„BIG BEATS“ – DIE ROCKWERDUNG ELEKTRONISCHER MUSIK

Wie im letzten Jahr "Drum'n'Bass", fand sich auch in diesem für spektakulär laute und großspurige elektronische Musik ein Sub-Begriff: "Big Beats" - erfolgreich praktiziert von Prodigy über Chemical Brothers bis hin zu Daft Punk. Techno eroberte die Stadien.

Wo hört Rock auf und wo fangt Techno an? Die Grenze zwischen den beiden großen Brüdern der populären Musik, die zuvor in gegenseitiger Verachtung vor sich hingemacht hatten, verschwamm über die letzten Jahre mehr und mehr. Keine Gitarren-Band, die auf ein zeitgemäßes Image hielt und die finanziellen Mittel einer Major Company im Rücken hatte, verzichtete darauf, sich von Elektronik-Künstlern re mixen zu lassen – und die wiederum nutzten im Gegenzug die Gerüche, Requisiten und Präsentationsformen des Rock für ihre Zwecke. Und 1997 war das Jahr, in dem sich das Ganze auch kommerziell endlich ausgezahlt hat.

Daft Punk aus Frankreich legten mit „Homework“ das subtilste Werk innerhalb dieser jungen Verbrüderung vor. Das subtilste, aber keineswegs das leiseste. Für Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Hörnern Christo ist Disco so wichtig wie Punk, und in ihrer eleganten House Music bringen sie beides zusammen. Die jungen Männer aus Paris, die ihre Karriere in einer Gitarren-Band begonnen haben, pitchen ihre Tracks bei der Produktion derartig hoch, daß die federnde Härte von Rockrifls entsteht. So brauchen sie keinerlei Gitarren-Samples, um das Odeur von Rock auszustrahlen ohne den Gestank des Rockismus zu verbreiten. Titel wie „Rock’n‘ Roll“ oder „Oh Yeah“ sprechen eine deutliche Sprache.

Da ähneln sie den schluffigen Chemical Brothers. Die Engländer türmen ihre elektronischen Rhydimen ebenfalls ins Monströse, wobei ihre hooklines noch rokkiger sind. Techno meint hier einen neuen V&g zum Rock. „Block Rockin‘ Beats“ betitelten Ed Simons und Tom Rowlands den Opener ihres zweiten Albums „Dig Your Own Hole“, und „Big Beats“ ist der Name, auf dem man sich im letzten Jahr allgemein für das Baby geeinigt hat.

Am besten läßt sich die Rockwerdung elektronischer Musik an Prodigy verfolgen, die stets in einem Atemzug mit den Chemicals genannt werden. Sie offnen die Stadien für den Techno – ob das eine erfreuliche Angelegenheit ist, sei dahingestellt Die Engländer sind in jeder Hinsicht rekordverdächtig. In zwei Dutzend Ländern, so jubilierte ihre Plattenfirma vor ein paar Monaten, stiegen sie mit ihrer LP “ The Fat Of The Land“ auf Platz eins, und bei den letzten MTV Video Music Awards sackten sie gleich drei Preise ein.

Der Stellenwert von Prodigy entspricht etwa dem von Oasis um die kommt man einfach nicht herum, und ihre wirklichen Leistungen liegen längst nicht mehr in der Musik. Da sitzen Leute ihren Ruhm aus. Ganz unverdient ist der nicht, natürlich. Prodigy haben schon Anfang der Neunziger mit „Charlie“ eine so ingeniöse wie grimmige Breakbeat-Hymne vorgelegt, die andeutete, welches populäre Potential im elektronischen Untergrund liegt. Da läßt sich eine gewisse Vorreiterschaft nicht abstreiten.

Vor allem ist diese Band eine große Maskerade, weshalb man auch meist darüber spricht, welchen Haarschnitt der Vortänzer Keith Flint zur Zeit trägt. Allerdings läßt sich nicht ganz sicher sagen, ob Prodigy den Rock nun als Techno camouflieren – oder umgekehrt. Budenzauber, Sinnbilder und kadiartische Turnübungen ergeben eine Art Greatest Show On Earth. Denn die Shows von Prodigy sind so berauschend oder so belanglos wie die der Stones. Auf jeden Fall Rock.

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