Bob Dylan- Krächziger Lapidarton

November 1997 Nach einer musikalischen Dürreperiode läutet Dylan mit der gallig- misanthropischen Großtat "Time Out Of Mind" sein hochinspiriertes Spätwerk ein.

Bob Dylan *****

Time Out Of Mind

Columbia/Sony

Das zage Echo auf der Stimme verheißt nichts Gutes, der Ton ist dunkel, der Gesang ein desolates Raspeln, die Songs eine einzige emotionale Sepsis, die Worte wie zum Abschied, die Musik furchig und farblos. „Time Out Of Mind“ ist ein Album über die Sinnlosigkeit der Liebe, zu der es doch, wie Dylan barmt, keine Alternative gibt. Kapitulation hat Bob Dylan in großen Lettern in die Zellenwände geritzt, müde ist er vom ewigen unerfüllbaren Sehnen. Der elektrische Blues klingt final, der Tenor der Reime fatal. So muss es sein, das Warten im Todestrakt. Dead man walking.

Als Dylan Ende Mai kollabierte, kurz nach seinem 56. Geburtstag, und danach tagelang so schwer an diesem obskuren Herzbeutel-Infekt laborierte, dass er schon damit rechnen musste, vor Elvis zu treten, war „Time“ längst im Kasten. Der tröstliche Gedanke, diese Songs bar jeder Hoffnung könnten Ausfluss einer beinahe letalen Fieberkurve sein, entbehrt also jeder Grundlage. Kein Virus trieb diesen Weltschmerz aus, nur Einsamkeit und Isolation zeitigen Zeilen wie „I got no place left to turn/ I got nothing left to burn“.

Ein Fremder in seiner Zeit gibt da Laut, einer, für den Zeit überhaupt kein Faktor zu sein scheint in seinem eng und wirr gesponnenen Kokon aus verletztem Stolz und verschmähter Liebe. Es ist ohnehin alles zu spät, der seelische Notstand so intolerabel wie inkurabel. Ob das reale Bobleben en detail Pate stand für das hier ausgebreitete Unglück, und ob seine inzwischen erfolgte halbherzige Distanzierung nicht nur ein weiterer Hilferuf ist, bleibt dahingestellt. Unzweifelhaft ist des Künstlers Haltung angesichts des grimmigen Liebesverzichts sowie dessen rigider musikalischer Umsetzung. Dignität angeknackst, Dekor ganz unverkünstelt.

Dylanologen haben wenig Freude an „Time“. Dylans beste und wichtigste Platte seit 22 Jahren gilt manchem Bobspinner als Ausrutscher. Übler noch, man diskutiert seine geistige Präsenz bei der Genese des Werkes, taugt doch nicht einer der elf Songs, die ersten aus des Meisters Feder seit immerhin sieben Jahren, zur zünftigen Exegese. Nichts scheint dylanesk. Kein Hirnfick, kein Schwurbel, kein Literatenlatein, keine Mystik, überhaupt keine Beflissenheit. Etymisch gibt es da tatsächlich wenig zu holen. Die Botschaft ist brutal: „I’m sick of love.“

Kaum Raum für Interpretation, allenfalls für Ursachenforschung. Verzagt seine Bobness an der Perspektivlosigkeit der Never Ending Tour, daran, dass er stets nur am epochalen Frühwerk gemessen wird, oder am ramponierten Ruf? Der Mann lässt ja wahrhaftig keine Peinlichkeit aus. Das zomboide Geröchel beim Bobfest im Madison Square Garden, der Auftritt in der Militärakademie Westpoint, das Zukreuzekriechen bei seiner Scheinheiligkeit, dem Popen. Himmelherrgottsakrament.

Geht ihm der Sinn für Maß und Moral völlig ab? Der Verdacht liegt nahe. „I think one thing today“, faselt er freimütig, „and I think another thing tomorrow.“ Was seine Klage über die Defizite der Neuzeit in Sachen Loyalität und Opferbereitschaft in ein Zwielicht taucht, die Intensität dieser Klage freilich nicht mindert.

Auch Bobfans kritteln an „Time“ herum. Sein Gesang wird beanstandet. Er sei „pathetically weak and weedy now“, mäkelt das Bobzine „Isis“. Dabei singt Dylan für seine Verhältnisse ausgesprochen prononciert. Kein Nuscheln, kein Nölen, keine verschluckten Endsilben. Der krächzige Lapidarton passt zu der Kunstlosigkeit und zuweilen lachhaften Simplizität dieser Texte. „I’m strumming on my gay guitar/ Smokin‘ a cheap cigar.“ Eines Dichterfürsten unwürdig? Unsinn. Auch Robert Johnson hat Schabernack getrieben mit der Schwermut. Woody Guthrie hat sich selbst verhöhnt.

Und auch die Musik hat bei aller Lakonik einen burlesken Dreh, einen ironischen Kick, besonders im farfisageschulten Orgel-Trash von Augie Meyers und in Jim Dickinsons Wurlitzer-Verruchtheit. So organisch, so wenig organisiert und doch kein bisschen dispers. „Dirt Road Blues“ etwa, ein schludriger und schlieriger Rockabilly, oder der gewagte, mehr als 16-minütige instrumentale Stoizismus von „Highlands“, melodisch ausgesprochen variationsarm und mit einem rudimentären Gitarren-Motiv wie von Charlie Patton, aber perfekt für eine Feier des Faktischen, eine Geschichte ohne Pointe. „I said, Tell me what I want’/ She say ‚You probably want hard-boiled eggs’/ I said, that’s right, bring me some’/ She says, We ain’t got any, you picked the wrong time to come.'“

Eingeschneit in Minnesota hat Bob Dylan diese unversöhnlichen Songs verfasst, diese gramgebeugten Strophen, vor zwei Jahren bereits. In elf Tagen wurden sie dann im Studio gebannt, von bis zu drei Bands gleichzeitig, unter nicht selten tumultarischen Umständen. Daniel Lanois, dessen unseliger Hang zu klanglicher Schönfärberei und zum vollintegrierten Mix Dylans „Oh Mercy“ über Gebühr gestriegelt hatte, wuchs entweder über sich selbst hinaus oder wurde kaltgestellt. Streit soll es gegeben haben im Studio, die Arbeitsteilung wohl nur nominell die übliche zwischen Artist und Producer. Die Musiker sollen von Dylan gar ermuntert worden sein, die Instrumente zu tauschen. Lanois haben da sicher schon Weinkrämpfe geschüttelt. Könnte gut sein, dass der Kanadier gar nicht zum Föhnen kam, weil ihm Dylan die Bänder mit den rough mixes wegnahm.

„That’s good enough for now“, hat er vielleicht verfügt. Das ist auch die Zeile, die er singt vor dem letzten Fadeout. Sympathy for the old devil.

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