Another Green World

Kosmische Blowjobs und Himmelsbäckereien gibt es nur in der Welt des Adam Green - auch im Diesseits vor allem in Deutschland ist der Wuschelsänger aus New York vom komischen Helden zum Star der Stunde geworden

Zicke, Zacke, Hühnerkacke, was mögen die Leute bloß an Adam Green so gern? „Er kommt aus New York, er hat einen Wuschelkopf, einen Schlafzimmerblick, und er schreibt alle seine Lieder selbst“, argumentiert cfie mit allen Wassern eingestäubte Fernsehmoderatorin Ghilia Siegel. Mit diesen Wirten, pardoru Wörtern sagt sie Adam Green in der „McDonalds Chart Show“ an, im Sommer 2004 auf Pro Sieben.

„Sein rührseliges ‚Jessica‘ ist der höchst angestrengte Versuch, uns zu beweisen, was für ein cooler Typ er doch ist“, schreibt der englische „NME“ im März 2004.

„Adam Green ist 22, was Studentinnen sexy finden. Er kleidet sich wie ein weniger verschwitzter Julian Casablancas, er singt wie ein schüchterner Scott Walker, und sein süffiges, in Streicher gewickeltes Soloalbum „Friends Of Mine“ wurde, zur Platte des Jahres im deutschen Rolling Stone gewählt“, steht nur zwei Monate später, im Mai 2004, auch im „NME“.

Der amerikanische Rolling Stone schreibt: „Friends Of Mine‘ zeigt, was für ein viel versprechender Komponist er ist, wenn auch kein besonders reifer Texter.“

„Ich finde die ganze Figur Adam Green eine sehr dylaneske Erscheinung. Ein junger, jüdischer, gut aussehender Mann in den Straßen des unteren Manhattan. „Wobei er vielleicht eher in Brooklyn lebt. Solche Leute leben heute nicht mehr im unteren Manhattan“, sagt Thomas Meinecke, Schriftsteller, DJ und Sänger der Band ESJK. aus München. Meinecke hat Adam Greens Slam-Poetry-Buch „magazine“ auf Deutsch übersetzt, das eben im Suhrkamp-Verlag erschienen ist „Oh Gott, der Adam!“ sagt Gitta R., 29, PR-Texterin aus Stuttgart.

Und vom „Time Out“-Magazin in der Londoner U-Bahn aufgeschnappt: „Adam Green? He’s basically Jonathan Richman, isn’t he?“

Was die Leute an Adam Green wirklich so sehr mögen, kann man an einem Abend Ende Mai 2004 schön sehen, der sich zwischen den deutschen Flüssen Lippe und Emscher über Recklinghausen senkt. Green hat bei den Ruhrfestspielen einen seiner sehr wachen Tage, an denen die so genannten Schlafzimmer-Augen nicht ganz bis ins Unendliche starren und er den Mund – den er an verträumteren Tagen gern offen klaffen lässt – tatsächlich die meiste Zeit geschlossen hält Green kann „Recklinghausen“ sagen, er merkt sich alle Namen. Die Band spielt in einem der schönsten Säle, auf einer ebenerdigen Bühne vor aufsteigenden Rängen, und natürlich sind wieder alle Eintrittskarten verkauft, obwohl das Adam Greens dritte Deutschland-Tour in nur einem Jahr ist. Zwei freche Mädchen trauen sich, huschen nach vorn und flüstern Green zwischen zwei Liedern ins Ohr: Ob sie seine Go-Go-Girls sein dürfen, wenn er „Dance With Me“ singt „Ich hab gesagt: Natürlich könnt ihr, ich ruf euch dann“, erzählt er später. „Und als wir an die Stelle kommen, zeige ich auf sie. Sie kommen auf die Bühne™ und plötzlich geht da eine kleine Party los.“ Der Rest der ersten Reihe hat nämlich von der Absprache nichts mitgekriegt, missversteht die Vorgänge als Signal für eine Stage Invasion und läuft hinterher. Green geht mit dem Mikrofon mitten in den Pulk aus tanzenden Teenagern, singt direkt in die errötenden Gesichter, wackelt ganz eng an fremden Hintern vorbei. Anfassen dürfen sie ihn später, als er nach dem Konzert ins Foyer schlappt und sich die Buttons auf den Jeansjacken erklären lässt Zwei Tage danach, am 28. Mai, wird Adam Green in Leipzig 23 Jahre alt Das zweite Mal in Folge, dass er an seinem Geburtstag in Deutschland ist Die banalste Erklärung dafür, dass Adam Green aus New York bei uns seit einem guten Jahr so viel mehr Erfolg hat als in den USA oder in Großbritannien, ist die Sprachbarriere. In Amerika können seine Lieder nicht mal theoretisch im Radio laufen, weil er Selbstmord und Schwanzlutschen erwähnt, in England hat ein Kritiker über Greens alte Band Moldy Peaches geschrieben, dass sich das Hören solcher Zoten so anfühle, als ob man den Kopf in einen Eimer mit kaltem Erbrochenen stecken würde. Trotzdem kichern die deutschen Mädchen und Jungs dazwischen, wenn Green „Carolina“ auf „vagina“ reimt – und auch der zweite Analyse-Ansatz ist unbefriedigend: Er sei ja im Grunde ein Künstler europäischer Prägung, beeinflusst von Serge Gainsbourg und Jacques Brei und bitte bitte auch von Bert Brecht, ein Jude mit deutschen Vorfahren, zudem aus New York (Green wohnt wirklich in Brooklyn). Die alte Leier. 25 000 in Deutschland verkaufte „Friends Of Mine“ sind aber nicht sensationell viel. Und er komme ja auch sonst viel rum in der Welt, betont Adam Green und guckt wie ein lieber Hamster.

Das eigentliche Rätsel ist doch, dass ihm hier Leute hinterherlaufen, die den Zutritt zum streng kodierten Reich des Indie-Pop normalerweise nicht haben wollen. Der Direktor des Berliner Hebbeltheaters bat Adam Green persönlich, in seinem Haus zu singen (was er im Februar 2004 tat), die Sache mit dem Buch ging von einer Suhrkamp-Lektorin aus. Nachdem seine Lieder in Kneipen- und WG-Szenen der wichtigsten deutschen Fernseh-Soaps gespielt worden waren, nahm die Redaktion der Pro-Sieben-Internats-Serie „18 – Allein unter Mädchen“ sein „Hard To Be A Girl“ prominent in den Abspann.

Außerdem war er wie gesagt bei der „Chart Show“, obwohl er natürlich keinen einzigen wachen, verträumten oder hysterischen Tag in den deutschen Charts verbracht hatte. Die angespannte Laune bei der Aufzeichnung wurde von Green fröhlich gelockert, als er (zur Freude der jungen Schulschwänzer im Studiopublikum) Giulia Siegel während des mühevollen Improvisierens der Anmoderation mit einem Hintern-Klaps überraschte. Auf dem „GQ“-Titelblatt, wo Siegel nackt in einem großen Sektglas sitzt, kann Adam Green einem genau die Stelle zeigen „I slapped her!“ -, doch Spott und Häme hört man nie aus dem halb offenen Mund. Auch nicht über Charlotte Roche, die er in einer berühmten Viva „Fast Forward“-Folge eine halbe Stunde lang starrend angeschwiegen hatte, so schlimm, dass die sonst joviale Indie-Elke-Heidenreich später andeutete, sie habe sich unwohl gefühlt. „Ich weiß noch“, sagt Green. „Sie hat selbst sehr viel geredet, und ich habe ihr einfach zugehört. Ich fand’s gut. Außerdem…“ – und das ist jetzt die Green-Logik, ein systematisches Axiom aus einer Welt, in der man beim Reinigen der Weisheitszähne Diamanten im Kiefer finden kann, in der Brüste nach Frühstück schmecken und Britney Spears vom Himmel herabsteigt und mit ihren Schenkeln eine Kobra erstickt, eine Drogen-Kinderwelt, aus der heraus die Kommunikation mit anderen Laboren und Planeten oft schwerfällt… – „außerdem kannte ich die Frau ja gar nicht.“

Greens Pop-Schicksal schien vor vier Jahren fest besiegelt zu sein. Er war bei den Moldy Peaches der Junge im Robin-Hood-Kostüm. Er raubte den Reichen die Gags und gab sie den Armen, einem kleinen, ebenfalls sehr europäischen Publikum, das das Off-Culture-Aroma alternativer New Yorker Kaffeehäuser mochte. Green war selbst noch Teenager, als die Aufnahmen gemacht wurden. Die alte Band gibt es nicht mehr, das Charity-Konzert für einen in Not geratenen Plattenladen, das er letzten Oktober mit der ehemaligen Partnerin Kimya Dawson spielte, war eine außerordentliche Sache. Seit dem aprikosengelben „Friend’s Of Mine“und dem neuen, ähnlich fruchtsüßen Album „Gemstones“ wird den Moldy Peaches und Greens erster Solo-Platte „Garfield“ von zwei Seiten her Unrecht getan: Die einen tun alles als jugendliche Verwirrung ab, die anderen glorifizieren es als die wahre Stimme des Adam Green, vor dem kommerziellen Biedermeier. Es wirkte wie ein schlauer Kommentar, als er 2003 auf der ,Jessica“-Single ein Lied veröffentlichte, das er als Neunjähriger in ein Diktiergerät improvisiert hatte. Dass sie einen Sänger durchweg vom Kinderzimmer bis zur großen Bühne begleiten, sind Pop-Hörer nicht gewohnt, auch nicht von Michael Jackson.

Das Klein-Adam-Lied liegt lustigerweise ganz nah an Greens heutigem Stil. Seit einer Handverletzung vor vier Jahren tut ihm das Gitarrespielen weh, hat er immer sein digitales Diktafon in der Jackett-Tasche und komponiert nur noch über Assoziationen und Gesangsmelodien, die ihm auf dem Klo oder im Fahrstuhl einfallen.

„Ich schreibe einen Song immer von rechts nach links. Bei einem Gemälde ist alles gleichzeitig da, aber ein Song fangt mit einem Anfang an, dann kommen verschiedene Teile in einer bestimmten Reihenfolge, bis zum Ende. Ich frage mich immer: Was kommt als nächstes? Und bei den Stücken für die ,Gemstones‘-Platte wollte ich, dass das nächste Element völlig anders ist als das davor. Seit ich das Diktiergerät benutze, muss ich mich ja nicht mehr auf das beschränken, was ich auf der Gitarre spielen kann. Ich höre die Musik im Kopf, alle Instrumente. Ich kann das Schlagzeug auf dem Knie vortrommeln, mit der Band brauche ich oft nur eine Stunde, um alles zu erklären.“ Das Tropfauge, der Kontrollfreak. „Obwohl… das Einzige, was ich im Kopf nicht so richtig gut hören kann, ist der Bass. Das heißt, Steven kann ein bisschen mitbestimmen, wie die Basslinie geht.“ Er meint das ganz sicher nicht als Witz, er macht nie Witze.

Adam Greens Lieder sind wie Robert-Crumb-Comics. Eine amerikanisch urbane Psychedelia, überdeutlich gezeichnet, in der eine Katze mit erigiertem Schwanz oder eine Frau mit dickem Hintern durchs Bild laufen kann, ohne dass dies das eigentliche Thema wäre. Wenn man genau schaut: Ein Lied über den Spaß am Bumsen hat er noch nie gemacht Der Süße, ein bisschen Dämliche, der die Sache mit dem beinlosen Mädchen singt, anscheinend ohne etwas dran zu finden, was selbst wieder sexy ist oder eben clever. Oh Gott, der Adam!

„Auf ‚Gemstones‘ gibt es wiederkehrende Motive. Zum Beispiel: den Dienstag.“

Und dann erklärt Adam Green „Carolina“, den Tango mit den weißen Tränen aus dem Trödelladen und dem Reimpaar aus Dostojewski und Strokes-Schlagzeuger Fab Moretti. Aufpassen. „Schon Vorjahren hatte ich die Zeile über Carolina aus Texas geschrieben, aber ich wollte ursprünglich kein Lied daraus machen. Und dann – ich hatte einen mysteriösen Freund, und er hatte plötzlich irgendwas mit einer seltsamen, großbusigen Frau namens Carolina. Es gab viele komische Zufälle, gemeinsame Bekannte, die sie und ich hatten. Und das mündete in eine verrückte Szene, ab wir alle besoffen bei ihr zu Hause waren. Mir fiel dann die alte Zeile ein, und ich dachte mir, vielleicht handelt die von ihr.“ Was ist denn passiert, bei ihr zu Hause? „Hmm, sie fing an, meinem Freund die Zukunft aus der Hand zu lesen. Und— weiß nicht. Es war komisch. Es kam raus, dass der Freund sie für den Sex bezahlte und sie ihn nur benutzte, um anzugeben. Jedenfalls habe ich noch dort in ihrer Wohnung angefangen, das Lied zu dichten. Jede Textzeile ist eine Anspielung auf einen der vielen Zufalle.“

Wer daran zweifelt, dass dies die blanke Wahrheit ist (was zumindest darauf hindeuten würde, dass Phänomene aus Greens Welt auch irgendwelche Entsprechungen in unserer haben), der soll das Edition-Suhrkamp-Bändchen 2405 aufschlagen, „magazine“, Seite 25. In „Pokemon chewable Ritalin“, der

achten Strophe des Gedichts „The Civilian“, findet man wirklich die ersten Zeilen aus „Carolina“, zwischen den Versen 14 („Rote Backsteine fallen aus deiner Vagina“) und 16 („Sie könnte mich durch den Münzfernsprecher lutschen“). Das Gedicht wurde am 11. September 2001 vollendet Green hat seine Beat-Poetry – die Essenz aus den Notizzetteln, die er so in der Hose hat – früher doppelseitig kopiert, mit der Klammermaschine geheftet und am T-Shirt-Stand verkauft. Dort schüttelte ihm im Februar 2004 ein Fan die Hand, Charlotte Brombach, hauptverantwortliche Lektorin für Gegenwarts-Belletristik bei Suhrkamp. Und Fan. Suhrkamp, meinte Green, da sei doch auch Brecht. „The guy with the Mahagonny stuff!“

Übersetzer Thomas Meinecke erlebte Adam Green in den knapp drei Wochen Arbeit als reserviert netten, aber peniblen Korrespondenzpartner. „Er ist mit Leuten in New brlc, die sehr gut Deutsch können, meine Entwürfe durchgegangen und schickte mehrfach Nachfragen. Zum Beispiel: ,Warum hast du dragqueen nicht übersetzt?‘ Das wollte er mir gar nicht glauben, dass das in Deutschland jeder versteht.“ Rührend fertigte Green Listen mit Begriffen an, die er für schwer verständlich hielt, erklärte unter anderem, was ein Soundcheck ist Echte Schwierigkeiten hatte Meinecke mit den zehn bis 15 teilweise verwirrenden Ausdrücken für den Masturbationsakt „Ich musste immer wieder fragen: Wer holt an der und der Stelle jetzt eigentlich wem einen runter?“

Das sieben-Euro-Buch ist nur die hochkulturell anmutende Krönung für das Merchandising-Sortiment – obwohl man es tatsächlich, in einem Ritt gelesen, als Überwältigung und Einführung in die Green-Logik verstehen kann, mit allen seinen Tbpoi, Holocaust, Oralverkehr. „Things don’t suck, they fuck.“ Das Komische Manifest „So wie man schwer verständliche Jazzplatten mit großer Faszination drei-, viermal hintereinander hört und doch das Gefühl hat: Ganz nacherzählen könnte ich es keinem“, sagt Übersetzer Meinecke.

Und dann wurde noch das Literaturrätsel gelöst Auf Nachfrage von Lektorin Brombach bestätigte der Franz-Kafka-Biograf Reiner Stach, dass Adam Greens berühmte Geschichte über Felice Bauer völlig widerspruchsfrei ist Das hat er in allen deutschen Interviews so ganz nebensächlich fallen lassen: Nach dem Tod von Greens Urgroßvater in Berlin hatte die Uroma ihrem Sohn offenbart, sie sei mit einem mittlerweile bekannten Schriftsteller verlobt gewesen, bevor sie den Vater kannte. Der junge Opa Green konnte die Mutter gerade noch überreden, die alten Briefe nicht zu verbrennen.

„Ich habe das gespürt, das deutsche Erbe in meiner Familie“, sagt Adam Green. „Wir hatten in New brk immer einen Christbaum zu Hause, obwohl wir Juden sind. Das kam von der deutschen Tradition.“ Der Großvater war im 2. Weltkrieg erst nach Genf geflüchtet, lernte dann auf dem Schiff nach New brk sein ganzes Englisch von einem Steward aus Irland und sprach selbst als erfolgreicher Arzt noch immer mit irischem Akzent. Greens Vater ist Neurologie-Professor an der Columbia University, die Mutter hat den Psychiater-Beruf aufgegeben und kuratiert ehrenamtlich Ausstellungen im New Yorker Naturkundemuseum. Adam hat im Herbst eine davon besucht, er lernte dort Nützliches über Giftfrösche.

Am 27. Mai 2003, einen Tag vor seinem 22. Geburtstag, gab Adam Green in Köln sein erstes Solo-Konzert in Deutschland, im Vorprogramm für Bernd Begemann. „Ich war so glücklich an dem Abend. Als ich Bernd sah und mitbekam, wie die Leute über seine Texte lachten, da hab ich mir so gedacht: Wenn ich hier geboren wäre und hier leben würde, dann würde ich genau das tun. Ich würde auf Deutsch singen. Ich würde nicht auf Englisch singen.“

Adam Green kommt aus New brk und trägt den Manhattan-coo/ mit sich. Er hat einen Wuschelkopf und einen Schlafzimmerblick, deshalb wirkt sein Manhattan-coo/so wenig bedrohlich auf die Vogelscheuchen der Provinz. Er schreibt alle seine Lieder selbst es sind tolle Lieder, und deshalb mögen ihn die Leute so gern. Mist, Giulia Siegel, die Kirsche mit dem Arsch im Sektglas, hatte doch Recht.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates