Adoleszenz vollzogen

Mit Bonos Hilfe sind die Kings Of Leon pünktlich zum vierten Album ein bisschen erwachsener geworden. Zeit für eine erste Zwischenbilanz

Generalprobe geglückt. Als die Kings Of Leon Mitte Mai beim traditionellen Sommertreffen des Followill-Clans ihr neues Album „Only By The Night“ erstmals der Familie vorstellten, wurde es weitaus besser aufgenommen als beim letzten Mal. Nicht unbedingt das beste Zeichen, wenn man bedenkt, dass der weit verzweigte Clan überwiegend aus gottesfürchtigen älteren Herrschaften besteht. „Ich glaube, ,Because Of The Times‘ haben sie damals nicht verstanden“, meint Caleb Foliowill. Dabei passte der räudige Vorgänger doch perfekt zu Barbecue, Hufeisenwerfen, abendlichem Lagerfeuer und den anderen Freuden des südlichen Landlebens, denen sich die Followills bei den jährlichen Familientreffen hingeben. Ach ja, die Klischees. Ohne sie kam man selten aus bei dieser Band. Jenseits aller weltlichen Versuchungen vom Priester großgezogen, niemals eine Schule von innen gesehen und dann – zack! – an die Gitarren. Eine Jahrtausendgeschichte! Tatsächlich konnte man das tolle Debüt „Youth And Young Manhood“ trotz der CCR- und Allman Brothers-Verweise gut mit der Absenz einer stereotypen Rock-Sozialisation erklären. „Die Ramones aus dem Heustadl“ stand damals in diesem Magazin.

Etwas linkisch dann der Versuch, sich die gängigen Rock-Moden der Zeit im Eildurchgang anzueignen. England, insbesondere London hatte ihnen einen warmen Empfang bereitet, da wollten die Kings auch mal so schick sein wie die Strokes. Stattdessen sahen sie in ihrer Version eines schnittigen Camden-Hipsters herrlich bescheuert aus. Die schicken Fummel zur Zeit des zweiten Albums machten die Herkunft deutlicher als vorher die Barte und Flickenjeans.

Wie bei Schlegel das Schöne und das Hässliche unzertrennbare Korrelate sind, so kam auch hier das eine nicht ohne das andere vor. Eine Band im Niemandsland sind sie sowieso: Sie bewegen sich kaum auf der Bühne, haben nach allen gültigen Regeln keine Hits, jakaum Refrains. Und dann ist da die schwierige Definition der, nun ja, „Zielgruppe“. Eigentlich müssten sie ein Fall für Trucker und Biker sein, aber tatsächlich sind sie bei konventionellen Rock-Hörern wenig beliebt. Diesbezüglich sprechen die Namen ihrer prominenten Fans Bände: Bob Dylan und Eddie Vedder schlössen die jungen Rüpel bekanntlich bei gemeinsamen Tourneen ins Herz – und Ed O’Brien von Radiohead verkündete, es gebe nicht viele Bands, die ihn neidisch machten, aber bei den Kings, der seiner Meinung nach besten Band der Welt, würde er auch gerne mitspielen. Drei grundverschiedene Alben lang gelang ihnen hoch intelligente und aufregende Rockmusik. Das letzte von ihnen, „Because Of The Times“, war ein eklektischer Husarenstreich, streng gebündelt von der wütend-kratzbürstigen Signatur der Followills. Ein Quantensprung, auch kommerziell: Platz eins im UK, Top 30 in den USA. Gerade mal ein gutes Jahr ist das her.

Einige Wochen nach der Absolution durch den Familienbeirat haben die neuen Lieder nun einen weitaus wichtigeren Test bestanden. In den letzten Wochen waren die Kings Headliner auf einigen der größten Festivals Europas. Keine Stunde hat es danach gedauert, bis ein Konzert Ende des Jahres in der Londoner O2-Arena ausverkauft war. Um für die größten Konzerte ihrer Karriere gerüstet zu sein, haben sie früher als geplant ein neues Album eingespielt – und dummerweise schlägt sich das auch ein wenig im Resultat nieder. Auf „Only By The Might“ verzichten die Followills auf liebgewordene Manierismen – zugunsten unverkennbarer U2-Zitate. Beeindruckt von einer gemeinsamen Tournee (auch Bono gehört zum Verein der prominenten KOL-Bewunderer), sagte uns Caleb bereits vor einem Jahr, erst durch die Iren habe er erkannt, dass Musiker mit langen Karrieren eben meist nicht die seien, die man morgens um vier an der Bar trifft. Von U2, so Caleb weiter, könne man Demut lernen. Das muss man sich mal vorstellen: Demut! Ausgerechnet von U2. Musikalisch lässt der Sänger den Vergleich ohnehin nicht gelten: „Stilistisch sind wir doch sehr anders. Matthew (Foliowill, Gitarre) arbeitet mit raumgreifenden Sounds, das ist es bestimmt, was du meinst.“ Eine schöne Umschreibung für ein in manchen Passagen doch unverkennbares Edge-Plagiat.

Eine Szene vor wenigen Wochen in Paris: Caleb Followills Bruder ist vielleicht nicht Nathan der Weise. Zumindest ist er aber mit 29 der Bandälteste. Eine Rolle, die er früher auch äußerlich verkörperte. Nun ist er, der aussah wie ein linksromantischer Sozialarbeiter, zum Indoor-Sonnenbrillenträger und Proto-Rocker mutiert. Das ehemals schmale Brüstchen hat er im Fitness-Studio gestählt. Außerdem trägt er eine Weste. Aus Leder.

Caleb selbst hat seine Jesus-von-Nazareth-Phaseüberwunden. Mit Halstuch und braver Kurzhaarfrisur ist er kaum wiederzuerkennen. (Wir müssen übrigens ständig über Aussehen und Klamotten schreiben, weil das äußere Erscheinungsbild dieser Band stets ihre Entwicklung reflektiert.) Bei einer früheren Gelegenheit erzählte der 26-Jährige, er sei generell „sehr unsicher, was die Qualität meiner Arbeit betrifft. Das ist auch ein Grund, weshalb ich manchmal so undeutlich singe, damit man die Worte nicht versteht.“ Jetzt sieht er so aus, wie solche Sätze klingen – wie ein Softie, also sympathisch. Es wäre fast ein bisschen zu einfach, aber natürlich kann man den rührenden Männlichkeitswahn, das antiquierte Frauenbild, das aufgesetzt Coole der frühen Tage durchaus mit Unsicherheit erklären. Der Caleb Followill von heute ist im Gespräch ein sehr ernsthafter, zielgerichteter Mann. Die mit seiner Herkunft verbundenen Klischees, in der Vergangenheit gerne bedient, will er spürbar abschütteln. Er spricht betont akzentfrei und reißt während des gesamten Interviews nicht einen zotigen Witz. Vielleicht ist Caleb Followill ja wirklich erwachsen geworden.

Zum ersten Mal seit seiner Zeit im Kirchenchor habe er auf dem neuen Album richtig klar und deutlich gesungen, erklärte er jüngst dem „New Musical Express“. Inspiriert habe ihn dabei Thom Yorkes Gesang auf „In Rainbows“. Und so kommt, was kommen musste: Neben dem üblichen Liebesleid sowie dem KOL-Dauerthema Heimweh in allen Facetten kommen nun auch die harten Fragen aufs Parkett. In „Crawl“ mit seinem verzerrten, boshaften Bass wird das Ende des amerikanischen Jahrhunderts beschworen, an anderer Stelle dichtet Caleb introspektiver, nicht mehr ganz so laut — und weniger klischeehaft. Aber keine Angst, auch die Legende wird weiterhin bedient: Anfang des Jahres hatten sie während einer mehrwöchigen Pause das Landleben genossen und die Familienbande gestärkt (In einem YouTube-Filmchen sieht man sie sogar Basketball und Golf spielen), ehe sie „Only By The Hipfct“ wieder ein fiinfsilbiger Titel, eine Band-Doktrin – ab April in Nashville aufnahmen. Angeblich nach einem Faustkampf mit Nathan hat sich Caleb gleich zu Beginn die Schulter ausgekugelt, bekam neun Monate Gitarrenverbot, spielte trotzdem bereits drei Tage später wieder und ließ sich bei Bedarf den laxen Arm von einem Assistenten wieder einkugeln. Die Schmerzmittel, die er in dieser Zeit nehmen musste, seien ihm eine Inspirationshilfe gewesen: „Sie versetzten mich in eine tranceartige Stimmung, in der mir die tollsten Sachen einfielen.“ Und natürlich sei auch der Alkohol wieder in Strömen genossen. Denn nur betrunken, so Caleb weiter, könne er ins Herz eines Songs vorstoßen. Betrunkene und Kinder, man kann es nicht oft genug betonen!

Wir wollen diese Aspekte im folgenden Gespräch mit Nathan und Caleb Foliowill außer Acht lassen und stattdessen einige blinde Flecken beleuchten, die bislang hinter der ganzen soiVi-of-a-praacher-man-Chose relativ unbeleuchtet blieben.

Rhythmisch folgt ihr selten gängigen Rock-Konventionen. An wem hast du dich als junger Schlagzeuger orientiert, Nathan?

Nathan: Inzwischen kenne ich all die großen Drummer, aber geprägt wurde mein Spiel in den Kirchen von Mississippi und Alabama. Diesen Namenlosen in den umherziehenden Gospel-Bands habe ich unendlich viel zu verdanken. Ich saß stundenlang hinter der Bühne und habe alle Eindrücke aufgesogen. Beim Gospel geht es um Groove. Auch ich bin kein Selbstdarsteller am Schlagzeug, sondern versuche, besondere Grooves zu kreieren, die unsere Songs bereichern.

Nachdem ihr euch Ende der Neunziger in Nashville niedergelassen hattet, versuchtet ihr beiden euch zunächst als Country-Duo. Ihr seid damals auf Rodeos aufgetreten und wolltet euren Lebensunterhalt als Lohn-Songschreiber bestreiten. Hätte es die Kings Of Leon jemals gegeben, wenn ihr damals erfolgreicher gewesen wärt?

Caleb: Das wäre gar nicht möglich gewesen. Alles, was wir schrieben, war unfassbar schlecht. Das Problem war, dass diese kommerziellen Country-Songs nichts mit uns zu tun hatten. Immerhin wurde uns durch diese Erfahrung klar, dass wir überhaupt Musik machen wollten. Und nachdem das einmal geklärt war, konnten wir genauso gut die Art von Songs schreiben, die wir wirklich machen wollten. Über Sex und Drogen, den Tod, die Liebe und das Leben.

Wie kamen dann eure – zu dieser Zeit noch sehr jungen – Verwandten dazu?

Caleb: Mein Bruder Jared war erst 14. Da ich meine ersten Song-Versuche betreffend noch ziemlich unsicher war, bat ich ihn stets in mein Zimmer und spielte ihm all meine Ideen vor. Er beherrschte zwar kein Instrument, war aber immer schon sehr musikalisch. Zudem hatte Jared eine Menge Kids mit gutem Musikgeschmack in seiner Klasse, und ich wollte rausfinden, ob überhaupt irgendjemand mit meiner Musik etwas würde anfangen können. Mein kleiner Bruder konnte das am besten beurteilen. Schließlich kam er täglich, und mir wurde klar, dass er ein Teil von dem sein wollte, was da im Entstehen begriffen war. Also kauften Nathan und ich ihm ein Instrument und sagten: „Wenn du dabei sein willst, dann nicht nur weil wir verwandt sind. Du musst üben, üben, üben.“ Nun: Er hat das durchaus wörtlich genommen, denn inzwischen ist er besser als wir alle zusammen, (lacht) Euer damals 16-jähriger Cousin Matthew wohnte nicht bei euch im Haus, wie seid ihr auf ihn gekommen?

Nathan: Wir holten ihn übers Wochenende zu uns, er spielte bereits Gitarre. Seine Mutter war besorgt, er müsse Montag wieder zur Schule. Wir versprachen ihr, dass er pünktlich zurückkomme, er aber dachte gar nicht daran. So verstrich der Montag, der Dienstag. Irgendwann riefen wir bei seinem Vater an. Seine Eltern lebten getrennt. Der Vater wohnte in Oklahoma und Matthew war bei seiner Mutter in Mississippi. Nur sein Vater wusste, dass wir zusammen Musik machen wollten. Also überredeten wir ihn, Matthews Mutter zu erzählen, dass er seinen Sohn über die Sommerferien zu sich holen wolle. Das hat er auch gemacht, aber statt nach Oklahoma kam Matthew zu uns nach Tennessee – und wir konnten in Ruhe arbeiten. Irgendwann waren die Sommerferien vorbei, aber da war es schon zu spät. Matthew kehrte weder zurück in die Schule noch zu seiner Mutter.

Und das hat die gute Frau klaglos akzeptiert?

Caleb: Sie war alles andere als glücklich. Als wir in Memphis unsere erste EP aufnahmen, kam sie ins Studio. Natürlich hielt sie unsere Musik für Teufelszeug, aber irgendwie hat sie wohl auch gesehen, was es Matthew bedeutete, dabei sein zu können. Jedenfalls mehr als die Kirchenschule, auf der er vorher war.

Wie klangen denn eure ersten Gehversuche, noch vor der angesprochenen EP „Holy Roller Novocaine“?

Caleb: Erbärmlich. I love you, do you love me too, there’s something we can do, und so weiter, (lacht) Aber das ist normal, man muss sich ausprobieren und Selbstbewusstsein entwickeln. Hör dir die ersten Sachen der Beatles oder Stones an. Am Anfang schreiben sie alle simple Love-Songs mit schlechten Reimen. Wie man es besser macht, begannen wir erst zu lernen, als wir erstmals Bob Dylan hörten. Er schreibt so wunderbare Songs, aber bei ihm reimt sich nicht alles, und manches ergibt keinen Sinn. Ich meine, „Leopard-Skin Pill-Box Hat“, was ist das? Wahrscheinlich weiß er es nicht einmal selbst. So haben wir gelernt, unsere Kreativität frei fließen zu lassen. Das Visier hochzuklappen und auch Unsicherheiten zuzulassen braucht freilich Mut und eine gewisse Erfahrung.

Welche Rolle hat zu Beginn eurer Karriere der Produzent Angelo Petraglia (Emmylou Harris, Patty Griffin) gespielt, mit dem ihr jetzt auch das neue Album aufgenommen habt? Die Auditions, denen ihr euren Plattenvertrag verdankt, habt ihr noch mit ihm gespielt und auch das erste Album zusammen geschrieben. Anfangs war er also eine Art musikalischer Ziehvater für euch, es gab sogar das Gerücht, er habe euch gecastet…

Caleb: Zunächst wollten wir von ihm lernen, wie man Country-Songs schreibt. Wir kamen also in sein Haus. Er hatte lange Haare, und überall standen Gitarren. Wir hatten Gras dabei und fragten, ob er etwas dagegen habe, wenn wir einen rauchen würden. Hatte er nicht, ganz im Gegenteil. Wir wussten sofort, dass er der richtige Typ für uns war. Also begannen wir mit ihm zu arbeiten. Er war der erste, der uns Dylan, die Stones, die Kinks und all diese Bands vorgespielt hat. Wir hatten ja keine Ahnung. Er hat unseren Horizont erweitert. Außerdem hat er gemerkt, dass wir uns danach sehnten, eine Band zu haben. Immer wieder hat er uns ermutigt und zugeredet. Er nannte uns Kings Of Zion — wegen der Kifferei. So kamen wir auf Kings Of Leon, unserem Vater Leon zuliebe. Später hat sich das Verhältnis gewandelt. Heute könnte ich mir nicht mehr vorstellen, mit außerhalb Stehenden zu schreiben. Zumal wir jetzt alle vier Songs schreiben. Aber Angelo war bei jedem Album in irgendeiner Form beteiligt und ist als Korrektiv für diese Band unersetzlich.

War die viel beschworene Famihenbindung ein Grund, dass es euch schneller als anderen gelungen ist, auf Drogen zu verzichten?

Caleb: Das lag eher daran, dass wir keine Lust hatten, 20 Jahre schlechte Platten zu machen. Wir kamen an einen Punkt, an dem wir merkten, dass das Partyleben auf Kosten unserer Musik geht. Das wollten wir auf keinen Fall riskieren.

Nashville entwickelt sich zunehmend zu einem Zentrum des jungen US-Rock. Die Raconteurs leben dort, Teile von My Morning Jacket und einige andere. Seid ihr mit diesen Leuten vernetzt?

Nathan: Wir kennen sie, sehen einander aber wegen der vielen Tourneen relativ selten. Kürzlich trafen wir uns mit den Raconteurs zum Baseball, aber dann hat uns ein Sturm einen Strich durch die Rechnung gemacht. War aber trotzdem noch ein schöner Abend. Insgesamt kommt es selten vor, dass wir alle zur gleichen Zeit in der Stadt sind. Wir treffen uns häufiger auf irgendwelchen Festivals als in Nashville.

Caleb: Jack White zum Beispiel habe ich vor zwei Tagen in London im Aufzug getroffen. (lacht) Als Band macht ihr nach wie vor einen ungemein ehrgeizigen Eindruck…

Caleb: Ja, wir sind ehrgeizig. Deshalb mögen wir keine langen Pausen, da verliert man nur den Anschluss. Wir sehen diese ganze Sache sportlich: Wir sind ein Team und stehen in Konkurrenz mit all den anderen Teams da draußen.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates