meka: Falls das Schicksal mit den Fingern schnipst
Die Kalifornierin meka schreibt einen Songwriter-Folk, in dem tiefe Trauer und helle Freude koexistieren.
Wo Melissa Lingo aufwuchs, kommen sich Zeit und Unendlichkeit nah. Die Eltern der Sängerin und Songschreiberin lebten in den achtziger und neunziger Jahren auf dem Mount Hamilton östlich von San Jose, Kalifornien. Sie waren Teil einer Gruppe von etwa 30 Menschen, die das dort stehende Lick-Observatorium betrieb.
Hier wurde u. a die Astrophotographie vorangetrieben. Lingos Kindheit ist von diesem Ort geprägt – von der Entlegenheit und davon, fast ausschließlich von Wissenschaftler:innen und wilden Tieren umgeben zu sein. Sich selbst beschreibt sich als neugierig.
Ihre Neugier führte sie mit Anfang Zwanzig in die Welt. In Indien wurde sie Yoga-Lehrerin. Als Mitarbeiterin diverser NGOs bereiste sie Schwellenländer, um dort Projekte unterschiedlicher Art zu unterstützen. In Kambodscha, wo sie Frauen aus schwierigen Verhältnissen Gesangsstunden gab, blieb sie für sechs Jahre.
Das Know-how für den Musikunterricht hatte sie von der Mutter erlernt, die viele Instrumente spielt. Sie hatte ihrer Tochter schon in frühen Jahren beigebracht, zweite und dritte Stimme zu singen. Wie selbstverständlich das Harmonisieren für Lingo ist, hört man auf ihren Alben; es schwingt eine alte Tugend mit, etwas sehr Natürliches.
Krankheit prägte die ersten Jahre als Musikerin
Schon vor acht Jahren startete Lingo, die damals wieder in Kalifornien wohnte, in das Leben einer Musikerin. Zuerst erschien eine EP namens “Golden Threads“ (2018), dann kamen die Alben „Vertigo“ (2018) und „Feeding Birds In Winter“ (2021). Doch bevor es richtig losgehen konnte, erkrankte Melissa Lingo schwer.
Auch nach ihrer Genesung musste Lingo sich mit einer fragilen Gesundheit arrangieren. „Da war ich Ende zwanzig, Anfang dreißig“, erinnert sich Lingo, „das wären wichtige Jahre gewesen, in denen ich hätte touren sollen. Aber ich lag im Krankenhaus oder zu Hause im Bett. Als es mir besser zu gehen begann, trauerte ich um all die Zeit, die ich verloren hatte. Aber auf der anderen Seite hat mich meine Krankheit total verändert, transformiert. Ich konnte die schwere Zeit in Kreativität verwandeln. Das ist seitdem immer so: An einer Stelle bricht meine Welt zusammen, an einer anderen beginnt etwas zu blühen.”
Nun gibt es ein neues Album „The Rabbit“. Lingo nennt sich jetzt meka; Freunde und Familie nennen sie schon immer so. Auf „The Rabbit“ hört man einen Songwriter-Folk, der an Nick Drake und Vashti Bunyan erinnert, manchmal auch an Feist und Alela Diane. Vor allem aber hört man diese eindrucksvolle Stimme, in der die ganze Breite, Höhe und Tiefe eines Lebens zu stecken scheint. Manchmal berühren diese Lieder mit ihrer Sanftheit, manchmal öffnen sie eine Tiefe, in der man sich selbst wiederzuerkennen glaubt.
Lingos Musik, die bisher auf Gitarre und Gesang reduziert war, wird jetzt von einer regulären Band und einem Streicherensemble ornamentiert. Aber die Produktion des Schweden Daniel Bengtson (First Aid Kit) nimmt Lingos Liedern nicht die Intimität.
meka : „Trauer ist eine mächtige Substanz“
Nichtsdestotrotz freut man sich über die stillen Momente – etwa das schmerzhaft ehrliche „Vices And Virtues“, in dem meka angesichts einer gescheiterten Beziehung schonungslos Bestand aufnimmt. „In einigen dieser Lieder sterbe ich kleine Ego-Tode. Ich habe das geschrieben, weil ich musste – nicht, weil ich es mit der Welt teilen wollte. Etwas in mir wehrt sich dagegen, diese Lieder zu veröffentlichen.“
Auch auf „The Rabbit“ kommen sich Zeit und Unendlichkeit nah, denn als Lingo ihre Songs schrieb, erkrankte sie erneut schwer. „Ich schrieb mit dem Gefühl, etwas zurücklassen zu wollen, falls das Schicksal mit den Fingern schnipst.“
Der Albumtitel reflektiert dieses Gefühl. Er verweist auf ein mysteriöses Gedicht von Joseph Pintauro, das 1970 in einem ebenso mysteriösen Buch namens „The Rabbit Box“ erschien. Der Protagonist des Gedichts ist krank und gebrochen, aber er trotzt dem Tod mit existenzialistischem Heldenmut.
„Trauer ist eine mächtige Substanz“, sagt meka, „sie ist wie Wasser, das einen Stein glättet. Mir kommt es so vor, dass ich wegen all dem Leid eine sehr niedrige Schwelle für Freude habe – ich muss nur rausgehen und die Vögel singen hören, dann bin ich glücklich.“