Auf den Straßen schreien Teenies für Frieden, in den Radios singen Bands des neuen deutschen Miteinanander-Pop über Menschlichkeit – und hohe Mieten

Zorn steht jungen Männern gut. Wenn er unangemessen und ungerecht ist, noch besser. Eine ganze Band-Generation beklagte vor einigen Jahren zu larmoyanter Gitarrenmusik ihre Verzweiflung über und ihr Leiden an einer seltsamen Welt, die sie nicht mehr versteht. „Alles was ich will, ist nichts mit euch zu tun haben“, sangen seinerzeit Tocotronic, die vielleicht die Begründer dieses Befindlichkeits-Pop und sicher ihre prominentesten Vertreter sind und in deren versuchter Nachfolge viele verkrachte Studenten zur Gitarre griffen.

Wer es vorher noch nicht gemerkt hatte, begriff spätestens mit dem letzten Tocotronic-Album, dass diese Zeit vorbei ist. Oder allerspätestens, als Herbert Grönemeyer dem Menschsein und der Versöhnlichkeit zu einem Revival verhalf. Ein neuer Drang zum gefühligen Miteinander ist nun bei den jungen deutschen Bands zu spüren, die sich deutlich aus ihren Texten lesen lässt. Auf dem Kettcar-Album „Du und wieriet von deinen Freunden“ (siehe auch Kasten rechts) etwa wird viel von der Suche nach Heimat gesungen, von einem Leben, das ohne schützende Ironie auszukommen versucht: ,Jenseits von cool und raus aus dem Selbstmideid“. Auch Tomte haben neuerlich die Nächstenliebe entdeckt Sicher, es bleibt schwierig, doch trotz allen Malaisen sieht Sänger Thees Uhlmann hinter all diesen Fenstern Menschen – am liebsten würde er die Arme öffnen, um alles, alles zu umarmen, was ihm gefällt: „Es könnte Trost geben, den es gilt zu sehen.“ Für die Bands mit den schrägen Stirnsträhnen-Frisuren war das undenkbar.

Noch optimistischer sehen Virgina letzt! aus Berlin auf ihrem Debütalbum „Wer hat Angst vor Virginia Jetzt'“ die Welt. „Es wäre Unsinn, wenn wir uns hinstellen würden und sagen, es geht uns so schlecht“, sagt Gitarrist und Texter Thomas Dörschel. „Wir sind alle scheißkonservative Mittelstandskinder.“ Die Single „Von guten Eltern“ liefert die entsprechende Selbstpositionierung: „Wir sind von guten Eltern, wir haben alles schon gesehn, wir haben keine Sorgen und wir haben nicht mal ein Problem.“ Keine Meckerei, kein gedankenvolles Flanieren in verratzten Einkaufspassagen: „Wir gehen gern nach draußen und liegen nachts noch lange wach, weil alles soviel schöner ist, wenn man die Augen zumacht“ Das behagliche Leben wird sorgfältig verriegelt und niemand von draußen hereingelassen – „nur die Guten vielleicht, die erkennt man doch gleich.“

„Ich bin alleine und ich weiß es, und ich find es sogar cool“, sangen Tocotronic „All das soll immer mein sein, ich will nie mehr allein sein“, singen Virginia Jetzt!. „Bei uns geht es um etwas anderes als bei der Generation zuvor“, sagt Bassist Mathias Hielscher. „Es geht nicht mehr nur um die Inhalte, sondern mehr um ein gemeinsames Lebensgefühl, um ein Wir-GefühL Das funktioniert auch, wenn man alleine im Auto sitzt und die Musik ist da. Das ergibt so einlch-und-die-Musik-GefühL“ „Oden Ich und die Band.“, sagt Thomas, „oder ich und so Typen wie die Band. Ich und das, über das da gesungen wird.“

Auch gemischtgeschlechtliche Zweisamkeit hat da ihren Platz, scheint dann aber oft eher auf kameradschaftliche Gemeinschaft herauszulaufen als auf sonst was: In Virginia Jetztls „Dreifach schön“ wird „sie“ gekitzelt, bis sie umfällt Audi die Sportfreunde Stiller, die großen alten Herren des Wir-Pop, machen in „Ein Kompliment“ höchst unsexy Komplimente: Wer, bitte, wäre denn gern eine Supermarktsüßwarenabteilung oder ein Allradantrieb? Bei Tocotronic wurde bei derlei Anlässen zumindest Alkohol getrunken und der Teppichboden versaut.

Und auch das ist neu: Es gibt keine Feindbilder mehr. Erbsenzähler hatten in den Liedern der Befindlichkeitspopper immer viele Ichs und ein scharfumrissenes Sie gefunden: Die Hölle, das waren die Fahrradfahrer, Kleinkünstler, Langsamgeher. Die neuen Gemeinschaftler dagegen halten sich an einem festlich beschworenen Wir, das kein Sie als Gegenpart braucht. Im Sportfreunde-Schlager „Auf der guten Seite“ werden zwar allerlei Ärgernisse benannt, die von politischen Banditen über überhöhte Mieten bis zu leeren Versprechungen reichen. Der gutgelaunte Protest richtet sich gegen alles, also gegen nichts. Zumal die aufgeführten Beschwerlichkeiten ohnehin in einer schmusig warmen Wir-Gewissheit aufgelöst werden: „Du und ich und sonst noch ein paar Leute, wir sind auf der guten Seite“.

Das Lied hätte eine ausgezeichnete Demonstrationshymne für die Generation Golf abgegeben: Sie ging im Zuge des Irak-Krieges zwar vordergründig gegen politische Banditen auf die Straße, aber irgendwie auch gegen überhöhte Mieten, dagegen, dass ihre wohlsortierten Zukunfts- und Karrierepläne in einer zunehmend unsicheren Welt wacklig zu werden scheinen. „Wir stell’n die Weichen für neue Zeiten“, singen Virginia Jetzt! Zu einer Anti-Kriegshymne, einem alle Menschen einenden Friedenslied, hätte er sich aber zu keiner Zeit berufen gefühlt, sagt Thomas Dörschel: „Da ist vielleicht doch Der Junge mit der Gitarre der bessere Ansprechpartner.“

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