Alvaro Soler im Interview: Warum nur Spanisch Sinn macht
Alvaro Soler über „El Camino“: neues Album, globale Instrumente, spanischer Pop ohne Klischees, Konzerte, und Social-Media-Balance
Mit „El Camino“ veröffentlicht der spanisch-deutsche Popsänger Alvaro Soler am 10. Oktober 2025 sein neues Album. Darin besingt der 34-Jährige seine Beobachtungen aus der (digitalen) Welt und spielt auf Instrumenten aus verschiedenen Ländern. ROLLING STONE hat mit Soler über seine musikalischen Einflüsse gesprochen – und wie es ist, gegen Klischees anzukämpfen.
Bis in die 1990er-Jahre existierten ganze Abendsendungen, in denen Künstler aufgetreten sind, die in einer anderen Sprache als Deutsch oder Englisch gesungen haben. Italienisch mit Eros Ramazotti, Französisch mit Mireille Mathieu … Sie beleben den Trend mit dem Spanischen neu. Wie oft kommt es vor, dass Produzenten oder Marketing-Experten sagen: „Sing doch mal nur Deutsch“?
Bei mir ist das nicht der Fall. Ich bin nicht nur in Deutschland erfolgreich, sondern international. Würde ich ausschließlich auf Deutsch singen, wäre das sogar ein schlechter Schritt, weil ich damit nur den deutschen Markt bedienen würde. Menschen in Italien, Spanien, den Niederlanden oder Belgien würden sich fragen, warum ich plötzlich auf Deutsch singe, obwohl Spanisch zu meiner künstlerischen Identität gehört. Es hängt also stark von der Frage ab: Wer bin ich eigentlich? Wo komme ich her? Ich bin in Barcelona geboren. Mein Vater ist Deutscher und hat in Deutschland gelebt.
Hält man Sie manchmal für Nur-Deutsch?
Als ich nach Berlin kam, entstand durch mein gutes Deutsch leicht der Eindruck, ich sei „deutscher“, als ich es tatsächlich bin. Das führt gelegentlich in die Irre. Tatsächlich bin ich jedoch nicht in Deutschland aufgewachsen. Mir fehlen daher viele hiesige Kindersendungen und kulturelle Bezugspunkte, die viele hier kennen. Entsprechende Formate habe ich erst später kennengelernt. Vom Label gab es daher nie eine entsprechende Anfrage – man wusste auch, dass Spanisch derzeit sehr gut funktioniert.
Mehrsprachigkeit, Klischees & Sommerhits
Es ist inzwischen selten, mit spanischsprachiger Musik Hits zu landen. Oft sind es eher oberflächliche Party-Titel.
Ich musste heute Morgen in einem Interview erneut gegen dieses Klischee argumentieren. Manche setzen spanische Musik mit Party und Ballermann gleich – als sei Spanien nur das. Dabei bietet die Musik viel mehr Facetten. Eine Zeit lang dominierten „Sommerhits“ von geringer Qualität – Fast-Food-Musik. Weil ich Spanisch singe, klingt es für manche automatisch nach „Sommerhit“. Tatsächlich mache ich spanischsprachigen Pop, und so wird es in Spanien auch wahrgenommen.
Welches ist Ihr Lieblingsvideo?
„Si te vas“ von 2021. Zuvor hatten wir große und teure Produktionen gedreht, mit Fernreisen und großen Teams. Ich wollte bewusst wieder ein kleines, nahbares, authentisches Video umsetzen. Am Set waren nur Andi, also mein Manager, ich, der Kameramann und seine Freundin als Produktionsassistenz. Wir planten alles gemeinsam und suchten die Drehorte selbst aus.
Ein Freund besitzt in der Nähe eine verlassene Halle mit alten Booten – perfekt für die geplante Storyline. Da ich in der Gegend aufgewachsen bin, kannte ich mich gut aus. Durch das kleine Team waren wir extrem flexibel. Beides zusammen macht „Si te vas“ zu meinem Lieblingsclip. Wir wurden sogar bei den Amsterdam Music Video Awards als „Bestes Musikvideo“ nominiert – was danach geschah, wissen wir allerdings nicht.
Erster Spaß an Musik, Schulband in Tokio
Wann hat Ihnen Musikmachen am meisten Freude bereitet?
Vielleicht ganz am Anfang, mit meiner Schulband. Ich lebte von zehn bis siebzehn in Tokio und besuchte die Deutsche Schule – eine internationale Schule, an der viele Kinder wegen der Jobs ihrer Eltern alle paar Jahre wechselten. Man musste ständig neue Freundschaften schließen. Das war schmerzlich, lehrte aber Offenheit. Wenn neue Schülerinnen oder Schüler kamen, fragten wir sofort, ob sie ein Instrument spielen, und gründeten daraus Bands. Wir gingen auch gemeinsam in den Chor – nicht wegen Perfektion, sondern wegen des gemeinsamen Erlebnisses. Damals war Musizieren völlig frei von Verkaufs- oder Streamingdruck: reine Freude an der Musik.

Spanische Referenzen & Verbindung ohne Sprachverständnis
In meiner Jugend war „Entre dos tierras“ von Héroes del Silencio ein Hit. Viele sangen mit, ohne Spanisch zu können. Woran merken Sie, dass das Publikum inhaltlich andockt, auch ohne Textverständnis?
Von diesem Song höre ich immer wieder. Der war vor meiner Zeit. Konzerte sind dafür der beste Ort. Allein, dass Menschen in einem nicht spanischsprachigen Land wie Deutschland zu meinen Konzerten kommen, berührt mich. Man spürt in jeder Stadt, wie das Publikum reagiert. Manche meiner Lieder sind im Dreivierteltakt – sehr traditionell, akustisch mit Band. Viele verstehen die Texte nicht, spüren aber die Atmosphäre. Obwohl solche Lieder oft keine Singles sind, filmen viele diesen Moment, weil sie die emotionale Bedeutung erkennen. Tiefgründigkeit lässt sich auch ohne Sprachkenntnisse erfassen. Wichtig ist zudem, dass auch uptempo-Titel inhaltliche Tiefe haben können. Wenn Menschen dazu tanzen, ist das kein Widerspruch – es zeigt, dass der Beat trägt. Konzerte sind eine Reise; das Publikum lässt sich darauf ein.
Welches war Ihr bisheriges Lieblingskonzert?
Dieses Jahr: ein Festival in Ostrava, Tschechien, etwa 40.000 Besucher. Die Menschen dort sind sehr offen, viele entdecken gern neue Musik. Sie sangen so laut mit, dass es überwältigend war. Beeindruckend war auch die Konzentration: Wenn ich sprach, war es still – nicht selbstverständlich auf Festivals. Insgesamt: Taormina auf Sizilien, in einem antiken römischen Amphitheater mit Blick auf Meer, Küste und den rauchenden Ätna. Eine Kulisse wie im Film, unvergesslich.
Verantwortung & Politik in der Musik
Empfinden Sie angesichts wachsender Spannung innerhalb der EU Verantwortung, politisch zu sein?
Ja. Meine Verantwortung besteht vor allem darin, meine Geschichte zu erzählen – in der Hoffnung, Neugier und Offenheit zu wecken. Meine Kindheit war kosmopolitisch. Durch Reisen haben wir gelernt, Menschen nicht nach Herkunft zu beurteilen. Unwissenheit und mangelnde Neugier führen zu Missverständnissen. Wichtig sind Respekt gegenüber der Kultur des Gastlandes – und umgekehrt Respekt gegenüber Gästen. Lösungen sind schwierig, weil täglich Entscheidungen fallen, die Menschenleben betreffen. Das ist frustrierend.
Produktion: Digital vs. Akustisch, Instrumentensuche
Die Produktionsnotizen von „El Camino“ weisen viele exotische Instrumente auf.
Ich war in einer privaten Sammlung von Freunden der Familie, die jährlich Instrumente aus aller Welt zusammentragen. Mit ein paar Mikrofonen habe ich dort vieles aufgenommen – unter anderem eine riesige, zwei bis drei Meter lange Trommel, die früher in Indonesien an Ästen hing und zur Begrüßung geschlagen wurde. Zu jedem Track gibt es auf dem Album versteckte Koordinaten; für dieses Instrument konnten wir die genaue Herkunft leider nicht ermitteln. Im Artwork sind die Koordinaten als kleiner Hinweis zu finden.
Die Trommel habe ich mit den Händen gespielt – percussiv und warm. Der Klang ist im Song „Buena Vida“ zu hören, am Ende sogar solo mit Percussion und Stimme. Live emulieren wir solche Layer teils per Backing, teils mit zusätzlicher Percussion. In einer digitalen Welt ist es leicht, auf MIDI zurückzugreifen. Doch einzigartige akustische Quellen verleihen einem Album eine eigene Klangwelt – das war mir wichtig.
Wie sind Sie du zur Musik gekommen?
In Japan wünschte ich mir zu meinem zehnten Geburtstag ein Keyboard. Ich konnte keine Noten lesen, lernte über eine Lernfunktion Taste für Taste ganze Stücke. Später kam die Band in der Schule dazu – Musik als gemeinsames Tun. Neugier ist bis heute mein Motor.
Wie entstand die erste Band?
Anlass war der Abschied einer Mitschülerin, die nach Brasilien zog. Wir wollten ihr Songs vorspielen: Jemand kannte die Akkorde von „Let It Be“, ein anderer sang, ich übernahm spontan das Schlagzeug – mein erster Bühnenauftritt überhaupt. Danach wurden wir zum Weihnachtsfest eingeladen; so begann unsere kleine „Bandkarriere“. Mein Bruder sang in einer weiteren Schulband.
Social Media: Nutzen & Grenzen
Sie singen auch über den nötigen Abstand zu Social Media. Ihre eigenen Kanäle pflegen Sie oder ihr Team aber recht gründlich …
Es ist ein ambivalentes Verhältnis. Social Media ermöglicht wunderbare Kommunikation, erzeugt aber auch ungesunden Vergleichsdruck. Zu Hause helfen „digitale Freizonen“: kein Handy im Schlafzimmer, idealerweise auch nicht beim Essen. Kürzlich zeigte ein einfacher Post über signierte CDs sofortige Wirkung in den Amazon-Verkäufen – Social Media kann also sehr wirksam sein.
Gleichzeitig entsteht das Gefühl, ohne Posts nicht zu „existieren“. Vollständig auszusteigen ist schwierig. Manche, wie Lena Meyer-Landrut, haben längere Pausen eingelegt – was ich respektiere. Gerade Frauen stehen unter zusätzlichem Vergleichsdruck.
Haben Sie ein Idol?
Kein klassisches Idol mit Postern und Fanritualen. Aber ich habe mir von vielen Künstlern etwas abgeschaut: John Mayers Gesang und Gitarrenspiel, Adam Levines Falsett, Phil Collins – etwa seine Filmmusik zu „Tarzan“. Verehrung ja, Einseitigkeit nein.
Sie sind unlängst Vater geworden. Führen Sie es an ein Instrument heran?
Klar. Bei „The Voice Kids“ bekommen Kinder in meinem Team eine Ukulele – zu Hause haben wir daher mehrere. Unsere Tochter liebt die Ukulele und kleine Shaker. Musik spielt in ihrem Alltag – und in der Kita – eine große Rolle und ist für Kinder erwiesenermaßen wichtig. Ob sie später selbst Musik machen will, wird sie frei entscheiden. Wir geben ihr Möglichkeiten und Unterstützung.
Mitarbeit: Ted Niasseri.