Attacke der verrückten Frösche

Auch die Musik-Charts werden als Folge des Download-Syndroms verändert

Unter den Alarmismus mischt sich gern Schadenfreude, wenn die über Wohl und Wehe einer ganzen Branche entscheidenden Charts mal wieder manipuliert wurden. Erst neulich, als dieser halbseidene Musikhöker in Berlin von seinem guten Recht Gebrauch machte, eigene Produkte in für Charts-Platzierungen hinreichenden Stückzahlen käuflich zu erwerben. Was wurde da nicht vom Leder gezogen, gefeixt, gemahnt, gescholten. „Pfuideibel“, erboste sich dröhnend ZDF-Schlageronkel Dieter Thomas Heck, geißelte den „mit krimineller Energie“ begangenen Charts-Frevel und hisste die schwarzrotgoldene Flagge: Es gehe nicht an, den inkriminierten Titel „für Deutschland“ ins Rennen zu schicken beim – und hier schauderte es den Profiplauderer – „Song Contest, wie das ja jetzt auf Neudeutsch heißt“. Unanständig, so Heck, sei das „in höchstem Maße“. Wobei nicht ganz klar wurde, was ihn mehr erzürnte: der dreiste Hitparaden-Schmu oder die unsägliche Anglifizierung des schönen deutschen Grangbriedelaschangsong.

Gleichviel, es herrschte Unmut bei den Rechtschaffenen, während sich ehrlose, undeutsche Elemente hämisch die Hände rieben. Vor allem Indie-Ideologen, denen die Charts-Allmacht von jeher ein Dorn im Auge war, weil ihre eigenen Platten dieselbe Chance auf eine Charts-Platzierung haben wie auf Platin oder einen Grammy. Bald schon indes wird sich beides erledigt haben, die notorische Nörgelei über den Barometer des Massengeschmacks und die generalstabsmäßigen Überfälle von Käuferbanden auf Mediamärkte. Alles obsolet, ‚cause the Charts, they are a-changin‘.

Noch nicht bei uns, doch ist es nur eine Frage der Zeit, bis man auch hier dem Modell UK folgt. Dort werden seit Mitte April Downloads zur Ermittlung der wöchentlichen Singles-Charts herangezogen. Ein Computer-Click zählt nun für die Compilation der all-important Top 30 soviel wie ein Gang in den Plattenladen. Ein Fiasko, aus der Sicht von Händlern und Vertrieben, denen die Cyber-Sales zwar schon seit Jahren Umsatzeinbrüche bescheren, die nun aber auch ihre restlichen Felle davonschwimmen sehen. Denn das Kerngeschäft mit den limitierten Editionen verliert für die Plattenfirmen seinen Reiz. Kamen bisher von jeder Single mehrere Versionen heraus, als CD, DVD, 7inch oder 12inch, jeweils in begrenzten Mengen, um in der Summe der Verkäufe einen möglichst hohen Charts-Einstieg zu ermöglichen, braucht es künftig nur virtuelle Extras, etwa Videos, um denselben Effekt zu erzielen. Mehr als 50 Jahre nach ihrem erstmaligen Abdruck im „New Musical Express“ werden, so befürchtet nicht nur „The Sunday Times“, die UK-Charts ihre ohnehin lädierte Reputation in Sachen Pop-Opinionmaking vollends verlieren.

Aus mehreren Gründen. Zum einen „ist es unmöglich zu gewährleisten“, so das Blatt, „daß sich alle Beteiligten an die Spielregeln halten“. Downloads kosten ja kaum etwas, wenn man die eigenen Files lädt. Ferner wird, da die so genannte Schwellenangst und die schmerzliche Trennung von Bargeld entfällt, vermehrt die Instant-Entscheidung eine Rolle spielen. Konsum-Clicks aus Langeweile oder aus einer Laune heraus. „It means more grunge, less cheese“, freideutsch: mehr Ramsch, weniger Substanz. Und schließlich, da scheinen sich alle Experten einig, wird die Virtualisierung der Charts das Ende des digitalen Tonträgers beschleunigen: „It spells the demise of the CD within five to ten years.“ Kein großer Verlust, könnte man meinen. Wäre die Klangqualität der hyperkomprimierten, datenreduzierten Computer-Files nicht noch deutlich mieser. Was freilich kaum noch registriert wird bei der Geschwindigkeit, mit der die Gesellschaft ihre geistigen Kompetenzen wie lästigen Ballast über Bord wirft beim bumsfidelen dumpingdown, bit by bit. Ist halt praktisch, so ein iPod.

Die erste Nummer eins in den UK-Charts nach Implementierung der neuen Regeln war übrigens „Is This The Way to Amarillo“ von Tony Christie, jener Kreuzung zwischen Tom Jones und einer Flasche Gin, die besser in der wohlverdienten Versenkung geblieben wäre. Abgelöst wurde der Untote von einem Abfallprodukt der deutschen Klingeltonindustrie namens Crazy Frog mit einer Art Amoktechno aus debilem Gezeter, so imbezil, daß selbst Scooter daneben anmuten wie Steely Dan. Jamba Jamba? Top Of The Pops.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates