Alter Herr im Remix

In den Fünfzigern wurde Pierre Henry zum Pionier der elektronischen Avantgarde. Jetzt setzten ihm seine jungen Kollegen ein cooles Denkmal

Wild war das schon. Der Platz vorm Centre Pompidou voll mit Lautsprechern. Eine Anlage, deren Power jeden Love-Parade-Wagen von der Straße fegt. Und in der Mitte ein unscheinbarer, verschmitzt lächelnder Senior am Mischpult, der per Knöpfchen und Schiebereglern überraschten Passanten eine unverhoffte Dröhnung verpasst. Schöne, verkehrte Welt. Obwohl, für Pierre Henry ist der Auftritt beim Pariser Sommerfestival eigentlich keine ungewöhnliche Aktion, eher die logische Folge einer 50-jährigen Künstlerlaufbahn.

Denn zu einem Zeitpunkt, an dem andere sich längst auf ihren Landsitz zurückgezogen haben, um am ultimativen Alterswerk zu werkeln, hat der 73-jährige Ahnherr der musique concrete seine späte Berufung entdeckt. Henry komponiert und remixt Techno. Das ist revolutionär, weil es der mühevoll designten Ästhetik einer Musik ohne Bedeutung widerspricht. Schließlich hatten sich die DJs und Festplattenartisten mit dem Dogma der Funktionsbezogenheit ja von dem absetzen wollen, was bislang die Popmusik beherrschte. Die Klänge, die sie produzierten, waren in hohem Maße austauschbar, von minimaler Halbwertzeit und lediglich situativem Gebrauchswert. Schein war Sein und Trash Kultur. Zumindest für den konventionellen Betrachter.

Denn so dünnbrüstig die Elaborate der Väths, Westbams, Bukems und Atkins an der Oberfläche auch wirkten, sie waren dennoch eine Konsequenz aus der Historie. Sie konnten sich von ihr ebenso wenig abkoppeln, wie sie es eigentlich intendiert hatten. Die postmoderne Losgelöstheit von Vorbildern schlug bald in einen indirekten Heroenkult um Leute wie Stockhausen und Kollektive wie Kraftwerk um.

Und siehe da – in diesem Zusammenhang tauchte auch Pierre Henry wieder auf. Denn die Archäologen unter den DJs entdeckten bald, dass sich die Wurzeln der elektronischen Musik bis ins Paris der späten Vierziger zurück verfolgen ließen. Damals hatten sich in den Studios des französischen Rundfunks ein paar Technikfreaks zusammengefunden, um hier die neuen, scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten der Tonerzeugung zu erforschen. Die Herren wollten mit futuristischen Morphophonen und neuen Magnetbandmaschinen Geräusche und Sinustöne, Sprachfetzen und Atmosphären verbinden. Es war der Versuch, optisch progressive Visionen wie Walther Ruttmanns „Symphonie einer Großstadt“ auf die Welt der Sounds zu übertragen. Der Versuch nahm Formen an, als der Pianist und Komponist Henry 1949 zu den Ingenieuren stieß. Jetzt passte alles: Die Verquickung von Künstlichkeit und Alltagsbezogenheit und die strukturelle Einbettung in die Ideenwelt der zeitgenössischen Moderne.

Doch in den Sechzigern verebbten das öffentliche Interesse an ihrem Gezische und Geblubber und damit auch die Fördergelder. Henry aber gab nicht auf und schrieb nun Filmmusiken und Auftragskompositionen. Die Beharrlichkeit zahlte sich aus. 1998 trat er beim Jazzfestival in Montreux auf. Der Remix der damals uraufgefuhrten „Dixieme Symphonie“ ist soeben auf CD erschienen. Damit nicht genug. Henry drückte Bänder früherer Werke Jungkollegen wie Fatboy Slim, William Orbit und DJ Koze in die Hand. Resultat:

„Pierre Henry -Variation „, das coolste Remixalbum der Saison. Ein alter Herr macht’s möglich.

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