„Bitte keine Freaks!“

Der Landkommunenhof von Ton Steine Scherben wird verkauft - falls nicht noch Rettung kommt, wie Rio Reisers Bruder Gert Möbius hofft.

Ein „Künstlerdomizil in einem reetgedeckten Friesenhof in ruhiger Alleinlage mit großzügigem Grundstück“ bietet der nordfriesische Makler auf seiner Website an, Kaufpreis 450 000 Euro. Nur Gewiefte merken, dass das drei Hektar große Anwesen nichts anderes als die legendäre Fresenhagen-Kommune ist: Hier landete 1975 die große Berliner Band Ton Steine Scherben, als der Frust über die überzogenen Ansprüche der politischen Kampfgenossen sie aus der Stadt vertrieben hatte. Der 1996 verstorbene Sänger Rio Reiser, den viele für den wichtigsten deutschen Rockdichter aller Zeiten halten, liegt sogar hier begraben. Seit dem Jahr 2000 gehört das Haus Reisers Brüdern Peter und Gert Möbius sowie dessen Frau. Sie betreiben dort Museum, Cafe, Tonstudio und Konzertscheune. Trotzdem, sagt Gert Möbius, muss nun so bald wie möglich verkauft werden.

Herr Möbius, warum braucht Fresenhagen einen neuen Besitzer?

Weil ich den Hof aus eigener Kraft nicht mehr unterhalten kann. Seit zehn Jahren betreue ich das Haus, kümmere mich um Veranstaltungen und Ausbau, bezahle die Mitarbeiter vor Ort. Allein seit 2008 habe ich rund 80000 Euro in das Haus gesteckt – das kann so nicht weitergehen. Ich bin ja im Moment der einzige Sponsor von Fresenhagen.

Woher kommt die plötzliche Geldnot? Besuchermangel?

Nein, daran liegt es nicht. In Friesland ist das Haus ein touristischer Anziehungspunkt. Wenn es zu kühl zum Baden ist, kommen die Leute entweder ins Emil-Nolde-Haus in Seebüll oder zu uns. Allerdings: Die Veranstaltungen, die eine wichtige Geldquelle für uns waren, werden immer schwieriger. Friesland ist eine kulturelle Enklave. Wenn man da oben ein Konzert macht, muss man schon die ganz großen Stars holen, die Sterne, Söhne Mannheims, Kettcar. Sonst kommt keiner. Ohne Kulturforderung geht kaum was.

Die schleswig-holsteinische Regierung müsste doch stolz sein, eine der wenigen deutschen Rock’n’Roll-Pilgerstätten bei sich zu haben.

Nein, von denen ist nichts zu erwarten. Das Land ist selbst hoch verschuldet, die wollen kein Geld für Kulturarbeit ausgeben. Die Zuständigen sagen auch, es gäbe in Friesland wichtigere Persönlichkeiten als Rio Reiser. Kann sein. Die kenne ich nur leider nicht.

Fließen nicht auch Gema-Gebühren und Erträge aus den Plattenverkäufen in die Erhaltung des Anwesens?

Auch die sinken ja bekanntlich. Aber denken Sie jetzt bloß nicht, es ginge hier nur ums Geld – ich hänge unglaublich an dem Haus. Lange habe ich dafür gekämpft, dass Rio hier beerdigt werden durfte. Es würde einen ungeheuren Einschnitt in meinem Leben bedeuten, Fresenhagen zu verkaufen.

Was passiert denn mit Rios Grab, wenn der Hof veräußert und anschließend neu genutzt wird?

Das muss dann natürlich verlegt werden. So schwer das fällt.

Wohin?

Die Berliner Matthäi-Gemeinde hat einen sehr schönen Friedhof. Die Brüder Grimm liegen da unter anderem. In der Kirche haben unsere Eltern geheiratet, auch Rios Taufe war dort. Die Grenze zwischen Kreuzberg und Schöneberg war sowieso seine Lieblingsgegend. Das würde passen.

Wie stehen derzeit die Chancen, den Fresenhagen-Komplex trotzdem in seiner jetzigen Form zu retten?

Wenn eine Musikerkommune käme, die Haus und Museum eins zu eins übernehmen würde, wäre alles gut. Dann könnte ich Rio auch dort liegen lassen. Aber solche Kommunen gibt’s heute ja kaum noch. Und Leute wie Jan Delay oder Wir sind Helden, die genug Geld hätten, wollen sicher kein Haus in der friesischen Pampa kaufen. Laut Makler haben sich schon einige potenzielle Käufer gemeldet, aber ich bin skeptisch. Etwas Zeit lassen wir uns noch.

Welche Bedingungen müsste der Käufer denn erfüllen?

Integre Leute sollten es sein. Es gibt ja genug Freaks, die sagen: „Komm, wir rauchen erst mal einen Joint und unterhalten uns dann mal…“ Die waren auch schon da. Mit denen kann man zwar jeden Blödsinn machen – aber das Haus kann ich ihnen nicht anvertrauen. Wer hier wohnt, muss wissen, wie eine Ölheizung funktioniert.

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