Boss Hog live beim ROLLING STONE Weekender: Furor und Verlangen

Boss Hog spielen beim Weekender eines ihrer ersten Deutschland-Konzerte seit 16 Jahren. So wild, als wäre keine Zeit vergangen.

„One …two …“, schreit Cristina Martinez, den Mittelfinger gereckt, und dann: „fuck school!“.  Und „One …two … fuck school!“ ruft auch ihr Gatte und Gitarrist, Jon Spencer. Martinez ist 44, Spencer 51 – aber ihre Haltung wirkt nicht aufgesetzt, nie bemüht jugendlich. Im Gegenteil, Songs wie „Ski Bunny“ tragen die Eheleute mit einem Furor vor, der eben, das lernt man spätestens jetzt, nie nur Newcomern vorbehalten ist.

Rolling Stone Weekender 2016 - Tag 1

Beim ROLLING STONE Weekender spielen Boss Hog in der Zeltbühne eines ihrer ersten Deutschland-Konzerte seit 16 Jahren, mit der E.P. „Brood Star“ erschien unlängst auch das erste neue Material seit dem Jahr 2000. Wer das Duo, ergänzt um Schlagzeugerin und Co-Sängerin Hollis Queens, Bassist Jens Jurgensen und Keyboarder Mark Boyce, wieder auf der Bühne sieht, spürt trotz aller Freude auch leichte Wehmut. Nach der Scheidung des Sonic-Youth-Paars Kim Gordon und Thurston Moore sind Cristina Martinez und Jon Spencer, die ihre gemeinsame Karriere in den 1980er-Jahren mit der New Yorker Noise-Band Pussy Galore starteten, das vielleicht letzte verbliebene, coole alte Pärchen des Indie-Rock.

Stierblick und Schlinge

Höhepunkte des einstündigen Konzerts  sind die heimlichen Hits aus dem unterbewerteten „Boss Hog“-Album von 1995: „Winn Coma“, „Sick“ und natürlich „I Idolize You“. Das Original stammt von Ike und Tina Turner und ist eine etwas ölige Ode an zu vergötternde Männer, die Tina einst ihrem prügelnden Ehemann vortragen musste. Ganz ohne Ironie. In der Boss-Hog-Fassung erhält der Song eine charmant-morbide Umdeutung: Spencer nörgelt den Text vor, Mikrofonständer und Stierblick auf Martinez gerichtet, sie tanzt und spannt dabei ihr Mikrokabel wie eine Schlinge. Irgendwann wirft die Sängerin sich gar auf eine Matratze und lässt sich darauf durchs Publikum reichen. Stage Diving mit höherem Komfort.

Die neuen Lieder, darunter die Single „Wichita Grey“, klingen angenehm verwaschen, nach Garage, weniger Tanzflächen-orientiert wie das letzte Werk „Whiteout“. Keine Frage: Das 2017 kommende, vierte Album von Boss Hog, „Brood X“, sollte man im Fokus behalten.

Martin von den Driesch
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