Bernie Taupin – Ein Gespräch mit Eltons langjährigem Song-Partner

Dass jetzt schon wieder eine Best-Of-Retrospektive auf den Markt kommt, scheint einmal mehr zu beweisen, dass diese Songs ewig jung bleiben…

Die Best-Of ist gewissermaßen unsere Zeitkapsel, scheint mir. Ich geh mal nicht davon aus, dass sie das Ende einer Ära bedeutet – aber auf jeden Fall ist sie eine Zusammenfassung mehrerer Jahrzehnte. Wenn ich sie verteidigen müsste, würde ich sagen: Die Auswahl ist zumindest definitiv und up-to-date.

Hättest du das zu Beginn eurer gemeinsamen Karriere gedacht, dass der Erfolg vor allem im Songwriting liegen würde – und nicht so sehr in Elton als Performer?

Ganz zu Beginn, als wir uns das erste Mal trafen, kamen wir überhaupt nicht auf die Idee, Elton könnte ein Star werden – man hatte uns als Songwriting-Duo zusammengesteckt, und außer Songwriting hatten wir auch nichts im Sinn. Erst als wir die Songs nicht an den Mann brachten, sagten wir uns aus reinem Frust: Okay, ich bin kein Sänger, aber du kannst das. Du nimmst die Demos auf, dein Job ist es, dir diese Songs vorzunehmen und sie rüberzubringen. Und so wurde Elton zu Elton – weil wir frustriert waren, dass niemand unsere Songs aufnehmen wollte.

schrieben damals bestimmt über hundert Songs und nahmen Demos davon auf- und es ging nichts, wirklich absolut gar nichts. Dabei boten wir sie einer ganzen Reihe von Leuten an. Eine sehr frustrierende Zeit. Aber gleichzeitig magisch. Ich würde gar sagen, es war die magischste Zeit unserer gesamten Laufbahn. Man kann sie in einem Wort Und als dann die Hits endlich kamen, eskalierten die Dinge rasant…

Wir lebten doch von den Brotkrümeln, die Dick James uns hinwarf. Ich glaube, Elton verdiente damals 15 Pfund die Woche und ich zehn. Er bekam fünf Pfund mehr, weil er auf den Demos sang, also mehr Arbeit investierte. Aber wenn man sich das mal vor Augen hält – Elton und ich lernten uns im Herbst 67 kennen, und der erste Erfolg kam erst, als wir Ende 1970 in die Staaten kamen. Eine Reihe von Jahren mussten wir also wirklich kämpfen, um uns über Wasser zu halten – dann ist das wahrlich alles andere als ein Übernachterfolg. Wir zusammenfassen: Unschuld. Wir waren völlig ahnungslos unterwegs. Als endlich der Durchbruch kam, war das wie eine führerlose Lokomotive, und die schien dann 20 Jahre lang nicht mehr zu bremsen.

Hat sich eure Arbeitsweise schon früh etabliert? Man spricht ja immer von den „Two Rooms“…

Am Anfang war ich total naiv – ich war ja noch ein Teenager. Das heißt, ich liebte die Musik, hatte aber keine Ahnung von ihrer Konstruktion, keine Ahnung, wie man Songs schreibt. Ich meine, meine ersten Texte – das waren Lyrik-Bastarde. Ohne Schema, ohne Rhythmus, ohne Strophe-Refrain-Struktur. Ich liebte Musik, ich hörte mir Songs an – aber ich wusste nicht, dass ein Refrain ein Refrain wan Was ich von Versen wusste, kam aus der Lyrik. Also, damals stand ich wirklich an zweiter Stelle, ich gab Elton einfach meine Texte. Wir wohnten im Apartment seiner Mutter in Northwood Hills, ich kritzelte die Texte in meinem Zimmer, er nahm sie mit ins Wohnzimmer und haute in die Tasten. Dann rief er mich rein und, bang!, hatten wir wieder einen Song.

Hat es dich überrascht, als Elton, der ja eher introvertiert wirkte, dann ein großer Stadion-Showman wurde?

Nein, es überraschte midi gar nicht, dass er so extrovertiert wurde – und, ehrlich gesagt, er ist ja heute viel ruhiger als früher. Damals hat er sich noch viel mehr aufgeführt und unmögliche Klamotten getragen. Das heißt – unmögliche Klamotten trägt er heute auch noch, bloß heißen die jetzt Versace. (lacht) Aber – nein, das passte schon alles zusammen, das könnte einem wahrscheinlich jeder Freudianer erklären – und Elton wäre der Erste, der das zugibt: Er hatte eben eine repressive Kindheit; einen Vater, der ihn unter seiner Fuchtel hielt Und als Elton dann losgelassen wurde, als er ein Publikum hatte, da brach natürlich die Hölle los, da hatte er endlich die Chance, diese ganze Unterdrückung abzuwerfen und zurückzuschlagen. Das ist nicht Ungewöhnliches, und man wird wahrscheinlich bei vielen ähnlich exaltierten Performern feststellen können, dass sie als Kinder unterdrückt wurden.

Hat dich das amüsiert? Oder eher nachdenklich gemacht?

Als er das erste Mal auf der Bühne stand und dieses ganze Theater veranstaltete, da war das einerseits überhaupt nichts Neues. Aber es schien einer reinen Freude zu entspringen; dem puren Vergnügen, auf einer Bühne zu stehen. So wollte er sich eben präsentieren; er war seine Art, sich gehen zu lassen. Aber ich glaube, letztlich tat er das, weil er die Leute zum Lächeln bringen wollte. Er wollte sie unterhalten. Er wusste sicher von Anfang an, dass er kein Elvis und kein Mick Jagger war. Kein Sex-Symbol. Also überlegte er sich was anderes – anstatt ganz drauf zu verzichten und nur der zahme, brave Elton John zu bleiben. Er wollte dem Publikum etwas geben, und das war seine Art, das zu tun.

Eigentlich hätte es ja dazugehört, dass es zwischen euch beiden auch mal zum großen Knall kommt.

Wir haben uns nur einmal getrennt Das wat; glaube ich, nach „Blue Moves“, als er nach England ging und das Album „Single Man “ machte. Aber selbst da – ich hab gerade ein Interview gesehen, in dem er diesen Split sehr gut erklärte und sagte, wir hätten damals gar nicht beschlossen, uns zu trennen, wir hätten uns nur für eine Weile etwas auseinandergelebt Er sei eben damals in England gewesen und ich in Amerika, und er habe ja gewusst, dass ich nicht nach England wollte. Er schon, er hatte genug von den Tourneen und wollte einfach nach Hause. Andererseits glaube ich, es gab damals schon auch dieses tief sitzende Gefühl, dass wir lange genug an beiden Enden gebrannt hatten, dass uns nun ein Kampf ums Überleben bevorstand. Eine Zeit lang war es das auch – wir hätten damals leicht untergehen können. Dann würden wir jetzt nicht hier sitzen und dieses Interview führen, und ich hätte Elton nie wieder gesehen. Aber zum Glück brachte uns die Begeisterung für das, was wir in der Vergangenheit geschaffen hatten, wieder zusammen. Und sicher auch eine gegenseitige Zuneigung. Wir wollten einfach beide wieder Musik zusammen schreiben. Was wir dann auch taten, und man kann wohl schon sagen, dass einige unserer besten Sachen nach diesem Split entstanden sind.

Hilft das – Dinge aufzuschreiben?

Persönliche Songs sind nur zu genau der Zeit persönlich, zu der man sie schreibt. Ihre Stimmung ist etwas Unmittelbares. Anders gesagt: Die Person, die die Songs auf „West Coast“ geschrieben hat, die Gefühle, die ich zu der Zeit hatte, der Augenblick, in dem ich diese Songs schrieb, die Person, die „I Want Love“ geschrieben hat, dieser gepeinigte Mensch – war nur einen flüchtigen Moment lang da. Eine Woche oder einen Monat später hatte ich dieses Gefühl vielleicht schon nicht mehr. Das muss man immer bedenken. Die Songs sind festgehaltene Augenblicke. Dann fühlt man wieder anders und schreibt vielleicht was ganz Leichtes. Aber das ist ja gerade das Schöne am Songwriting – es fangt deine Gefühle zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt ein.

Was uns zu dem Thema bringt, dass viele Leute glauben, Elton John singe über sein eigenes Leben…

Ich tue, was ich tue, und es erblickt nicht das Licht des Tages, bevor ich nicht glücklich damit bin. Und wenn dann Leute, die keinen Einblick haben, sich vorstellen, es ginge dabei um Elton oder sonst wen, dann macht mir das eigentlich nichts aus. Ich hab rübergebracht, was ich sagen wollte, und ich schreibe die Sachen ja nicht, um mich hinterher mit einem Schild auf die Straße zu stellen: „Songs Front The West Coast‘ handelt von mir, mir, mir und sonst niemandem.“ Und so ist es ja auch nicht: Ich bin keineswegs der einzige Mensch auf der Welt, der diese Gefühle kennt; es gibt andere, die genau so empfunden haben und in der gleichen Situation waren. Bloß sind die halt keine Songwriter. Sondern vielleicht Verkäufer oder Installateure. Die hören diese Songs und denken: Ja, das Gefühl kenn ich auch, das sagt mir was. Und nur darum geht’s.

Du hast mal gesagt, es hätten sich keine zwei unterschiedlicheren Menschen finden können. Seid ihr überrascht, dass es so lang gehalten hat?

Es ist lustig – ganz am Anfang dachte ich: Naja, mal sehen, ich mach das jetzt mal ein paar Jahre lang, und dann werde ich Farmer. Ich sah es wirklich nicht als etwas Langfristiges, als wir damit anfingen – ich hätte es schlicht nicht für möglich gehalten. Ich dachte, so was kann man gar nicht ein Leben lang machen. Dass es dann doch so kam, finde ich großartig, denn es war eine wilde Zeit – und unsere Langlebigkeit schreibe ich gerade dem Umstand zu, dass wir wie Feuer und Wasser sind. Ich meine, außer der Musik haben wir sehr wenig gemeinsam. Die Musik ist es, die uns immer wieder zusammenholt, und wenn wir miteinander reden, dann reden wir auch über nichts anderes als über Musik. Das ist schon ulkig. Denn Elton spricht ungern über meine Welt, und ich weiß nichts über seine. Manchmal wird mir dabei schon etwas unbehaglich, weil wir in unterschiedlichen Teilen der Welt leben, wenig miteinander sprechen, uns selten sehen, aber… ich weiß auch nicht, es gibt offenbar irgendeine unbewusste Kraft, die uns immer wieder zusammenbringt Und ich sehe nicht, dass das aufhört Die Sache ist ja auch die: In den ersten Jahren haben wir jedes Jahr zwei Alben gemacht. Heute machen wir, wenn’s hoch kommt, alle vier oder fünf Jahre eins. Dadurch ist es leichter, die Sache am Laufen zu halten. Gerade weil wir so selten zusammenkommen – und wenn, dann ist es jedesmal eine große Freude. Und wenn wir weiterhin solche Platten wie „West Coast“ hinkriegen, dann bleib ich auch dabei, Wenn es uns keine Freude mehr bringt, dann werden wir uns einfach die Hand schütteln, uns umarmen und sagen: Tja, es war eine gute Zeit.

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