Anhaltende Freiheit

Der Journalist Evan Wright beschreibt in „"Generation Kill" den Irak-Feldzug eines Aufklärungsbataillons von innen

Wie bekanntlich in jedem Krieg, war die Wahrheit auch in diesem bereits tot, als der Reporter Evan Wright im März 2003 im Camp Mathilda im Norden von Kuwait eintraf. Wright war der letzte Journalist, der an dem erwarteten Feldzug der Amerikaner als embedded reporter teilnehmen wollte, nachdem ein Kollege den Wunsch aufgegeben hatte, als man ihn über das Ersticken unter der Gasmaske informiert hatte. Wright blieb, schrieb seine Berichte für den ROLLING STONE und erweiterte sie später zu dem Buch „Generation Kill“ (Zweitausendeins) – einem Report, der „M.A.S.H.“, Ernest Hemingway und „Jackass“ vereint.

Evan Wright ist dem 1. Aufklärungsbataillon der Marineinfanterie – den sogenannten Fernspähern – zugeteilt worden. Er trifft Leutnant Nathaniel Fick, 25 Jahre alt, der Wright lachend erzählt, in den letzten zwei Wochen im Zeltlager habe es immerzu grünes, zerkochtes Hühnergeschnetzeltes gegeben. Fick, der Politik und klassische Literatur studiert hat, amüsiert sich über einen humanitären Einsatz in Osttimor: „Wir lieferten Fitnessgeräte an die unterdrückten, hungernden Menschen.“

Die Mannschaft heißt Wright willkommen, indem sie ihn mitten im Zeltgang schlafen läßt, wo nachts alle über ihn hinwegtrampeln. Das ist der Initiationsritus.

„Das Zelt stinkt nach Fürzen, Schweiß und den ekelerregend säuerlichen Ausdünstungen von Pilzfüßen. Jeder läuft in Unterwäsche herum und kratzt sich am Hoden.“ Wright beobachtet die Freizeitgestaltung der Soldaten: „Abends kämpfen sie unablässig. Sie schmeißen einander mit Judowürfen auf den Sperrholzboden des Zeltes; sie nehmen ihre Kameraden in den Schwitzkasten und schlagen ihnen blaue Flecken auf die Rippen; sie liegen lauernd im Dunkeln, springen mit ihren Kampfmessern hervor und ritzen mit der Spitze kleine Schlitze in die Brust ihrer Kumpel oder ziehen ihre Klinge sachte über den Hals des Opfers, um spielerisch eine saubere Tötung zu simulieren.“ Der Schlachtruf der Fernspäher lautet: „Töte!“

Ein böses Gerücht geht um im Camp Mathilda: Jemand will gehört haben, daß Jennifer Lopez tot sei. Der Reporter muß die aufgeregten Kämpfer beruhigen: J Lo lebt. Es kann endlich losgehen, nachdem George Bush den „Enthauptungsschlag“ gegen Bagdad befohlen hatte und dann das Zeichen zum Angriff für die Bodentruppen gab. Niemand wollte noch warten. Die Marineinfanteristen, ausgebildet für das Auskundschaften hinter den feindlichen Linien, fahren in sogenannten Humvees (deren zivile Versionen, „Hummer“, gern von reichen HipHoppern gesteuert werden), die meistens kein Verdeck haben und für deren Benutzung vielen Soldaten der Führerschein fehlt Eine Bordkanone ist im hinteren Teil befestigt; die Iraker werden versuchen, den Kanonier zu erschießen oder mit über die Straßen gespannten Drähten zu enthaupten. Was die Marineinfanteristen nicht wissen: Entgegen ihrer Profession werden sie als Vorauskommando eingesetzt, das meistens zuerst in die Städte hineinfährt, ohne entsprechend ausgerüstet zu sein. Tagelang schmoren die Männer in ihren ABC-Schutzanzügen aus Gummi, können keine Kleidung wechseln und niemals die Schuhe ausziehen; nachts graben sie sich in den Sand ein. Stürme wüten über der Wüste, am Tag wird es 35 Grad heiß. Gegessen wird trockene Fertignahrung, direkt aus der Tüte. Unbeliebte und inkomepetente Vorgesetzte bekommen Spitznamen, die auch Wright verwendet: Der Feigling von Khafji, Steinzeit Junior und Captain America gehören zu den verhaßten Figuren, die keinen Nachschub heranschaffen, in der Nacht eine Steinformation für feindliche Iraker halten, mit einer Videokamera das Kampfgeschehen dokumentieren oder Artilleriebeschuß anfordern, ohne die dafür nötigen Formalitäten zu kennen – einen Beschuß im übrigen, der die eigenen Truppen treffen könnte.

Dermaßen an Unbill gewöhnt, fahren die Soldaten in ihren Humvees gen Norden und erobern Städte, in denen ihnen oft keinerlei Widerstand entgegengebracht wird. Manchmal geraten sie in Hinterhalte. Die Lage ist völlig unübersichtlich. Captain America kujoniert einen Kriegsgefangenen mit einem Bajonett, ein jugendlicher Kameltreiber wird irrtümlich schwer verwundet und kann nicht ausgeflogen werden. Bei Straßensperren, die ignoriert werden, gilt der Schießbefehl auf Fahrzeuge. Man stellt Warnhütchen auf.

Soldat Person, ein wahnwitziger l9jähriger Gefreiter, der den Humvee mit Evan Wright steuert, hält sich mit Aufputschmitteln wie Ephedrin wach und ersinnt während des Wachdienstes Country-Songs wie „Manche kotzen“: „Manche kotzen, verdammen und ticken/ Alles, was ich je zu machen schein, ist fluchen.“ Ob jemand sich besorgt über das Ansehen der Truppe äußert, weil irakische Kinder niedergemetzelt wurden, tröstet ihn Soldat Espera, ehemals Autopfänder in Los Angeles: „Niemanden interessiert es einen Scheiß. In meiner Branche war das der Schlüssel zu allem. Die einzigen Leute, die es einem versauen können, sind die Gutmenschen.“

Schließlich ist der Flughafen von Bagdad eingenommen, die Kompanie fahrt in die Stadt hinein. Jetzt sollen sie Frieden schaffen. Männer rauben Kindern die verteilten Süßigkeiten, das Trinkwasser ist verseucht, überall drohen Minen. Espera prophezeit: „Sobald sie aufhören zu feiern, daß wir Saddam beseitigt haben, und merken, daß wir nicht jedem ein Auto und einen Farbfernseher schenken, werden sie sich gegen uns wenden.“ Es hat begonnen.

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