Barry Manilow im Interview: „Da ist so ein Raspeln in meiner Stimme …“

Millionen erfreute und nervte er mit "Mandy", jetzt ist er zurück: Im Rolling-Stone-Interview spricht der große Barry Manilow mit Joachim Hentschel über gefälschte Fotos, Stolperfallen des Ruhms – und darüber, warum er den Beatles seine Karriere verdankt.

Ob Barry Manilow laufen würde, wenn man das Radio andreht – die Frage stellte sich an einem normalen Wochentag Ende der 70er-Jahre gar nicht. Eher: Läuft „Mandy“ – oder „Copacabana“? So gewaltig war damals der Lauf des New Yorker Sängers und Songwriters, dass er 1978 fünf Alben gleichzeitig in den amerikanischen Charts hatte. Und vielen gerade deshalb als Hassfigur und Inbegriff des emotional gelähmten, systemerhaltenden Schlagers galt.

Andere lieben Manilow bis heute dafür, dass er eine uncoole, dennoch verdienstvolle Showkultur schön störrisch weiterzelebriert: das Kunstlied im Geiste Irving Berlins, Walt Disneys und der Tin Pan Alley, die (gerne auch mal kleine) Gestik des Entertainers, der sich nie ins Uneigentliche flüchtet. „Bitte machen Sie weiter, Sie inspirieren uns alle so sehr!“, soll Bob Dylan laut Legende zu Manilow gesagt haben, als er ihn 1988 auf einer Party traf.

Nach sieben Jahren Las-Vegas-Heimspiel und diversen Alben für den Shopping-Kanal-Markt hat der Gepriesene, mittlerweile 68 Jahre alt, nun ein Album mit neuen Originalsongs gemacht, „15 Minutes“, das in Deutschland (mit einer Bonus-Live-CD) eben unter dem Titel „Forever And Beyond“ erschienen ist. Zum Interview im Berliner Ritz Carlton erschien Manilow – gezeichnet von diversen unnötigen Schönheitsoperationen – als weltläufiger Jackett-Gentleman, trank Fanta und musste als erstes das berühmteste Foto kommentieren, dass es von ihm gibt.

Mister Manilow, lassen Sie uns kurz über das Bild auf dem Cover ihrer ersten „Greatest Hits“-LP von 1978 (Foto links) sprechen. Die Cremefarben, dieser unendlich sanfte Blick …

Ich habe nie so ausgesehen! Das ist alles Airbrush und so weiter.

Das ist das Bild, an das fast jeder denkt, wenn er Ihren Namen hört!

Schön, aber wie gesagt, so sah ich nie aus. Was für ein wunderwunderschöner Junge …

Erinnern Sie sich daran, wie das Foto entstand?

Das ist eine Million Jahre her. Ein großartiger Make-up-Mann war dabei und hinterher ein toller Airbrush-Künstler. Die Halskette mit dem Stern hatte mir meine damalige Freundin Linda geschenkt, mit der ich heute noch Kontakt habe. 

Passte es Ihnen, dass solche Fotos Ihr öffentliches Bild prägten?

Dass die Leute mich für so wunderschön halten mussten? Klar, wer würde das nicht wollen? Die meisten anderen Bilder waren ja grauenhaft.

Welche?

Kennen Sie das, auf dem ich das Copacabana-Jackett trage?

So oder so, Sie sahen sich doch als ernsthafter Musiker. Da wäre es Ihnen sicher lieber gewesen, die Öffentlichkeit hätte ein weniger schmalziges optisches Bild von Ihnen gehabt.

Nein, kantig und kunstsinnig war ich ja auch nicht. Genau so wenig, wie ich der Schwiegermuttertraum war. Die Wahrheit lag dazwischen.

Ihr neues Album, „15 Minutes“, das jetzt als Teil der Doppel-CD „Forever And beyond“ in Deutschland erschienen ist …

(Manilow zieht eine elektronische Zigarette aus der Sakkotasche) Kennen Sie diese Dinger?

Ja, die kenne ich. Tun Sie sich keinen Zwang an!

Da kommt nur Wasserdampf raus! (beginnt zu rauchen)

Also, Ihr neues Album – die Songs liegen auch irgendwo dazwischen: weder eine krasse Kehrtwende noch die typische Showmusik, für die Barry Manilow bekannt ist.

Ich hoffe auch, dass ich damit ein etwas größeres Publikum erreiche! Und dass ich nicht zu viele meiner Fans enttäusche, die große Balladen und Streicher erwarten. Die liebe ich auch, aber als wir an diesem Album arbeiteten, am Songzyklus über den Segen und Fluch des Berühmtseins und wie Menschen damit umgehen – da war bald klar, dass man diese Geschichte nur mit etwas energischer Musik erzählen kann.

Haben Sie überlegt, sich dafür einen jungen, hippen Produzenten zu nehmen? Jack White, Danger Mouse?

Die Versuchung ist da, aber am Ende bleibe ich immer beim Bewährten. Ich bin bei meinen eigenen Alben immer Co-Produzent, dieses Mal habe ich mit Michael Loyd gearbeitet. Die einzige Person, die mir einen jungen Hit-Typen aufzwingen könnte, ist Clive Davis. Aber er hat immer darauf vertraut, dass ich es selbst am besten weiß.

Ist die „15 Minutes“-Story über Aufstieg und Fall der Berühmten denn ihre eigene?

Ja, ein Stück weit. Mein Songwriting-Partner Enoch Anderson und ich haben zwar alles frei erfunden, und den richtig tiefen Fall habe ich selbst ja nie erlebt. Aber als ich die Texte sang, merkte ich, dass ich jedes einzelne dieser Gefühle bestens kannte.

Die schwärzesten Jahre des Millionentalents Barry Manilow – welche waren das denn?

Die ganz frühen, als „Mandy“ zum Hit wurde. Sehr schwierige Zeit.

Wieso das denn? Da waren Sie on top of the world.

Mein Leben veränderte sich über Nacht! Schauen Sie sich mal die Kids an, die bei „American Idol“ oder anderen Casting-Shows mitmachen – auch da frage ich mich: Wie gehen die mit diesem plötzlichen Ruhm um? Das sind so junge Menschen. Ich war ja immerhin schon 29 und hatte zehn Jahre im Musikbusiness hinter mir, als ich diesen völlig unerwarteten Hit hatte, über Nacht bekannt wurde, von Tausenden von Leuten angebrüllt wurde, nicht mehr ohne Polizeieskorte ins Auto einsteigen konnte. Ich habe das als Erwachsener erlebt, trotzdem warf es mich völlig aus der Bahn.

Gab es einen Moment der Klarheit? Als Ihnen bewusst wurde, dass es so nicht weitergeht?

Das kam an einem Abend in Florida, auf Tour. Ich saß auf der Hotelterrasse im Schaukelstuhl, schaute aufs Meer, plötzlich wurde mir bewusst: All die Menschen, die hier mit mir die Zimmer teilen, werden von mir dafür bezahlt! Assistenten, Publizisten, Crew, Band … Der Gedanke traf mich! Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich zu allen so besonders nett war. In dem Moment wurde mir jedenfalls klar, dass ich wieder der Mensch werden musste, der ich vor „Mandy“ war. Als Erstes nahm ich Kontakt zu meiner Familie und meinen alten Freunden auf, zu den Leuten, die mich auch ohne Make-up kannten. Das half.

Wenn Sie in der Zeit zurückreisen könnten – würden Sie „Mandy“ noch einmal aufnehmen?

Aber natürlich! Ohne zu überlegen! Ich bin extrem dankbar für diesen Song.

Was waren denn die allerersten Songs, die sie je geschrieben haben?

So richtig erinnern kann ich mich nicht – aber ich weiß, dass sie nicht übel waren! Mein Songwriting-Partner Marty Panzer und ich wuchsen in den Slums von Brooklyn auf, wir fingen schon in der Highschool mit dem gemeinsamen Schreiben an. Die ersten Songs bekam allerdings niemand zu sehen, die wanderten in die Schublade. Ans Singen dachte ich damals ja nicht mal im Traum. Ich sah mich als Schreiber, für andere.

Mit den Beatles und Stones wurde es dann schick, dass Künstler ihre Stücke selbst schrieben. Wie wirkte sich das auf Ihre Arbeit aus?

Gewaltig! Obwohl meine Songs ja nichts mit dem zu tun hatten, was die Beatles machten – der Typ des Singer-Songwriters wurde damals so beliebt, dass ich meine Stücke nicht mehr los wurde! Fast alles, was ich rausschickte, kam zurück. Es gab schon noch ein paar Leute, Sinatra zum Beispiel, die Fremdmaterial brauchten, aber die meisten wollten ihre Songs ab sofort selbst schreiben. Das war ja der Grund, warum die Plattenfirma plötzlich zu mir sagte: „Du musst jetzt singen!“ Es war die einzige Chance, meine Lieder an die Öffentlichkeit zu bringen.

Moment mal – die Beatles sind Schuld daran, dass Barry Manilow Sänger wurde?

Kann man so sagen. Die ersten Aufnahmen fand ich furchtbar. Aber der Firma gefiel irgendwas daran. Etwas, was ich nicht hören konnte.

Wissen Sie heute, was es ist?

Ich glaube schon: Da ist so ein bestimmtes Raspeln, ein Kratzen in meinen Stimmbändern, aber nur an bestimmten Stellen. Das klingt im Radio einfach großartig. Außerdem: Ich bin ganz hervorragend darin, Songtexte zu interpretieren. Durch die Art meines Gesangs! Wenn Sie mir einen Song geben, dann passen Sie mal auf, dass die Lyrics richtig, richtig gut sind! Weil Sie sie HÖREN werden!

Während Ihrer langen Karriere sind viele musikalische Revolutionen passiert: Psychedelia, Heavy Metal, Punk, Techno. Nichts davon hat je auf Ihre Musik abgefärbt.

Sie haben recht! Weil das nicht mein Stil ist. Wobei – ein paar Sachen haben ihre Spuren hinterlassen. Ich kenne mich ganz gut mit Computern aus, mit ProTools und Arrangement-Programmen. Musikalisch habe ich immer das zu integrieren versucht, was mir selbst am neuen Pop gut gefiel, Loops und neue Rhythmen zum Beispiel. Aber als Rap und HipHop die Herrschaft übernahmen – that was when they lost me! Da konnte und wollte ich nicht mitmachen.

Sie haben sich mit Ihrer Stimme ja sicher auch gewisse sexuelle Vorteile ersungen …

Ich mochte das nicht! Sex hin oder her – ich mochte diese ganze Aufmerkamkeit nicht! Ich sah mich doch als Musiker, als einer der guys in the band. In meinem Pass steht „Musiker“, nicht „Entertainer“ oder „Pretty boy“.

Immerhin können Sie mit diesem Pass die ganze Welt sehen. Das geht ja nicht mit allen Musiker-Pässen.

Tourneen sind für die jungen Leute. Ich habe nach 30 Jahren wirklich genug: schlechter Zimmerservice, verspätete Flüge, diese furchtbaren schweren Koffer … mein Gott, wenn ich nur daran denke! Als mir dann der Job im Hilton Hotel in Vegas angeboten wurde, vier Nächte pro Woche, war ich erst skeptisch: Das klingt immer so nach Gnadenbrot, alter Sänger in Vegas … Am Ende war es großartig! Celine ist da, Elton ist da, Rod Stewart ist da. Vegas ist heute total hip!

Gibt es da dann sowas wie einen Stammtisch? An dem sich all die Stars treffen, nachts nach der Show, auf zwei gemeinsame Drinks?

Ich dachte auch: Wenn ich nach Vegas komme, dann trifft man sich ab und zu mal, wie nett. Aber nichts dergleichen! Elton bin ich ein paar Mal begegnet, das war’s aber auch.

Mister Manilow, haben Sie denn schon eine Idee, wer Ihr inoffizieller Nachfolger werden könnte?

Sagen Sie es mir! Würde mich sehr interessieren!

Nun ja – vielleicht Justin Timberlake, wenn er sich noch ein bisschen die Hörner abgestoßen hat?

Oh, wunderbar! Auch ein großartiger Schauspieler und Tänzer, er kann sogar komisch sein! Er hat viel mehr Talent als ich. Wissen Sie was? Ich habe mein Stückchen vom Kuchen bekommen. Und das reicht mir. 

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