Apokalypse, made in Schwabing

Die artillerie, eine Ateliergemeinschaft von neun Illustratoren und Grafikern in Schwabing, befindet sich im selben Gebäude wie die mittelalterliche Taverne „Zur Schandgeige“. Ab und an frequentieren auch Thomas von Kummant und Benjamin von Eckartsberg die urige Wirtschaft, die einen scharfen Kontrast bildet zu den lichten Atelierräumen mit Parkettboden. Vor 18 Jahren haben sie sich auf dem Comicfest München kennengelernt. Von Eckartsberg sollte das Plakat zeichnen, von Kummant einen Beitrag zum Katalog beisteuern. Als Letzterer mit eigenen Entwürfen für ein Poster anmarschiert kam, war der Konflikt eigentlich programmiert. „Der wollte mir meinen Job streitig machen“, sagt von Eckartsberg, und beide lachen. Dass sie heute eines der erfolgreichsten Comickünstler-Duos hierzulande bilden würden, konnte damals niemand ahnen.

Während eines Comiczeichner-Seminars von Paul Derouet in Erlangen haben sie den Grundstein für ihre künftige Zusammenarbeit gelegt:“Wir haben da eigentlich mehr gefeiert als gezeichnet“, sind sich die beiden einig, „aber wir haben uns von Anfang an einfach sehr gut verstanden.“ Als von Kummant, der die Deutsche Meisterschule für Mode in München besuchte, einige Jahre später im Auftrag des Goethe-Instituts eine Comicbiografie über Johann Wolfgang von Goethe gestalten sollte, dafür aber nur vier Monate Zeit hatte, nahm er von Eckartsberg mit ins Boot. Ihre erste eigenständige Koproduktion, mit von Kummant als Zeichner und von Eckartsberg als Szenarist, erschien dann 2004 und sorgte international für Aufsehen: Die Adaption von Wolfgang Hohlbeins Romanzyklus „Die Chronik der Unsterblichen“ war nicht nur in Deutschland ein Erfolg, vor allem die französischsprachige Ausgabe, erschienen bei Éditions Paquet, verkaufte sich noch besser als der Met, der ein paar Stockwerke unter uns zum rustikalen Ritteressen kredenzt wird.

Sich als deutsche Comickünstler in Frankreich einen Namen gemacht zu haben, kam jedenfalls einem Ritterschlag gleich. Als immer öfter die Frage an sie herangetragen wurde, ob sie nicht demnächst komplett ihr eigenes Ding durchziehen wollten, wagten von Kummant und von Eckartsberg den nächsten Schritt, der sich hinsichtlich der Arbeitsbedingungen bezahlt machte: „Dank der Unterstützung durch unseren Schweizer Verlag konnte ich zum ersten Mal nicht nur hobbymäßig und nebenbei an einem Comic arbeiten, sondern kontinuierlich und konzentriert“, sagt von Eckartsberg, der Kommunikationsdesign an der FH München studierte. Ein knappes Jahr lang hat er an dem Szenario von „Gung Ho“ geschrieben.

Die Idee zu dem auf fünf, jeweils 80 Seiten starke Bände angelegten Projekt, das eigens für den französischen Markt entwickelt wurde, dieser Tage aber auch in Deutschland erscheint, schleppt er bereits seit 2005 mit sich herum. Als er seinem Kompagnon während einer Sig nierreise davon erzählte, war der sofort begeistert. Nur ein bestimmtes Setting schwebte ihm seinerzeit vor, einen Plot oder einzelne Charaktere hatte er noch nicht ausgearbeitet. Dafür aber eine Einstiegsszene, in der eine Familie am Frühstückstisch sitzt, der Vater seinen Sohn anschließend zur Schule bringt, während am Straßenrand vereinzelt bewaffnete Leute zu erkennen sind, und die schließlich damit endet, dass sich der Unterricht des Sohnes als von Scharfschützen begleiteter Test der Überlebensfähigkeiten erweist.

Doch diese Szene wurde verworfen, weil sie zu viel vorweggenommen hätte. Stattdessen beginnt der erste Band in der nahen Zukunft, irgendwo in Europa, mit einem geradezu filmisch angelegten Establishing Shot auf die zuletzt vor drei Monaten angegriffene Siedlung Nr. 16 und der Einführung der Brüder Zack und Archer, die aus einem städtischen Waisenhaus mitten in die naturidyllische Gefahrenzone verlegt werden. Archer spielt auf der Gitarre „(Don’t Fear) The Reaper“ auf dem Dach eines fahrenden Zuges und bekommt einen Anschiss von seiner bewaffneten Eskorte. „Die Version von Gus gefällt uns übrigens deutlich besser als das Original von Blue Öyster Cult“, sagt von Kummant en passant. Für einen anderen, aus der Feder von Eckartsbergs stammenden Song, mit dem das erste Album endet, hat er sogar ein Akkordschema geschrieben. Zu finden ist es neben weiterem Bonusmaterial wie Landkarten oder Skizzen in einer der Vorzugsausgaben, die in Frankreich bereits veröffentlicht wurden. Selbst einen Song-Contest soll es dazu geben, wobei die besten drei Interpretationen für eine CD-Beilage produziert werden sollen -das ist allerdings noch Zukunftsmusik und nicht ganz spruchreif.

Die erste Resonanz aus der Grande Nation ist übrigens äußerst positiv. Die Mutter eines Comicladenbesitzers hat den beiden sogar ein Exemplar von Archers orange-blauer Mütze gestrickt, freilich ein paar Nummern zu klein, um sie tatsächlich zu tragen. Nur die Tatsache, dass einige Rezensenten „The Walking Dead“ als Bezugspunkt für „Gung Ho“ heranziehen, stört das künstlerisch aufeinander abgestimmte Team. „Zombies interessieren mich visuell nicht die Bohne“, meint von Kummant und schüttelt nachdrücklich den Kopf. „Ich liebe eben Belagerungsgeschichten“, fügt von Eckartsberg hinzu, womit er eine der wenigen Parallelen zu der populären Comic-und TV-Serie benennt – neben der postapokalyptischen Ausgangssituation, versteht sich, denn die sogenannte Weiße Plage hat die Menschheit arg dezimiert. Nicht umsonst wird die Siedlung Nr. 16, die quasi einen eigenen Charakter darstellt, auch „Fort Apache“ genannt, nach dem gleichnamigen Western mit John Wayne und Henry Fonda. Gesehen habe er den Film nicht, gesteht von Eckartsberg, vielmehr sei er durch ein Interview darauf aufmerksam geworden, in dem der Regisseur John Carpenter die Belagerungssituation seines „Assault On Precinct 13“ mit dem Klassiker von John Ford verglich.

Welche Gefahren konkret vor den Toren der Siedlung lauern, erfährt der Leser recht spät; der Spannungsbogen ist fein austariert; endlich haben die bayerischen Comickünstler einmal ausreichend Platz, um eine Action-Szene gründlich aufzubauen. Sorgfältig werden die Figuren charakterisiert und die Regeln des Zusammenlebens unter verschärften Bedingungen vermittelt, während sich innerhalb von Fort Apache erste zwischenmenschliche Abgründe auftun. Noch dazu spielen die Hormone der traumatisierten Teenager zuweilen verrückt. Zack möchte Freunde finden, dazugehören und sich in die Gemeinschaft der Siedlung integrieren. Archer hingegen pfeift auf alle Vorschriften und nimmt sich das, was er will. Morgen könnte es dafür schließlich bereits zu spät sein.

Es ist also auch eine Geschichte über das Erwachsenwerden, die „Gung Ho“ erzählt, über das Begehren, die Aufsässigkeit und das Übernehmen von Verantwortung für das eigene Leben, das in erster Linie ein Überleben ist. Sie richtet sich sowohl an ein jugendliches als auch ein erwachsenes Publikum. Gerade um Ersteres sei es heutzutage jedoch nicht gerade zum Besten bestellt, sagt von Eckartsberg: „Games und Smartphones sind die natürlichen Feinde des Comics.“

Und die neunte Kunst ist bekanntlich ein mühsames Geschäft, anders als die Online-Daddelei zum Pausenbrot. Thomas von Kummant braucht für die Fertigstellung von 40 Seiten, nachdem er Storyboards, Figurenstudien, die Panel-Struktur usw. entworfen hat, ungefähr acht Monate, für einen kompletten Band also fast anderthalb Jahre. Für die Arbeit an „Die Chronik der Unsterblichen“ bleibt daher keine Zeit, weswegen er den Staffelstab nach zwei Bänden an den chinesischen Künstler Chaiko Tsai weitergereicht hat.

„Gung Ho“ hat er eine moderne, klar akzentuierte Anmutung verliehen, die bezüglich der Atmosphäre ein reizvolles Spannungsverhältnis erzeugt: z w ischen sommerlichem Ferienlager und drohendem Weltuntergang. Schon das dürfte ein Alleinstellungsmerkmal sein. Vielleicht ist es ja auch ein Erfolgsgarant. Wer den ersten Band liest, sehnt jedenfalls den zweiten schon herbei, und kriegt zudem Archers Lied nicht mehr aus dem Kopf: „We’re gung ho to jump the shark „

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