Arne Willander schaut fern: Günter Gaus’ „Zur Person“ ist das Beste, was jemals dialogisch im Fernsehen zu sehen war

Sternstunde des Fernsehens in der ZDF-Mediathek: Günter Gaus befragt in „Zur Person“ die Denkerin Hannah Arendt

Zwei Begriffe kommen in diesem Gespräch von 1964 nicht vor: „Banalität des Bösen“ und „Denken ohne Geländer“. Diese Begriffe sind so gut, dass sie ungefähr so berühmt geworden sind wie Hannah Arendt, die Frau, die sie geprägt hat. Sie hasste Klischees. Arendt erklärt gegenüber Günter Gaus, dass ihr die Muttersprache geblieben sei, während ihr im Englischen das Idiomatische fehle. Bei Menschen, die ihre Muttersprache verloren haben, bemerke sie, was passiert: „Ein Klischee jagt das andere.“

Günter Gaus’ Gesprächsreihe „Zur Person“ ist das Beste, was jemals dialogisch im Fernsehen zu sehen war. Gaus’ gestochene Fragen mit spitzem S rückten meistens Politikern zu Leibe, die sich zu wehren wussten – die Interviews mit Konrad Adenauer, Franz Josef Strauß, Willy Brandt, Ludwig Erhard sind neben anderen in der Mediathek des ZDF zu sehen. Im Jahr 1964 war Arendts Essay „Eichmann in Jerusalem“ in deutscher Übersetzung erschienen (sie hatte ihn zunächst auf Englisch verfasst). Schon bei Erscheinen der Originalausgabe hatte es einen Disput über den „Ton“ des Textes gegeben, und Vertreter jüdischer Verbände beklagten, Arendt weise den Juden sozusagen eine Mitschuld an ihrem Schicksal zu, insofern sie nicht emigriert seien.

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Auf diese Anwürfe antwortet sie gegenüber Gaus, das sei reine Propaganda. Der „Ton“ wiederum sei der Autor, der Mensch selbst: „Dagegen kann ich nichts sagen.“ Der Ton sei hier nicht pathetisch, sondern ironisch, denn Adolf Eichmann sei ein Hanswurst gewesen. Beim Lesen seiner Aussagen habe sie „gelacht, und zwar laut gelacht – und auch drei Minuten vor meiner Hinrichtung würde ich noch laut lachen“.

In dem 70-minütigen Gespräch erklärt Hannah Arendt, meist eine Zigarette rauchend, das Verstehen als ihr eigentliches Movens – das Schreiben gehöre zum Prozess des Verstehens, es sei „Abschreiben“ der Gedanken, Manifestation des „Nach-Denkens“. Dass Philosophieren eine männliche Beschäftigung sei – „das muss ja nicht immer so bleiben“. Über die Wirkung denke sie nicht nach: „Männer wollen immer so furchtbar gern wirken.“ Wenn der Text fertig sei, dann habe sie eine Art von „Heimatgefühl“. Sie selbst, die in Chicago Politische Theorie lehrte, betrachte sich nicht als Philosophin. Gaus widerspricht: Er halte sie für eine solche. „Ja nun, dagegen kann ich
nichts machen.“

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