Als ihr Meisterwerk floppte und der Sänger erkrankte, lösten sich die AFGHAN WHIGS auf. Das Comeback erfreut, die Musik aber erstaunt

Es hätte genausogut das Ende der Band sein können. Armer Greg Dulli? Eine bange Frage, die sich inzwischen, zum Glück, erübrigt hat „1965“ heißt die sechste LP der Afghan Whigs – für die Band ein Neubeginn, so platt dieser Begriff auch klingen mag. Der kurze Rückblick auf eine turbulente Karriere ist sicher hilfreich.

Als ich Dulli vor zwei Jahren traf, hatte er sich gerade bei einem Konzert die Rippen geprellt und erzählte im Interview von seiner erst vor kurzem überwundenen Agoraphobie, die ihn über ein halbes Jahr lang in seiner Wohnung gefangengehalten hatte. Bald darauf erschien „Black Lore“, der allseits mit Spannung erwartete Nachfolger ihres Meisterwerks „Gentlemen“ der dank dubioser Geschäftspraktiken der damaligen Plattenfirma Elektra kommerziell aber zum totalen Reinfall wurde.

Die Wege der arg frustrierten Whigs verloren sich daraufhin in alle Himmelsrichtungen. Bassist John Curley, ältester Weggefahrte Dullis, zog sich in seine Heimatstadt Cincinnatti zurück und widmete sich dort seinem Hobby, der Fotografie. Gitarrist Rick McCollum verzog sich nach Minneapolis, und auch Dulü hielt es nicht länger in der Wahlheimat Seattle: Er zog nach New Orleans und stürzte sich zunächst einmal Hab über Kopf ins sagenumwobene Nachtleben des French Quarters.

Die richtige Umgebung für jenen Mann, der einst seine schwarzhumorige Lyrik, seine religiös durchtränkten Beziehungsdramen mit „Black Love“ in obsessive Höhen katapultiert hatte? Scheinbar nicht. Denn Dulli, von erneuten Anfallen manischer Depression arg gebeutelt, mußte schließlich doch noch in Therapie. „Das vergangene Jahr war mit Abstand das härteste meines Lebens“, kann er heute entspannt verraten und tut die überstandenen Qualen cool mit einem Grinsen ab. „Aber jetzt fühle ich mich rundum glücklich. Ich glaube, ich war noch nie wirklich happy, und daher kommt es mir noch ein bißchen ungewohnt vor. Aber eines tut wirklich verdammt gut: nicht mehr das masochistische Arschloch zu sein.“

Zugenommen hat Dulli auch, und das schelmische Robin-Hood-Grinsen weicht kaum noch aus seinem pausbäckigen Gesicht, speziell dann nicht, wenn sein stoischer Gegenpart „Little John“ Curley in der Nähe ist. Die verbliebenen Schatten all der düsteren Abgründe von einst arbeitete Dulli mit seinem Nebenprojekt, den Twilight Singers, auf. Deren Album „Twilight“ wird vermutlich im Frühjahr ’99 erscheinen. Neben Dulli waren mit dabei: Harold Chichester (Howlin‘ Maggie) sowie Shawn Smith (Brad, Pigeonhed, Satchel). All das sorgte für frischen Wind im Lager der Afghan Whigs, das diese nach ihrer feuchtfröhlichen Wiedervereinigung dann in Daniel Lanois‘ Kingsway Studio in New Orleans aufschlugen. „Glaub ja nicht, daß wir Daniel jemals zu Gesicht gekriegt hätten“, lacht Curley, „der Typ war natürlich ständig unterwegs. Aber dafür sind wir wenigstens einem seiner Vorfahren begegnet: dem Vampir Lanois, der ein echter Geist sein soll. Er stand plötzlich auf der Treppe vor mir, stocksteif, sagte keinen Ton. Das ging einem wirklich unter die Haut.“

Nun, da man dank dieser und ähnlicher Erzählungen eine vage Ahnung bekommen hat, wie die Atmosphäre bei den Aufnahmen zu „1965“ gewesen sein muß, kann man sogar verkraften, daß die Zeiten, da die Whigs mit stilvoll-sinistren Blut- und Rache-Epen zu begeistern wußten, definitiv vorüber sind: Das neue Album klingt noch weniger nach Rock ab sein Vorgänger und besticht vor allem durch die Kürze und Kompaktheit seiner Songs. Von Konzept keine Spur«?

„Ursprünglich sollte das Ganze ein Party-Album sein, nur von Sex handeln und „Stand Up To Get Down“ heißen“, erklärt Dulli, „aber plötzlich fiel mir ein, daß Sex ja auch was mit Leidenschaft zu tun hat – und diese Leidenschaft, die hat so einige Untiefen. Daher sagten wir dem Partyspaß ade und einigten uns auf „1965“, weil es Johns ab auch mein Geburtsjahr ist und überhaupt alles so sehr nach Motown und dem Soul der Sixties klingt.“

Die Produktionskosten des neuen Album mußte Greg Dulli noch aus eigener Tasche berappen, doch fand sich natürlich schnell wieder ein Major-Label, das die neuen und verbesserten Whigs unter Vertrag nahm – ab Party-Combo mit düsterer Seele. Selbst damit kann man ja glücklich werden..

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