Bald glüht der Grabbeltisch

Nach 50 Jahren erlischt bei uns das Copyright von Musikaufnahmen. Wenn das stimmt, kann bald jeder Beatles– und Elvis-CDs pressen – und die Musikindustrie hat ein Problem mehr.

Wie man seine eigene Beatles-CD auf den Markt bringen kann? Ganz einfach: Man besorgt sich, zum Beispiel, eine alte Ausgabe des Albums „With The Beatles“. Digitalisiert die Musik, überarbeitet sie ein wenig mit gängiger Software. Denkt sich einen neuen Titel für die Platte aus, sucht ein hübsches Coverfoto. Lässt ein paar Paletten CDs pressen. Und wartet ein wenig. Genau: bis zum 12. November 2013. An dem Tag ist es nämlich exakt 50 Jahre her, dass „With The Beatles“ in Deutschland erschien. Und laut geltendem Recht erlischt in dem Moment das Copyright, das die Plattenfirma an einer Aufnahme hält. Die Musik wird, welch holde Idee, „gemeinfrei“. Öffentliches Eigentum. Jeder darf sie weiterverkaufen. Wenn er noch einen Käufer findet.

Moment mal: Don’t try this at home! Das eben entworfene Szenario ist natürlich streng theoretisch und soll keineswegs ermunternd wirken. Fakt ist bloß: Langsam nähern sich die 60er-Jahre der magischen 50er-Grenze. Die Werke der Beatles und Stones, von Dylan, Tim Buckley oder Lovin‘ Spoonful. Das strahlende Erbe der Popkultur wird in absehbarer Zeit in die rechtliche Grauzone rutschen. Und wer in vorauseilender Demut glaubt, dass es gegen Kinks-Ramsch-Ausgaben und Grabbeltisch-The-Who schon eindeutige Rechtsmittel geben wird – der täuscht sich in der Tat.

Schon seit fünf, sechs Jahren debattieren EU-Kommissare über die Zukunft des Leistungsschutzrechts. Jenes Rechts, das die ordnungsgemäße Verwertung einer Bild- oder Tonaufnahme regelt. Bislang bleiben diese wertvollen Lizenzen besagte 50 Jahre ab Erstveröffentlichung beim Rechteinhaber, also zumeist der Plattenfirma. Viel zu kurz, finden Vertreter der Musikindustrie. Und verlangen von Brüssel eine europaweite Verlängerung. Der vorgeschlagene Kompromiss liegt derzeit bei 70 Jahren.

Bei Gesprächen mit betroffenen Firmen spürt man schon jetzt Unsicherheit und Sorge. Richard Weize vom renommierten Reissue-Label Bear Family hofft dagegen auf die Selbstregulierungskraft der Branche, auf Ehrgefühl. „Wir lizenzieren einen Song auch dann, wenn er älter ist als 50 Jahre“, sagt er. „Es geht mir ja nicht darum, möglichst viel Geld zu verdienen, sondern gute Arbeit zu machen.“

Das heißt: Man kann auch freiwillig zahlen. Eine Frage von Anstand und Leben-und-leben-lassen-Mentalität. Viele Rechteinhaber verlassen sich lieber nicht auf den Ehrenkodex. Zum Beispiel die EMI, die ihren Beatles-Katalog nach Leibeskräften digitalisiert und remastert. Um Kapital zu aktivieren, aber eben auch, um neue Master zu schaffen: Die überarbeitete Version eines Klassikers ist nämlich auch wieder, vom Zeitpunkt der Neuveröffentlichung an, 50 Jahre lang geschützt. Doch was passiert mit den ursprünglichen Aufnahmen? Ja, ja, da braue sich wohl etwas zusammen, hört man aus der Lizenzabteilung der EMI. Nur was, das will oder kann niemand so genau sagen.

Allerdings erlischt nach 50 Jahren natürlich nur ein Teil der rechtlichen Gemengelage. Das Leistungsschutzrecht betrifft nur die an einer Aufnahme beteiligten Musiker, nicht den Urheber, also die Komponisten und Textdichter, deren Werk bis 70 Jahre nach ihrem Tod geschützt ist. Wenn einer eine alte Aufnahme neu veröffentlichen oder als Sample nutzen will, muss er also trotzdem zur GEMA gehen und zumindest die dort eingesammelten Gebühren an Künstler, Verlage und Labels zahlen.

Internationales Recht verkompliziert die Lage – in anderen Ländern gelten andere Sitten, die Situation wird schnell undurchsichtig. Dazu kommt, dass ganze Alben zum Beispiel nicht mit dem Original-Cover veröffentlicht werden dürfen, schon gar nicht mit Abbildungen der Musiker, die wiederum durch andere Rechte geschützt sind. Selbst die unerlaubte Übernahme der Liedtitel könnte unter Umständen vor Gericht gehen.

Dazu gibt es noch so etwas wie moralisches Recht – und diverse Wettbewerbsregeln, die viele Möglichkeiten für juristische Einsprüche bieten. Wer also wild selbstgemachte Kopien herausbringt, begibt sich in Gefahr. „Die Veröffentlichung eines Werkes wird nach Ablauf der Schutzfrist etwas leichter, weil einer weniger ein Stück vom Kuchen abhaben will beziehungsweise kann“, erklärt Fachanwalt Julian Eberhardt von der Sozietät Eisenführ Speiser. „Doch die Rechte des Komponisten müssen natürlich weiter berücksichtigt werden. Da ist dann immer noch Musik drin.“

So oder so: Die großen Alten und ihre Erben werden sich zu wehren wissen und ihrerseits von den Labels Tantiemen fordern, auch nach Ablauf des Copyrights – das ist ohnehin die Praxis. Und doch werden in den kommenden Jahren wohl Compilations erscheinen, die ganze Diskografien verwirren – oder verschollene Schätze ans Licht bringen, die der bisherige Rechteinhaber mangels großer Gewinnerwartung nicht heben wollte. Alle Augen schauen nun nach Brüssel: Die vom Parlament bereits gutgeheißene Vorlage zum längeren Musik-Haltbarkeitsdatum scheitert bislang offenbar noch an fehlenden Mehrheiten in den Mitgliederstaaten.

Doch könnten die ebenso heiß erwarteten wie gefürchteten gemeinfreien Veröffentlichungen überhaupt marktrelevant werden? Nein, meint Richard Weize. Es gebe doch kaum noch Käufer für die alten Lieder. Ohnehin weiß Weize eine salomonische Lösung. „Da wird gestritten, welches Label nun nach 50 Jahren die Rechte haben darf“, sagt er. „Dabei wäre es doch viel vernünftiger, wenn die Rechte nicht einfach erlöschen, sondern an den Künstler zurückfallen.“ Und das wiederum wäre eine reife Leistung.

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