Hallo, Ilja!

Wehret den anfängen! nachdem bereits die Medizin-Serie „Der Landarzt“ und der Agrar-Straßenfeger „Forsthaus Falkenau“ aufgegeben wurden und demnächst sogar die deutsche Schicksals-Show „Wetten, dass..?“ eingestellt wird, plant man beim ZDF nun das Ende des Kultur-Kanals. Da werden die Wutbürger, die Intellektuellen und Bohémiens aber auf die Barrikaden gehen, wenn diese Bastion der weltläufigen Kunstbetrachtung dem Mammon geopfert wird. Zu Recht! Hat denn das öffentlich-rechtliche Fernsehen nicht den Auftrag, ein anspruchsvolles Bildungsprogramm zur schöngeistigen und sittlichen Ertüchtigung auszustrahlen? Muss die Anstalt nicht ein Angebot senden, das über den zynischen Utilitarismus und billigen Populismus unserer Zeit hinausweist?

Der Sonntagnachmittag mit ZDF Kultur ist dem Connaisseur heilig. Oft beginnt er schon mit alten Folgen von „Forsthaus Falkenau“, jener mehrfach für den Emmy nominierten Wald-und-Wiesen-Saga, in der Christian Wolff, Anja Kruse und Bruni Löbel um den Erhalt eines Biotops im Bayerischen Wald kämpfen. Als die Förster-Legende Wolff in Rente ging, übernahm Hardy Krüger Jr. die Axt und das Nutzfahrzeug mit Ladefläche -er war es auch, der kürzlich bitterlich über die Absetzung der didaktischen Schnurren aus dem deutschen Tann klagte. Bei ZDF Kultur könnte es noch lange weitergehen: Wolff ist noch im Amt.

Ein besonderes Schmankerl waren die Wiederholungen der „Starparade“, eröffnet 1968, einem vierteljährlichen Stelldichein von Weltstars wie Mireille Mathieu, Demis Roussos, Katja Ebstein, Nana Mouskouri, Gunter Gabriel, Mireille Mathieu, Freddy Quinn, Jürgen Marcus, Baccara, der Goombay Dance Band und Mireille Mathieu. Unvergesslich moderierte der autoritäre Vertretertyp Rainer Holbe mit gewinnendem Charme und mancher bramsigen Belehrung des Zuschauers den Reigen, zu dem auch das Orchester von James Last gehörte, der mit souveränem Fingerzeig swingend Bearbeitungen von Welterfolgen dirigierte.

Neben wegweisenden technischen Neuerungen wie einer Wand aus 180 Fernsehbildschirmen, der Zeitlupe und verblüffenden psychedelischen Einfärbungen des Sendebildes gehörten drei sinnfreie Tanz-Choreografien zu jeder Ausgabe der Show. Dem soignierten Holbe wurde schon mal ein Adventskalender ins Hotel der gastgebenden Stadt geschickt; einmal zählte er 3.800 Briefe nach einer Sendung und bat um Verständnis dafür, dass er noch nicht alle beantwortet hatte. Heute unvorstellbar! Nach der 50. Sendung war im Jahr 1980 Schluss – aber ZDF Kultur mochte sich mit diesem Zivilisationsbruch nicht abfinden. Mittlerweile braust der „Show Express“, die Nachfolgesendung, mit dem Tausendsassa Michael Schanze (und abermals dem großen James Last und seinem fabelhaften Orchester) durch den späten Sonntagnachmittag.

Steht der legendäre Mett-Igel bei Bildungsbürgers schon mal auf dem Tisch, kann man auch gleich eine Folge der „Hitparade“ mit dem Halbgott Dieter-Thomas Heck gucken -derzeit ist ZDF Kultur ungefähr im Jahr 1983 angelangt. Mancher Studierte erinnert sich an Andrea Jürgens, Nicole, Costa Cordalis, G. G. Anderson, Roland Kaiser, Ingrid Peters und Andy Borg -aber auch an DÖF, Trio, Nena, UKW, Peter Schilling und Hubert Kah! Vor dem sonoren Stanzenaufsager Heck waren alle „Interpreten“ gleich – alle sangen „Titel“. Wenn der „TED“ die bunten Säulen hochfuhr, dann musste mancher Opernbesuch, manche Lektüre von Arno Schmidt warten.

So auch heute das Abendessen, wenn es bei ZDF Kultur wieder heißt: „Hallo, Freunde!“ – „Hallo, Ilja!“ Kein Akademiker hat je verstanden, weshalb die „Disco“ nach 1982 nicht fortgesetzt wurde. Jede Pop-Theorie stürzt sofort zusammen, wenn Wolfgang Petry neben ABBA, John Hartford, Slade, Chris Roberts, Tony Christie, Bernd Clüver und Marianne Rosenberg auftritt, Ilja Richter in den verzopften sogenannten Sketchen singend und schüttelreimend klassisches Bildungsgut (Jacques Offenbach!) verballhornt und ein schielendes, errötetes Mädchen im bunten Pullover ein Kofferradio gewinnt.

Ein Volk, das seine Geschichte nicht kennt, muss sie wiederholen. Und das, lieber ZDF-Intendant, lieber Herr Bellut, bitte noch viele, viele Jahre bei ZDF Kultur!

Der Autor freut sich schon auf „Der Alte“,“Derrick“,“Die Wicherts von nebenan“,“Der große Preis“ und „Aktion Sorgenkind“ – falls es ZDF Kultur noch so lange gibt.

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