Blick auf die kleine Zelle

Die Debütantin Susanne Grawe hat keine Chance —aber die nutzt sie

„Es wird Zeit, endlich mal klar zu sehen“, fordert Susanne Grawe auf ihrem Debüt-Album „Bedingungslos“. Der Titel könnte auch von Hanne Haller, Milva oder Gitte Haenning stammen: Je mehr Bedingungen die Sängerinnen in Deutschland unterliegen, desto entschiedener behaupten sie in ihren Liedern — die nicht selten von Männern geschrieben werden – das Gegenteil. Und natürlich ist die „bedingungslose“ Frau von besonderem Reiz: Sie will alles, und zwar sofort, und dabei stellt sie nicht mal Ansprüche. Papi muß keinen Pfennig dazu bezahlen.

So meint Susanne Grawe das aber nicht. In einem fotokopierten Brief an „Liebe Redakteurin, lieber Redakteur“ formuliert sie klarsichtig: „Ich weiß, daß Erfolg im Musikgeschäft an viele Bedingungen geknüpft ist, die natürlich mit der Musik, aber manchmal auch mit einigen Dingen zu tun haben.“ Zwei oder drei Dinge fallen dem Redakteur dazu ein. „Bedingungslos, also unabhängig, frei, steht für mein Selbstverständnis als Künstlerin und für meine Sehnsucht als Mensch.“ Ist das naiv, ist es rührend?

Die Musik auf „Bedingungslos“ oft zugekleistert mit Keyboards und schauerlichem Saxophon – bringt nicht zum Ausdruck, was Grawe denkt und fühlt, erreicht aber immerhin gelegentlich den gefälligen Gebrauchs-Rock; die Texte entfalten keine Wirkungsmacht, die Sprache leuchtet nicht. Das Elend ist benennbar: Wenn die Grawe frei spricht, dann sprengt sie das Korsett der künstlichen Liedform und wird zur leidenschaftlichen Erzählerin. Was die Songs nur behaupten, das löst sie im Gespräch ein.

Gemeinsam mit ihrem Freund, dem Musiker und Produzenten Christian Schneider, lebt Susanne Grawe im Frankfurter Stadtteil Rödelheim. Das Instrumentarium im kommoden Wohnzimmer erlaubt den beiden die Freiheit, die sie meinen. „Wir haben Leute gefunden, die ähnliche Vorstellungen wie wir haben.“ Ein wundersamer Glücksfall in einer Branche, die Ideen mit Images verwechselt. Grawe weiß das und wird zornig, wenn sie an die Misere von Musikjournalismus und Radio denkt: „Das ist wie eine Wohngemeinschafts-Tapete: Grün und Rot ergeben Braun.“ Rigide weigert sie sich entgegen Ratschlägen, in Frauen-Zeitschriften den Typ der Saison darzustellen. „Wahrscheinlich werden vor allem die Frauen meine Musik hören – aber die Männer möchte ich noch eher erreichen.“ In dem Song „Große Jungs“ gehe es „um die kleinste gemeinsame Kriegssituation, die ganz persönliche Seelenschlacht – es sind ja hauptsächlich die Männer, die Kriege führen“. Das ist kein neuer Gedanke, aber ein wahrer. „Ich gucke auf die kleine Zelle“, sagt sie – weshalb man sich andere Reime von ihr wünscht als „Deine Hände/ Ohne Ende“. Unmerklich hat sich beim Prozeß der Verfertigung die emotionale Radikalität, zu der sie befähigt ist, aus ihren Songs geschlichen.

Susanne Grawe sang bei zahllosen Bands, brach ein Musikstudium ab, nahm Gesangsunterricht und arbeitete nebenbei als Sprecherin für Rundfunk und Fernsehen. Mit 30 Jahren hat sie alle Blauäugigkeit verloren, nicht aber ihre Wut. „Ich will Veränderung. Ich kann mir vorstellen, mit 60 in der Gartenlaube zu sitzen. Aber vorher muß ich etwas geschafft haben.“

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