Am Anfang waren die Fantastischen Vier: Die Mutter aller deutschen HipHop-Bemühungen zeigt noch einmal, wie es geht

Die Henne und das Ei. Die Fantastischen Vier und der deutsche HipHop. Die Entstehung des einen setzte die Existenz des anderen voraus. Und umgekehrt. Schwer zu sagen, was wichtiger war fiir das Vorhandensein von beidem. Schön aber, zu wissen, daß es so gekommen ist, wie es gekommen ist. Der Rest ist doch eigentlich egaL Oder? Nicht so ganz. Als die Fantastischen Vier Anfang der Neunziger den deutschsprachigen HipHop aus der Wiege hoben und ihn im folgenden durch den großen Erfolg der Single „Die da“ und des dazugehörigen Albums „Vier gewinnt“ popularisierten, ernteten sie naturgemäß auch Spott und Verachtung – und das nicht zu knapp. Der kursierende Begriff „deutscher Hip Hop“ führte in die Interpretations-Irre. Ohne recht hinzuhören wurden ihnen „Pseudo-Gangsta-Gepose“ und ähnliches vorgeworfen. Dabei wollten die vier doch nur ihren Spaß: in ihrer Sprache, mit ihrer Lieblingsmusik. Niemals kokettierten sie mit Ghetto-Gepflogenheiten, niemals machten sie einen Hehl aus ihrer etablierten schwäbischen Herkunft. Noch heute sagt Vor-Rapper Smudo: „So amerikanisch wie diese Musik kann man gar nicht sein.“ Wollten sie auch nie. Angreifbar machten sie sich durch grenzenlose Naivität. Ihre Debüt-Platte brachten sie – wenn schon, denn schon! – gleich bei einer „Major Company“ heraus und nannten sie – Herr im Himmel! auch noch Jetzt geht’s ab“. Was soll da „die Szene“ denken? Als sie dann auch noch Werbung für Orangensaft rappten, war der Szene-interne Sympathie-Ofen endgültig aus. Polar erkaltet geradezu. „Vier gewinnt“ wurde dreifach vergoldet – nicht gerade integer, befand die Szene. Eine unglückliche Gleichung wurde aufgestellt: Erfolg – „kommerzielle“ Musik – verabscheuenswert Die Fantastischen Vier galten – und gelten – aufgrund einiger popmusikalischer Hits als Wirsind die Welle Am Anfang waren DIE FANTASTISCHEN VIER: Die Mutter aller deutschen HipHop-Bemühungen zeigt noch einmal, wie es geht „Mainstream . Gar nicht gut fürs Image in HipHop-Kreisen. Sogar bei Dieter Thomas Heck durften sie herumhampeln; auch das war natürlich nicht so cooL Vielleicht war es das Schulterklopfen von Schlager-Ruine Bernd Güver, das die Band wachrüttelte. Noch heute erinnern sie sich mit einer Mischung aus Grusel und Amüsiertheit, wie er ihnen kollegial zuraunte: „Tolle Nummer! Was zwei ist, kann auch eins werden!“ Da war’s genug mit der „Medienachterbahn“ (Smudo), da traten sie auf die Spaßbremse, hielten inne und verwirrten Kritiker und Fans mit der sehr introvertierten Platte „Die Vierte Dimension“. Die vormals lärmenden Vorstadtjungs begannen auf einmal tatsächlich zu reflektieren, den Reimzwang in Richtung Lyrik umzubiegen. Ihr vorheriges Prinzip, die Welt am Spaß zu messen, kehrten sie um und stellten aufregende Fragen, skizzierten erstaunliche Antworten. Musikalisch war diese Platte überraschend experimentell, eher Trance oder Ambient denn „Hört mal her“-HipHop. Zur Überraschungaller war der Spaß beinahe gänzlich verschwunden. Die Plattenverkäufe gingen vom Ausnahme-Level herunter auf ein immer noch hohes Normalmaß, auch die „Vierte Dimension“ wurde für die Anzahl der Verkäufe vergoldet Für den Einfluß auf die Entwicklung der Band aber wäre Platin gar noch untertrieben gewesen. Doch danach fragt niemand. Im Gegenteil: Inzwischen war deutschsprachiger HipHop etabliert. Um beim Eingangsbild von der Henne und dem Ei zu bleiben: Die Fantastischen Vier fungierten wider Willen als Spiegeleier, etliche Bands folgten ihnen nach auf dem nun nicht mehr ganz so aufregenden Weg, deutsch zu rappen. Doch anstatt die „Väter der Bewegung“ zu achten und zu ehren, machte man sich rüpelnd an die Demontage. Viele Bands erlangten erst durch plattes Polemisieren gegen die Fantastischen Vier Aufmerksamkeit Vorreiter war da sicherlich das pöbelnde Rödelheim Hartreim Projekt um den Reagenzglas-Unhold Moses P. Deren Hauptbeschäftigung war das „Dissen“: das vitriolische Lästern über Kollegen. Nicht zuletzt dadurch wurden sie für die Medien und also auch für die Käufer interessant Provocation sells. Die Fantastischen Vier ließen sich jedoch nicht auf diesen Kleinkrieg ein, attestierten nur „Plumpheit mit Kalkül“, firmierten mit der Metal-Band Megalomaniacs unter dem Projektnamen „Megavier“ und brachten eine waschechte Crossover-Platte heraus, in der sie zum Großteil eigene Werke verwursteten, ja geradezu persiflierten. Die Abkehr vom allzu launigen Image war geschafft In aller Ruhe konnten sie sich an die Arbeit zum nächsten Album machen. Die Rödelheimer mußten wohl oder übel auf eine Reaktion warten – und verabschiedeten sich derweil aus den Charts. „Lauschgft“ heißt nun die neue Platte der Vier, und sie vereint die ansteckende Freude der ersten beiden Platten und den ambitionierten Umgang mit Wort und Geräusch der „Vierten Dimension“. Schizophrenie als Spannungsbogen: Setzen sie sich in einem Song noch reflektierend mit ihrer Situation als Stars auseinander („Populär“), so wird schon im darauffolgenden Stück überschäumend herumgebrabbelt: „Komm doch mal her zu mir!“ Auf „Lauschffft“ finden sich auch – endlich – direkte Statements zur selbsternannten Konkurrenz. Nachhaltig insistieren die Vier auf dem Status der Initialzünder. Thomas D. bezeichnet im Gespräch das Heer der Nachgefolgten als „einen großen Kindergarten mit Themen, die mir nichts bringen“. Smudo wird konkret: „Die versuchen, auch mal klug zu sein, mit Begriffen aus dem Gemeinschaftskundeunterricht.’* Beinahe ohne Arroganz nennen sie das Kind beim Namen: „Die haben uns als Mittel benutzt, um populär zu werden, und das hat ja auch ganz gut geklappt“ Ein wenig um Objektivität bemüht, versuchen sie, ihre Bedeutung für die Genese deutschen HipHops zu relativieren: „Das wäre auch ohne uns irgendwann gekommen“, geben sie sich bescheiden. Die Kollegenschelte scheint ihnen am Herzen zu liegen, lieber jedoch reden sie über sich. Ober das Leben. Smudo berichtet w ‚ e er sich „an Worten aufgeilen“ könne, wie ihn beispielsweise der Satz „Ich habe jetzt beim besten Willen keine Zeit“ aus einem „Sondermann“-Comic in der „Titanic“ zu einem Song inspiriert habe. Dann schimpfen sie engagiert auf TU Schweiger („der Depp“), der doch glatt einer Trend-Postille erzählt hat daß er 100 000 Mark auf dem Girokonto hat Nicht etwa die naive Offenheit des Schauspielers finden sie beklagenswert, nein, „total dumm“ sei es, das ganze Geld auf dem Girokonto zu haben. Wegen der Steuer. Sie selber würde von ihren Hit-Einnahmen gar nicht soviel auf einmal sehen, das wäre – eben wegen der Steuer – investiert und gebe ihnen einfach „ein gutes Gefühl“. Dazu Thomas D: „Wir können abspacken, das ist doch cool!“ Ist es auch. Alle happy. Bis auf Smudo. Der ärgert sich darüber, daß er einen Satz aus einem Werbespot für Autos niemals auf Tape verewigt hat Zu gern hätte er den in einen Song eingebaut Jetzt läuft der Spot nicht mehr, so ein Arger. Dafür entdeckt er plötzlich völlig unverhofft eine alte Schallplatte mit Hörspielen einer Versicherung. Die Titel klingen vielversprechend: „Anja im Krankenhaus“ etwa oder „Ärger mit dem Kirschbaum in Nachbars Garten“. Smudo wird diese Platte mit nach Hause nehmen. Er wird sie hören, darüber lachen und sie verarbeiten. Irgendwie. Und vielleicht heißt die nächste Platte der Fantastischen Vier JFair versichert“, mit der Hit-Single „Wir holen Anja raus aus dem Krankenhaus“. Gut möglich – und völlig egal. Für die nächste Platte von Moses P. dagegen gilt: Hoffentlich Allianz versichert

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