Angriff der Killer-Weicheier

Arne Willander über die Verzweiflung der Briten, die nach dem Niedergang der pöbelnden Gallaghers auf blässliche Leisetreter setzen müssen

Es kann nicht nur das Beef sein. „Quiet is the new loud“ geben englische Zeitschriften als Parole fürs neue Jahr aus. Weil der Britpop verloren gegeben wurde und zuletzt nur noch die niedlichen, aber uncharismatischen Burschen von Travis reüssierten, machten die um keinen Unfug verlegenen Blätter erst die Rückkehr des „Softrock“ aus (Toploader als Supertramp), dann das „New Acoustic Movement“ (Kings Of Convenience als Simon & Garfunkel). Wie wenig Patriotismus geblieben ist, beweist der Umstand, dass die Kings bloß Norweger sind, aber immerhin Englisch singen, wenn auch mit dem Wörterbuch. Auf den sensiblen Fran Healy folgt der sensible Chris Martin von Coldplay, eine ebenso schluffige und blasse Gruppe junger Menschen. Damit wir uns richtig verstehen: Diese Bands sind die besten weit und breit Aber wissen man will man von ihnen nichts. Jedenfalls nicht die gebetsmühlenartige Auskunft, es komme auf die Songs an, von Marketing halte man nichts, die Gallaghers seien nette Leute, man lasse aber lieber die Musik sprechen, der Presse-Rummel sei lächerlich. Ohne Presse-Rummel würden beide Bands ihre auf 1000 Stück limitierten Vinyl-EPs selbst vertreiben.

Das Anti-Blabla dieser Laumänner, die immer so verschlafen aus der Wäsche gucken, ist die Inszenierung von kennerhaften Plattensammlern und Erbsenzählern, die früher nicht einen Sommer durchgehalten hätten. Die Heimlichtuer Belle & Sebastian erreichten mit ihrem Ministranten-Pop sogar heiligmäßige Dimensionen. Nicht mal Drogen kommen in der Weichei-Welt der Ehrlichkeitswächter vor. Früher wurden faustdicke Lügen erzählt und Konkurrenten beschimpft. Heute versichern sich Langeweiler Healy und Langeweiler Martin bei Preisverleihungen für Songwriting gegenseitig ihrer Sympathie. Und im Hintergrund lächelt der milde, vielleicht auch schon malade Paul McCartney.

Allen Redakteuren graut vor Titelbildern mit solchen Köpfen. Healys Bürzel-Frisur blieb bislang der Höhepunkt des Image-Wechsels. Spacehog, Placebo, HIM, Leningrad Cowboys – sie alle gaben sich pathetisch Mühe und scheiterten. Die neue Gesichtslosigkeit riss bereits den“Melody Maker“ in die Tiefe, der verzweifelt glauben wollte, dass Marilyn Manson, Limp Bizkit und Blink-182 die britischen Jugendlichen umhauen. So saßen 40-jährige über ihren Schreibtischen und schrieben pubertären Schwachsinn zu Postertapeten und Fotokalendern, bis das Licht ausging. Im „New Musical Express“ wurde Eminem anlässlich seines Songs „Stan“ als neuer Morrissey begrüßt, ein Ereignis, das früher eine Aufstand zur Folge gehabt hätte. Singt Slim Shady bald „Meat Is Murder“ mit einem Sample gequälter Schafe? Would the real Morrissey please stand up?

Damals, als Hartnäckigkeit noch half, waren Leute wie Cameron Crowe, der Reporter des ROliJNG STONE, mit der AUman Brothers Band unterwegs (demnächst zu sehen in Crowes Film „Almost Famous“). Da musste er jederzeit damit rechnen, dass eines der letzten Band-Mitglieder tot umfiel oder mit einem Flugzeug abstürzte. Er fuhr im Bus mit, saß im Hotelzimmer und stand hinter der Bühne. Heute gibt es Pressekonferenzen oder Telefon-Interviews, und weil es nichts zu fragen gibt, gibt es auch keine Antworten. Eminem und Madonna geben gleich gar keine Interviews. Jennifer Lopez weiß schon nicht mehr, wo sie sich eigentlich befindet. Rod Stewart ist so übel gelaunt, dass man ausschließlich nach seiner neuen Platte fragen darf. Bei U2 muss man zur Verwandtschaft zählen.

Da ist man dankbar für Fred Durst, solange der noch spricht Die Amerikaner haben wenigstens einen richtigen Knall – wie die schwer beschädigten Creed („With Arms Wide Open“), die von der Bibel singen und ihren eben geborenen Kindern. Die sind immerhin so grundsympathisch, ahnungslos und dumpflappig, dass es etwas zu schreiben gibt. Fran Healy erzählt gern und unermüdlich von seiner armen Kindheit, vom fehlenden Fernseher und dass Mutti jetzt ein Haus bekommt Er verwüstet keine Hotelzimmer, er räumt sie selbst au£ Es sind schwere Zeiten, in denen Anarchie und Rebellion, Glamour und Paranoia nur noch Erinnerung sind. Jarvis Cocker zeigte Michael Jackson zu Recht den nackten Hintern, Dämon Albarn beschimpfte Liam Gallagher, Noel Gallagher nannte Robbie Williams einen „fetten Tänzer“, und Robbie höhnte über Noel, ihm seien die Ideen andere Leute ausgegangen. Das ist noch gar nicht lange her, und dort müssen wir wieder hin. „Country House“ von Blur vs. „Roll With It“ von Oasis: Bei der „Battle Of The Bands“ 1995 hatte doch jeder eine Meinung, obwohl beide Songs eigentlich Bullshit waren. „Coming Around“ vs. „Yellow“: Da schlafen die Füße ein.

„Quiet is the new loud“ ist die blödeste Bewegung seit „Neo-Folk“. Innerlichkeit, Pseudo-Poesie und Barhocker-Blues werden zurückkehren. Sänger werden säuseln. Haare werden kurz geschoren. Frauen werden angesungen. Jammer wird herrschen. Aber niemand mache Nick Drake dafür verantwortlich. Drake war der Härteste. Er wohnte bis zu seinem Tod bei den Eltern.

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