ROLLING-STONE-Guide: Alle Alben von Radiohead im Check

Radiohead pausieren derzeit, auch wenn es zumindest die zaghafte Aussicht auf neue Musik gibt. Zeit, ihre Diskografie näher zu beleuchten.

Essenziell

OK Computer (1997)

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Vielfach als bestes Album der Neunziger geehrt. Die Einschätzung muss man nicht teilen, dennoch gilt: Wer 1997 schon begeistert war, hat die Begeisterung auch 23 Jahre später nicht abgelegt. Dabei las sich der Plattentitel wie eine Kapitulationserklärung. Pessimistisch dichtete Thom Yorke über Fleisch, das schwächer ist als Technik („Fitter Happier“). Gitarrist Jonny Greenwood nutzte bei „Climbing Up The Walls“ auf der Bühne einen Radioverstärker, der Störgeräusche empfing, nahm die Internet- und Vernetzungsskepsis von „Kid A“ vorweg. „No surprises, please“, bettelte Yorke. Und mit „Paranoid Android“ schuf er zeitgenössischen Prog-Rock. Songlänge (6:27), Gitarrensoli und Versatzstück-Aufbau erinnerten an Queen, und das Album orientierte sich in seiner selbstsicheren mittleren Geschwindigkeit an Pink Floyd mit „Electioneering“ gibt es unter den zwölf Stücken nur einen einzigen Uptempo-Song.

Kid A (2000)

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„There are two colours in my head“, singt Yorke in „Everything In Its Right Place“, gejagt von Synthies. Der Titelsong wiederum setzt einer Krautrockmelodie auf Glockenspiel und Vibrafon unverständliches Genuschel entgegen. „The National Anthem“, die „Nationalhymne“, bietet ein Crescendo aus Bläsern, in dem scheinbar chaotisch Millionen Liter Luft durch Trompete, Saxofon und Posaune gepustet werden. Erst nach diesen drei Songs, nach 15 Minuten, wird einem bewusst, dass bis dahin keine einzige Gitarre zu hören war. Und das nach „OK Computer“! Seit „Kid A“, das es in den USA auf die Eins schaffte, gelten Radiohead als „intelligenteste Stadionband“.

In Rainbows (2007)

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Nie klangen Rock und Elektronik bei ihnen harmonischer. Nigel Godrich hat eine unerreichte Produktion kreiert, voller Echos, tieffrequenter Schallwellen, abrupter Höhenmodulationen, Yorke singt: „15 steps, then a sheer drop“, rätselhafte Tonspuren. Allein zu „Videotape“ gibt es einige YouTube-Tutorials über den „geheimen Drumrhythmus“. Yorkes unerkannte Meisterstücke sind „Reckoner“ und „House Of Cards“, Ersteres ein ätherischer, pastoral-perkussiver Spielmannszug aus Gottessicht, „dedicated to all human beings“, das andere sein erster Soul-Song.

A Moon Shaped Pool (2016)

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Eine Mischung aus Yorke-Solostücken und live erprobten, unveröffentlichten Nullerjahre-Radiohead. Anders kommen sie wohl nicht mehr zusammen. Und dennoch. Allein die Zeile „This dance is like a weapon of self-defence“ aus dem dunklen Bossa nova „Present Tense“ dokumentiert ihr Hin-undhergerissensein zwischen Scheu und Ekstase. Die Tracklist ordneten sie, vielleicht aus Bequemlichkeit, alphabetisch, also ohne geplante Dramaturgie – und das Glück war auf ihrer Seite: Ausdruck purer RadioheadMagie, klar. Die Platte endet dadurch mit einem perfekten „T“-Titel, „True Love Waits“. „Just don’t leave/ Don’t leave“, singt Yorke und scheint dabei nah wie selten. Großartiger Abschluss.

Lohnend

The Bends (1995)

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Es gehört zu den sportlichsten Herausforderungen für Radiohead-Experten, der Band hier schon jene Bedeutung zu attestieren, die erst der Nachfolger, „OK Computer“, evident machte. Zumindest David Gilmour bevorzugt diese Platte, liebt Epen wie „Planet Telex“ und den morbiden Walzer „(Nice Dream)“. Die Band hatte sich den Hardrock noch nicht völlig ausgetrieben, wie im Titelsong und in „ Bones“. Aber „The Bends“ wirkt klüger als das meiste aus dem BritpopJahr 1995, und mit „High And Dry“ – das Yorke heute leider nicht mehr spielt – ließen Radiohead auch den Grunge von „Creep“ hinter sich. Sie hatten, Entschuldigung für das Wortspiel, die richtige „Biegung“ genommen.

Amnesiac (2001)

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Erschien sechs Monate nach „Kid A“, entsprang denselben Sessions – und scheint doch aus einer anderen Ära zu stammen. 9/11 verschob die Wahrnehmung, kappte Verbindungen zwischen den Zwillingsalben. Während „Kid A“ das Ich in der technisierten Welt beschrieb, bleibt das nicht gelungenere, aber mutigere „Amnesiac“, das sich wie eine Singles-Sammlung experimenteller B-Seiten anhört, mit den Terroranschlägen verbunden. Jeder, der dabei war, erinnert sich an das Berliner Regenkonzert vom 11. September 2001, an die Ungewissheit, ob bald die Welt brennen würde. „You And Whose Army? “ ging gegen Bush und Blair, „Dollars And Cents“ skizziert den vom Streit um Öl getriebenen Präventionskrieg. Die verzerrte Gitarre in „Hunting Bears“ war geradezu unerträglich hypnotisch. „Pyramid Song“ etablierte Yorke als sich windenden Klavierspieler, seine überzeugendste Bühnendarstellung.

The King of Limbs (2011)

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Meistunterschätzt und doch thematisch am konsistentesten. Acht Songs über den letzten Gang eines Spaziergängers in die Natur. „And while the ocean blooms/ It’s what keeps me alive/ So why does it still hurt? “, fragt Yorke in „ Bloom“ zwischen Resignation und Wut, geht im nächsten Song sogleich eine Elster an: „You got some nerve coming here/ You stole it all/ Give it back.“ Manche deuteten in „Codex“ den Sprung ins Seewasser als Suizidwunsch „fantasize, no one gets hurt“. Die Platte enthält auch, etwas platt, Vogelgezwitscher.

Ergänzend

Hail To The Thief (2003)

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Zehn der vierzehn Songs hätten gereicht, aber Yorkes Kommentar zur Lüge des Irakkriegs („2 + 2 = 5“) und dem schon im Albumtitel angeklagten „Lügner“ George W. Bush ist so eindrucksvoll, wie seine Vorstellungen über die Flucht in einen Bunker („I Will“) bedrückend sind.

Schwächer

Pablo Honey (1993)

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Gab es je eine Band, die immer größer wurde, obwohl sie sich zunehmend von ihrem größten Hit entfernte? Mit dem grungy „Creep“-Sound dieses Debütalbums hätten sie locker Karriere machen können. Nur eben nicht als die Art von Rockband, die dann die Welt erobert hat, die einzigartig ist. So aufgesetzt tief-männlich wie hier würde Yorke auch nie mehr singen. Er musste seine Stimme erst finden.

Film

Meeting People Is Easy (1998)

Ein Dokumentarfilm über die schlauchende Promotour nach „OK Computer“. Von der Band als „Radiohead Big Brother“ gebrandmarkt, weil das (von ihnen doch selbst engagierte) Filmteam sie nie in Ruhe ließ. Uneitle Darstellungen von gescheiterten Studioaufnahmen inklusive.

Preziosen

Raritäten und Obskuritäten

„Man Of War“

Von den Bond-Produzenten 2015 als Titelsong abgelehnt. Begründung: Wurde bereits 1997 eingespielt, nicht erst exklusiv für 007.

„Spectre“

Exklusiv für 007 eingespielter Song, 2015 ebenfalls von den Bond-Produzenten abgelehnt. Die entschieden sich stattdessen für Sam Smiths „Writing’s On The Wall“. Ja: Die Bond-Leute bewiesen Humor.

„Ill Wind“

„A Moon Shaped Pool“-Outtake. Mutet mit pechschwarzem Bossa-Flair wie ein böser Bruder von Henry Mancinis „Slow Hot Wind“ (aka „Lujon“) an.

„Spooks“

Surf-artiges Radiohead-Instrumental, von Gitarrist Jonny Greenwood für den Soundtrack von P. T. Andersons „Inherent Vice“ aufbereitet.

„Go Slowly“

Höhepunkt der „In Rainbows“Special-Edition. Greenwood spielt eine zeitlupenartige „There There“-Variation.

„Like Spinning Plates“

Auf der Live-Version des Minialbums „I Might Be Wrong“ singt Yorke naturgemäß und zum Glück nicht rückwärts wie auf dem herausfordernden „Amnesiac“-Original.

„House Of Woodcock“

Traumhafte Klassik-Komposition Greenwoods, in der man sich einrichten möchte. Aus dem Soundtrack von P. T. Andersons „Phantom Thread“.

„Treefingers (Extended)“

Gerade mal 1:03 Minuten mehr Ambient als in der BrianEno-Hommage auf „Kid A“. Warum haben sie es nicht gleich so auf dem Album veröffentlicht?

„Meeting In The Aisle“

Der ungelenke 1997er- HouseBeat markiert einen seltenen misslungenen Versuch, zeitgeistig zu klingen.

„Harry Patch (In Memory Of)“

Im Alter von 111 Jahren starb 2009 der letzte britische Veteran des Ersten Weltkriegs. Erstmals betitelten Radiohead einen Song nach einer echten Person.

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