zu lächeln und allen nur das Beste zu wünschen. Und an das Gute zu glauben: „I know the one who made it/ Made it ’cause she was actually pretty good.“ Und selbst wenn nicht: Was soll’s? Wer immer nur darauf wartet, gerecht behandelt zu werden, verpasst in der Zwischenzeit wahrscheinlich eine Menge Chancen.

Einen weiteren Song über ein ähnliches Thema singt Jill Sobule auf „Happy Town“ mit Steve Earle: „Love Is Never Equal“. Auch schonungslos ehrlich. Irgendjemand wird immer stehen gelassen oder betrogen, reingelegt oder malträtiert, stellt sie fest. Aber soll das bedeuten, dass wir gleich gar niemanden an uns ranlassen? „Love is never equal/ I learned that early at home/ Someone always loves more than the other/ And ends will always come/ So you might as well have beginnings.“ Der Tod kommt schnell genug, lieber erst mal richtig leben.