Aufgeladene Fraktale

MOLOTOW, HAMBURG.

Es ist absolut kein Vergnügen, an einem Sonntagabend schwer verkatert ein nahezu ausverkauftes Club-Konzert zu besuchen. Das an der Reeperbahn gelegene „Molotow“ ist zudem ein Relikt aus einer anderen, härteren Zeit, in der extremer Alkohol-und Nikotin-Missbrauch grundsätzlicher Bestandteil eines jeden gelungenen Rockkonzert-Vergnügens waren.

Eng gewundene Stufen fuhren hinab in einen finsteren Keller, wo bereits eine Hundertschaft aufgedrehter Teenager wartet. Die fünf Briten aus Oxford gelten als Band der Stunde, weil sie das Format Rock ungewöhnlich innovativ und eloquent erweitern. Ob man die Musik des famosen Debütalbums „Antidotes“ jetzt Afro-Rock, New-Rave oder Insektenforscher-Pop nennt, ist dabei fürchterlich egal.

Als ich mich endlich unter all die 17 bis 19-Jährigen gezwängt habe, betreten die Musiker die 30 Zentimeter hohe Bühne. Sänger Yannis Philippakis und seine twentysomethings tragen top-modische Haarschnitte und zum Teil elegante 7-Tage-Bärte, die aussehen, wie von einem Stylisten entworfen.

Statt mit einem der Hits startet das Konzert mit einer rhythmischen Improvisation, für die sich der Sänger hinterher wie folgt entschuldigt: „Wir mussten noch einen kleinen Soundcheck machen.“ Was darauf folgt — eine Supernova: „The French Open“ explodiert, und zwei Drittel der Teenager springen herum wie in einer Mischung aus Hüpfburg und Gummizelle. Gitarrist Jimmy Smith wippt und schaukelt derweil mit seinem Oberkörper, wie man das sonst nur in einem Aerobic-Kurs für Fortgeschrittene sieht.

Als Phillippakts dann „Cassius“ ankündigt, springt die Meute gleich noch einen halben Meter höher. Positiv aufgeladene Gitarrensound-Fraktale rasen wie in Lichtgeschwindigkeit durch den Raum, die Stimme vibriert vor Hysterie, während der hübsche Drummer Jack Bevan — unlängst posierte er für eine „Burberry“-Kampagne im Trenchcoat — trommelt, als ginge es um sein Leben.

Nur zwei kleinwüchsige Blondinen, die mir fast auf den Füßen stehen, trennen mich jetzt noch vom tobenden Mob. Der anfängt mitzuklatschen, als wären wir in einem ausverkauften Fußball-Stadion. Dabei ist der Kellerraum so eng und niedrig, dass der Gitarrist problemlos seine rückkoppelnde Gitarre gegen die Decke pressen kann — ohne sich dabei zu strecken.

Beim ruhigen“Olympic Airways“ zeigt Edwin Congreave dann ein paar Kunststücke auf seinem alten Korg MS 20 Synthesizer – es rauscht, fiept und rülpst wie zu seligen Post-Punk-Zeiten.

Die Bands dieser Ära —für Foals sicher ein ebenso wichtiger Einfluss wie Techno. Das Intro von „Two Steps Twice“ erinnert jedenfalls stark an DJ Rolandos Klassiker „Knights Of The Jaguar“. Nicht nur hier arbeiten Foals mit der Dramaturgie von Tracks, steigern die Intensität bis zum größtmöglichen Effekt – um schließlich wieder Luft zu holen und einen neuen Anlauf zu wagen. Es scheint, als hätte der afrikanische Einfluss, den viele auf „Antidotes“ hören, einen Umweg über Detroit genommen.

Nach einer sehr knappen Stunde wird „Electric Bloom“ als letztes Stück angekündigt. Glücklicher Teenager-Schweiß liegt in der Luft, als sich das manische Sirren von Gitarre und Keyboard noch einmal bündelt mit dem extrem fett klingenden Sound von Bass und Schlagzeug. Phillipakis hat sich ein paar Stöcke besorgt und drischt auf eine Trommel ein, als solle eine Jungfrau dem heidnischen Dschungel-Gott geopfert werden. Und natürlich rocken die Fohlen in der Zugabe noch einen halbfertigen Song, den bisher niemand außer den Musikern gehört hat. Einfach so, aus Spieltrieb.

Es sind Bands wie die Foals. die dafür sorgen, dass Rock’n’Roll wohl niemals sterben wird. Und das Beste: Sie sind auch noch ein prima Kater-Killer.

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