Alle Femininen Rock-Spielarten der Gegenwart: Mary Timony und Helium

Die Menschen in „Heinz Karmer’s Tanzcafe“ schreien an diesem Abend nicht gerade danach, unterhalten zu werden. Der Wirt kauert genervt hinterm Tresen ein paar Tage zuvor hat ihm eine Band den Hamburger Club zu Bruch gehauen, um danach die Einlage aus der Kasse mitgehen zu lassen. Und die Hänger an der Bar gehen völlig in der Aufgabe auf, neue Wege zu erschließen, das Etikett am Flaschenhals ihres Bieres abzuschaben. Aber immerhin lassen sich die zwei Männer in der Bühnenecke dazu überreden, ihre Sessel ein wenig beiseite zu schieben.

So findet denn Mary Timony Platz für ihren Verstärker. Die Chefin von Helium ist für Interviews in der Stadt und hat nichts dagegen, solo ein paar Songs zu spielen. Jetzt wenden sich ihr eine Handvoll Interessierter zu, während die anderen weiter unbeeindruckt an ihren Bierflaschen schaben. Unsere Künstlerin versinkt in sich selbst. Auf Platte sind ihre Stücke Noise-Brecher, hier verlangsamen sie sich, manchmal bis zur Unkenntlichkeit.

Die Gitarre schnarrt, die Stimme ist groß. Verfügt die Frau aus Boston im Studio über zig Arten, „Dirt“ zu artikulieren, ist ihr Ausdruck jetzt auf ein weiches Beben reduziert. Der Gesang als letztes Mittel der Selbstvergewisserung. Und ab sanfte Waffe, sich Raum abzustecken. Eine Menge Idioten stolpern an diesem Abend ganz dicht an ihr vorbei zu den Toiletten, keiner stößt gegen das Mikro. Ich sage es noch einmal: große Stimme. Mary Timony: „So klingt sie, wenn ich ängstlich bin.“

Guter Satz, nicht kokett. Auf der Medienseite war die Spannung, wer sich hinter Helium verbirgt, enorm. „The Dirt Of Luck“, das erste Album, versammelt Elemente aller relevanten femininen Rock-Spielarten der Gegenwart, ohne in der Summe das zwingende Konzept eines neuen Rollenmodells zu liefern. Das Spiel mit den Insignien der Weiblichkeit roter Büstenhalter oder Nagellack auf Bildern im CD-Booklet erinnert an Liz Phair, mit der Timony das Label teilt und die sie schätzt; ihre Vorliebe für archaische Termini läßt Vergleiche mit PJ Harvey zu; und wenn sich die Mittzwanzigerin „Bitch“ auf die Stirn druckt, erinnert das an die „Riot Grrrls“. Die Musik ist eruptiv, elegant und voller Risse. Wer es ehrlich meint mit Helium, wird der Band kein griffiges Image andichten.

Und Mary Timony ist die Letzte, die sich selber eins zusammenschustert. Zuschreibungen wie obige akzeptiert sie, ohne sich ihnen verpflichtet zu fühlen. Zweifel werden geäußert, aber keine Positionen veräußert. Einige Texte analysiert sie bereitwillig mit Gesprächspartnern, andere sind nicht auf dem Textblatt abgedruckt, weil sie zu persönlich sind. Eine sehr private Angelegenheit, das sind Helium.

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