So komponierte Klaus Doldinger den Soundtrack zur „Unendlichen Geschichte“

Klaus Doldinger über Jazz, „Tatort“ und „Die unendliche Geschichte“ – ein Gespräch über Klang, Kino und Lebensfreude

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Mit Klaus Doldinger ist am Donnerstag (16. Oktober) einer der bedeutendsten Komponisten Deutschlands verstorben. 2020 erinnerte sich Klaus Doldinger an die Arbeit an einem seiner legendärsten Soundtracks – „Die unendliche Geschichte, 1984 von Wolfgang Petersen und Bernd Eichinger nach dem gleichnamigen Roman von Michael Ende auf die Leinwand gebracht. „Ich wollte begriffen werden“, sagte Doldinger, damals 84, über die Aufnahmen des sinfonischen Scores. Lesen Sie hier das Interview mit ihm.

Ein Anruf bei Klaus Doldinger

Es raschelt, und ein leises, emsiges Schnaufen ist am anderen Ende der Leitung zu hören. Dann ist die Verbindung unterbrochen. Stille.
Aber nur für kurze Zeit.

Rückruf von Klaus Doldinger.

Das Telefonkabel war nicht lang genug, es reichte nicht bis zu seinem Flügel.

Er hatte versucht es zu straffen und zog das Kabel aus der Buchse. Deshalb die Stille. Deshalb sein Wechsel an ein zweites Telefon, ein schnurloses. Nun geht’s. Er nimmt Platz auf dem Schemel. «Und jetzt hören Sie bitte zu.»

Der Klang von Phantásien

Auf dem Rücken Fuchurs fliegt Atréju über die Landschaften Phantásiens. Schnell nimmt die Musik an Fahrt auf. Die Bläser sind der Wind. Die Streicher sind die Sonnenstrahlen. Es ist die Melodie vom „Flug auf dem Glücksdrachen“.

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Doldinger spielt sie auf dem Klavier, und im Geiste stoßen alle Instrumente seines Orchesters dazu. Musik, die traumhaft, und im Gegensatz zum von Limahl gesungenen und von Giorgio Moroder komponierten „The NeverEnding Story“ nicht kitschig ist.

Die Leichtigkeit des Soundtracks überträgt sich auf die Film-Dialoge. Die Sorge, Phantásien nicht retten zu können, verfliegt. Ob er wisse, wo das „Nichts“ sei, fragt Atréju Fuchur. „Ich habe keine Ahnung!“, antwortet er jauchzend. „Wie können wir dann das Menschenkind finden?“ Die doppeldeutige Antwort des Glücksdrachens: „Mit Glück.“

Zwischen Saxofon und Fantasie

Auch Doldinger muss kichern. Dann wieder ein Rascheln. Er legt den Hörer ein zweites Mal zur Seite. Und greift zum Saxofon. „Denn das geht schließlich auch.“

„Der Flug auf dem Glücksdrachen“ ertönt in einer Fassung, die es auf dem Soundtrack nicht zu hören gibt. Doldinger spielt mit Vibrato, und diese Version wäre auch in einer Jazz-Bar gut aufgehoben.

Er legt sein Saxofon wieder zurück.

Erinnerung an die 1980er

Die unendliche Geschichte hat einen symphonischen Score. Wie würde er die Musik beschreiben?

Doldinger erinnert sich an die frühen 1980er-Jahre. „In Deutschland entwickelte sich die Klassik in eine abstrakte Richtung“. Es sei die Ära einer modernen Musik gewesen, die man sich nicht gegenseitig hätte vorsingen können.

„Als Auftragsarbeit konnte ich sowas jederzeit abliefern. Es war aber nicht ganz mein Ding, unabhängig davon, dass es manchmal erforderlich war so zu komponieren. Ich mochte etwas anderes lieber: erinnerbare Stücke.“

Doldinger sagt den schönen Satz: „Ich wollte begriffen werden.“ Ein Flug auf dem Drachen sollte als Flug verstanden, der Abschied von einem geliebten Pferd, „Atax’s Tod“, betrauert werden. Die „Spukstadt“ sollte zum Fürchten sein. Seine Musik für Die unendliche Geschichte ist poetisch und feierlich. Sie nimmt ihre Fantasie-Welt ernst. Wer über den Score lacht, tut das nicht wegen Doldinger, sondern wegen des von Giorgio Moroder produzierten, nachträglich hinzugefügten Limahl-Songs.

Musik als Sprache des Herzens

Und Doldinger setzt ein drittes Mal an, um seine eigene Musik zu intonieren. Er beginnt, übers Telefon das Titelmotiv nun nicht mehr zu spielen, auf dem Piano oder Saxofon, sondern zu singen: „Lade ladaadaa, ladidi …“

Es war die bekannteste Filmmusik des Jahres 1984. Falls der Produktion noch etwas fehlte, dann dieser Score. Das Engagement Klaus Doldingers komplettierte die Vorzeige-Besetzung für den teuersten Film, der hierzulande angestoßen wurde. Bernd Eichinger war der mutige Produzent. Wolfgang Petersen der begabte Action-Drama-Regisseur. Brian Johnson die britische Koryphäe der Spezialeffekte. Und Doldinger der berühmteste Soundtrack-Komponist Deutschlands.

Petersen und Doldinger waren schon seit einigen Jahren befreundet. 1976 schrieb er die Musik für dessen TV-Film „Vier gegen die Bank“, 1981 für „Das Boot“, dessen orchestrale Titelmelodie, unterlegt mit einem Echolot-Geräusch, bis heute präsent ist.

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Zwischen Jazz und Kino

Der 1936 geborene Klaus Doldinger stammt aus dem Jazz, die meisten Fotos zeigen ihn mit Saxofon oder Klarinette. Aber schon früh, sagt er, habe er sich bewusst gegen eine Kategorisierung in „Jazz-Musiker“ oder „Soundtrack-Komponist“ ausgesprochen.

1962 gründete er das Klaus Doldinger Quartett, tourte über den Globus und erhielt die Ehrenbürgerwürde von New Orleans. 1970 der Durchbruch im Film. Er schrieb das Tatort-Motiv, dessen Wiedererkennungswert im deutschen Fernsehen wohl unerreicht ist. Doldinger beschreibt den Prozess lakonisch: „Die haben mir was gezeigt. Ich hab’ ihnen was vorgeführt. Das war’s.“ Und Doldinger wurde zum John Williams von Germany.

Bis heute hat er mehr als 50 Alben und 2 000 Stücke veröffentlicht. Der Stellenwert einer bestimmten Arbeit, sagt Doldinger, definiere sich über dessen Zeitlosigkeit. Und da stehe „Die unendliche Geschichte“ bei ihm ganz oben. „Die ganze Nation sprach über den Roman, alle über den Dreh. Ich empfinde es als großes Glück, engagiert worden zu sein.“

Der Soundtrack wurde zu seiner aufwändigsten Kino-Arbeit. „Die Komposition war auch maßgeblich für meine eigene Entwicklung“, sagt Doldinger, der bei Drehstart 47 Jahre alt war. Petersen und Eichinger zeigten ihm ausgesuchte Filmszenen. Er entwickelte drei bis vier Leitthemen, die er ihnen auf Klavier und Keyboard vorspielte oder vorsang. Nach der Zusammenstellung eines Orchesters stieß sein Freund Curt Cress dazu, den viele als den hierzulande kompetentesten Schlagzeuger bezeichneten.

Freundschaften und Filmgeschichte

Doldinger sagt, von den Streitigkeiten zwischen Michael Ende und Bernd Eichinger habe er nichts mitbekommen. Auch, dass er zu keiner Zeit Druck angesichts einer 60-Millionen-DM-Produktion verspürt habe.

Auf die Frage, wie viel Zeit ihm für die Komposition zur Verfügung stand, gibt Doldinger eine ebenso spontane wie verblüffende Antwort. Sie stellt seine Verbundenheit zum bald 40 Jahre alten Film unter Beweis: „Da müsste ich mal eben in meinem Kalender nachsehen!“ Er hat seine Akten zur Unendlichen Geschichte anscheinend griffbereit.

Musik und Leben

Hätte die Corona-Krise ihm keinen Strich durch die Rechnung gemacht, Doldinger befände sich längst auf Tournee. Beim Gespräch im Dezember 2020 ist er 84 Jahre alt, mit seiner Band Passport veröffentlichte er im selben Jahr das Album Motherhood. Zu den Gastkünstlern zählt sein alter Kumpel Udo Lindenberg, der 1971 als Drummer in seiner Gruppe anfing.

Die Titelmelodie der „Unendlichen Geschichte “ist fester Bestandteil seiner Konzerte. Auf der Bühne greift er dabei zu seinem Lieblingsinstrument, dem Saxofon.

Solange aufgrund der Covid-Pandemie an Auftritte nicht zu denken ist, spiele er seine Songs daheim. Jeden Tag.

So laut, wie er will, denn er wohnt auf dem Land.

Klaus Doldinger spricht von den Geschenken, die das Leben ihm gemacht hat: „Ich blicke aufs Isartal, und wenn ich will, bin ich in einer halben Stunde in München. Seit 1968 lebe ich hier, mit meiner Frau Inge, mit der ich seit 60 Jahren verheiratet bin. Ich habe fünf Enkelkinder, bald kommt das sechste hinzu. Ich bin dankbar für dieses Leben. Und dankbar für die Musik, die ich komponieren durfte.»

Das Gespräch mit Klaus Doldinger ist ein bearbeiteter Auszug aus dem Buch „A Lifetime Full of Fantasy – Das phantastische Kino: Aufstieg, Fall und Comeback (Schüren, 2021).