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Birgit Fuß fragt sich durchKolumne

Zur Leichtathletik-WM: Reicht „One Moment In Time“?

Jetzt kommt einem wieder Whitneys Hymne in den Sinn: Lohnt es sich, für einen Moment zu leben?

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Am 13. September geht es los. Dann rennen, springen und werfen sie wieder um ihr Leben. Das Highlight aller Sportler:innen bleiben die Olympischen Spiele, aber Leichtathletik-Weltmeisterschaften sind auch immer eine Schau. In Tokio werden etwa 2000 Athlet:innen aus mehr als 200 Ländern starten, 49 Goldmedaillen sind zu vergeben. Obwohl oder gerade weil ich recht unsportlich bin, liebe ich es, Wettkämpfe zu gucken – auch wenn man angesichts all der Dopingfälle die Realität schon ein bisschen verdrängen muss, damit man sie noch genießen kann. Manchmal wirken die Errungenschaften sowieso komplett irreal: Wie kann jemand mit einer dünnen Stange 6,28 Meter hoch springen? Wenn der amerikanische Schwede Armand Duplantis durch die Luft fliegt, scheint die Schwerkraft ausgesetzt – und wenn er sich mal wieder über einen Weltrekord freut, muss man sich einfach mitfreuen. Ein Zauberer am Stab.

Und was hat das alles mit Musik zu tun? Duplantis hat zwar kürzlich unter seinem Spitznamen Mondo eine Single namens „Bop“ veröffentlicht, doch darüber wollen wir lieber schweigen. Für ihn bedeutet Musik Therapie, er kann sich damit beruhigen, und so hat das Liedchen bereits seine Berechtigung. Wir müssen es ja nicht hören.

Wie viele Tausend Momente haben zu einem Sieg geführt? Und welcher Preis wurde dafür bezahlt?

Ein Song, der mir jedes Mal einfällt, wenn solche Sport-Spektakel stattfinden, ist „One Moment In Time“.

Albert Hammond und John Bettis haben das Stück für Whitney Houston geschrieben – es wurde die Hymne der Olympischen Sommerspiele in Seoul 1988. Kristin Otto gewann damals sechs Goldmedaillen für die DDR im Schwimmen, Florence Griffith-Joyner erlief sich drei. Die eine behauptet, nie gedopt zu haben, und wird den Verdacht nie los, die andere starb mit 38 Jahren im Schlaf. Da fragt man sich doch: Gibt es wirklich diesen einen Moment, der alles verändert? Und wie viele Tausend Momente haben dorthin geführt, welcher Preis wurde dafür bezahlt?

„Each day I live/ I want to be/ A day to give the best of me“, singt Whitney. Jedes erreichte Ziel kostet – Zeit, Nerven, Geld. Bei Athlet:innen heißt es auf jeden Fall härtestes Training, eine Menge Quälerei und Schmerzen. Gedopt oder nicht, nur die Ehrgeizigsten schaffen es.

Bedeutet ein Sieg, dass man für alle Ewigkeit eine Gewinnerin ist?

Albert Hammond hat es schon richtig gemacht – ein Lied mit einem solchen Thema braucht eine übergroße Melodie, und ein Symphonieorchester braucht es auch, und natürlich Whitney Houstons gewaltige Stimme, die den Chorus trägt: „I want one moment in time/ When I’m more than I thought I could be/ When all of my dreams are a heartbeat away/ And the answers are all up to me!“ Der Traum zum Greifen nah – und nur die eigene Unfähigkeit kann einen jetzt stoppen. (Oder halt jemand, der noch besser ist.)

„Give me one moment in time/ When I’m racing with destiny/ And in that one moment of time/ I will feel eternity …“

Wie fühlt sich das wohl an, wenn man mit dem Schicksal um die Wette rennt – und dann im Ziel die Ewigkeit fühlt? „You’re a winner for a lifetime“, behauptet Whitney, aber stimmt das wirklich? Und wird man dadurch frei, wie das Lied am Ende beteuert? Oder steckt im Triumph nicht schon die Aussicht, dass es ab jetzt bergab geht? Dann bleibt immerhin die Freiheit zum Scheitern.

Für all die harten Momente, die nach einem Sieg genauso kommen wie nach einer Niederlage, für Mut und Motivation in jeder Lebenslage empfehle ich Albert Hammonds allerschönsten Song, „The Free Electric Band“. Da gibt ein Typ seine potenzielle Karriere und Frau auf, um in Kalifornien Musik zu machen – das beste Doping der Welt, und gar nicht ungesund. „Just give me bread and water, put a guitar in my hand/ ’Cause all I need is music and the Free Electric Band.“