Anatomie der Melancholie

Es gibt Menschen, die sagen Ja und Nein gleichzeitig. Danach leben sie auch. Es gibt andeti Menschen, die sagen Entweder-Oder. Daran leiden sie.

Tom Liwa ist alt und klug genug, um verlogene Kompromisse abzulehnen. Er weiß aber ebenso, „daß ,Mainstream‘ nicht notwendig schlecht‘ bedeuten muß“. Gern würde er mehr Platten seiner Band Flowerpornoes verkaufen, als es gegenwärtig möglich ist. Im letzten Jahr, nach der Veröffentlichung seines Albums „Mamas Pfirsiche (für schlechte Zeiten)“, sprach er für ein Bildungsbürger-Wochenblatt mit Herbert Grönemeyer, der vieles von dem repräsentiert, wogegen Liwa mit Person und Werk antritt.

Grönemeyer schwadronierte selbstgefällig und lobte jovial Liwas Lieder: „Das hat ’ne Sprödigkeit und Kraft. Doch – interessiert mich, was Tom da macht.“ Liwa, sonst ein bedächtiger, gescheiter und faszinierender Erzähler, blieb schweigsam. „Ich konnte nichts gegen Grönemeyer als Mensch sagen. Um die Musik und Texte ging es bei der Diskussion nicht. Wir wurden gemeinsam für unsere traditionelle Art des Liederschreibens angegriffen. So wurde es beinahe ein Schulterschluß.“

„Mamas Pfirsiche“ war eine Erinnerungsplatte, durchweht von den Wonnen und Schmerzen der Kindheit, geschrieben in einem imaginären Baumhaus. Mit „…red‘ nicht von Straßen, nicht von Zügen“ setzt Tom Liwa die poetische Selbstvergewisserung und Trauerarbeit fort. „Es ist völlig unmöglich, zu entkommen“, so beginnt das Album. Die Trauer über den Fluß der Dinge bestimmt den Ton

Tom Liwa, Chef der FLOWERPORNOES, stellt die letzten Fragen

der Songs, die von Verlust und Verzagtheit, Schuld und Zweifel sprechen oft schmerzlich unmittelbar und, gewiß, sentimental. In „Requiem“, das Liwa nach dem Tod eines Freundes schrieb und später Kurt Cobain widmete, gibt es keinen falschen Trost: „Und da ist nichts zu verstecken/Und nichts zu verstehen/Mein Herz schlägt weiter/Und Dein Herz bleibt stehen.“

Der Vorwurf der Sentimentalität irritiert Liwa nicht. „Was die Musik anlangt, gilt das sowieso. Es ist seltsam, daß der Kitsch-Vorwurf immer mit dem Trivialitäts-Vowurf zusammenhängt. Ich begreife das eher als Gegensätzlichkeit: das Triviale als das Alltägliche, den Kitsch ab das Aufgeblasene. Wenn beide zusammenkommen, ist es schon wieder okay. So ist mein Empfinden: triviale Dinge bis zum Kitsch auszureizen.“ Bis sie nicht mehr kitschig sind. Liwa scheut die Gefühligkeit nicht und nicht das Bekenntnis. Mit 35 Jahren hat er eine unbequeme Autonomie erreicht, bei der er in kleinen Verhältnissen die Kontrolle über seine Arbeit bewahrt. In seiner Zwei-Zimmer-Wohnung lebt er mit Freundin und Kind; der Wohnraum dient auch als Büro. „Better to burn out than to fade away“, das sind eben nicht die Alternativen.

Tom Liwa stellt die Fragen, und er antwortet mit seinem Leben. „Wenn ich tief in mir wühle und aufrichtig von mir erzähle, dann erreiche ich den Punkt, an dem sich unsere kollektive Geschichte deckt, an dem die Archetypen stattfinden. Wenn ich von mir erzähle, erzähle ich immer auch von den anderen. Es geht um Berührung, das Aufeinandertreffen von Nacktheit. Manche lehnen das ab, weil es ihnen zu intensiv, zu nah am Knochen ist. Aber darin liegt der Sinn meiner Arbeit.“

Wovon Tom Liwa nicht sprechen kann, darüber schweigt er. „Stolz auf dich, stolz auf das, stolz auf irgendwas/ Und wenn du keine Antwort hast/ Stolz auf die offenen Fragen…“

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