Art Garfunkel live in Berlin – Der große Sentimentalist mit dem ewig jungen Herzen

Art Garfunkel weiß zwar, was er seinem ehemaligen Song-Partner Paul Simon schuldig ist. Aber auch ohne seinen Kollegen füllt er den Berliner Konzertabend mit grandiosen Anekdoten und grandiosen Liedern.

Wenn Art Garfunkel eine Bühne betritt, muss er keinen einzigen Ton singen, um für Ergriffenheit und Rührung zu sorgen. Er muss sich nur an die Brust greifen, und schon ist klar: Es wird ein Abend ganz im Dienst der Ergriffenheit und Rührung. In Jeans und locker sitzendem Hemd genießt er den Begrüßungsapplaus im Konzertsaal der Berliner Universität der Künste, wo er am Sonntag (28. Februar) auftrat.

Auf der Bühne vor violettem Plüschvorhang stehen ein Mikrofonständer, ein sehr eleganter Flügel und Gitarrist Tab Laven. Und wenn der große Sentimentalist amerikanischer Sangeskunst, dessen opulente Kraushaarfirsur längst seinem fortgeschrittenem Alter zum Opfer gefallen ist, dann tatsächlich die ersten Töne von „April Come She Will“ anstimmt, ist das Auditorium augenblicklich verzaubert von Wehmut und Sehnsucht und Erinnerung.

Man muss die Sixties nicht selbst miterlebt haben, um die Bedeutung zu ermessen, die Worte und Melodie bei den Zuhörern auslösen. Und natürlich unterschlägt Garfunkel nicht, wer sein Leben „enormously enriched“ hat – sein favorite songwriter Paul Simon. Er weiß, dass seine eigenen Songs niemals das Sehnsuchtsversprechen seines berühmten Duo-Partners einlösen werden. „Scarborough Fair/Canticle“, „The Boxer“ und „Homeward Bound“ gehören inzwischen zum Great American Songbook. Die Nostalgie und Patina in Garfunkels Vortrag sind kaum auszuhalten, wären da nicht immer auch diese funkelnden Jungsaugen. „My heart is still young, but my voice is old“, sagt er einmal. Ein andermal: „It feels like 1967 is just behind my left shoulder.“ Im Rückspiegel wirken die Dinge des Lebens oft etwas näher.

Eine Messe der Erinnerungen

So wird das Konzert immer jenseitiger und zeitversunkener und gerät zu einer altersmilden, demütigen Erzählung voller grandioser Anekdoten und grandioser Lieder. Garfunkel erzählt, wie Paul Simon und er aufwuchsen, wie Simon ihm zum ersten Mal „The Sound Of Silence“ vorspielte, wie sie gemeinsam Straßenmusik machten, wie sie erfolgreich wurden, wie ihre Freundschaft von der Presse in den Dreck gezogen wurde, wie sie sich immer wieder zusammenrauften („like in every good marriage“), wie er bei Simons letztem Geburtstag eine Rede hielt, von der er selbst nicht weiß, wie ihm solch poetische Worte einfallen konnten („Paul connected me to the world“).

Er erzählt, wie er mit Jack Nicholson einen Film drehte und wie beeindruckt er von dessen Schauspielkunst gewesen sei. Er erzählt, dass New Yorker generell ein sehr großes Ego haben, weshalb sie glauben, die Welt gehöre ihnen. Er erzählt von seinen Auftritten in den beeindruckendsten Konzerthäusern der Welt, und dass das beeindruckendste die Royal Albert Hall sei. Er liest sehr viele sehr weise und poetische und sentimentale Auszüge aus seiner für 2017 angekündigten Autobiografie vor, bei denen das Publikum lauscht, als sei der Allmächtige für eine exklusive Lesung herabgestiegen. Er unterbricht seine Messe der Erinnerungen, um darauf hinzuweisen, dass in Reihe eins eine sehr attraktive Frau sitzt, die ihn von seinen Schilderungen ablenken würde. Ja, die Libido und die Liebe lassen ihn nicht los.

Er singt seinen größten Solo-Hit „Bright Eyes“ mit glockenheller Stimme. Er singt ein paar Takte von „Bridge Over Troubled Water“ mit gebrochener Stimme. Er betont noch mal, dass er ein „Oldster“ ist. Er zählt seine liebsten Songschreiber (neben Paul Simon) auf. Einer davon ist Randy Newman. Dessen „Real Emotional Girl“ haucht und schmachtet er, als sei es das reinste und unschuldigste Liebeslied, das je ein Mensch schrieb. Er sagt: „Isn’t that a great song?!“ Und lacht einmal heiser. Er verbeugt sich immer wieder vor seinem Pianisten und Gitarristen. Er greift sich immer wieder an die Brust und reckt die Arme weihevoll gen Publikum.

Und dann beschließt er den Abend mit Jesse Belvins „Goodnight My Love“ und dem Traditional „Now I Lay Me Down To Sleep“, das bei ihm klingt wie das süßeste Kinderlied.

Das Herz dieses Mannes ist ewig jung. Möge er noch viele Menschen mit seiner Stimme zu Tränen rühren.

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