Bullets: Die Diskografie

1969-1975

RAMBLIN‘ GAMBLIN‘ MAN

1969 1/2

Mit Don Honaker (Bass, Gesang) und Pep Perrine (Schlagzeug, Gesang) etabliert „Ramblin‘ Gamblin‘ Man“ das Bob Seger System auf einem Debüt, das einiges versucht, aber nicht alles so gut kann wie handfesten, frenetischen Motor-City-Rock. Das Schielen nach Westcoast-Psychedelia („Gone“) geht nur im Hippie-Pop „The Last Song (Love Needs To Be Loved)“ halbwegs auf, während „Train Man“ Segers spätere Balladenqualitäten schon andeutet. Höhepunkte sind der Titelsong und der Anti-Vietnam-Fuzz-Kracher „2+2 = ?“. Für das eigentlich als Titelstück gedachte „Tales Of Lucy Blue“ und den Blues-Rocker „Down Home“ kreiert Seger Charaktere wie Already Eddie, Chicago Green und Little Willy, die bald auch Springsteen erfunden haben könnte.

NOAH

1969 1/2

„Seger will always be Bob Seger“, steht ausgerechnet auf der Rückseite des einzigen Albums, auf dem eben genau das in Frage steht bzw. kaum noch Seger drin ist. Der kann nur mit „Innervenus Eyes“ das Level des Vorgängers halten, während ein gewisser Tom Neme seinem offenbar desinteressierten und orientierungslosen Chef (?) gleich fünf eigene Songs unterjubeln kann – und ihn dabei einmal auch noch zum Background-Sänger (bei „Jumpin‘ Humpin‘ Hip Hypocrite“) degradiert. Bizarrer ist nur noch die krude Rap-Einlage „Cat“. Das düstere „Death Row“ klingt immerhin wie ein Death-Metal-Prototyp – und im folkigen Titelstück empfiehlt Bob Seger sogar: „Re-synthesize your own ego.“ Wohl ein Hinweis in eigener Sache.

MONGREL

1970

„You can call me Lucifer if you think you should“, variiert Seger den Flirt mit dem Teufel. Die furiose Single „Lucifer“ schafft zwar nicht die Top 80, setzt aber den hart rockenden Ton für sein bisher bestes Album. Und spinnt mit Lucy Blue und Chicago Green zwei Figuren aus „Ramblin‘ Gamblin‘ Man“ munter weiter. Dazu besingt Seger wie unter Strom frühreife Feger („Evil Edna“), hitzige Drogendealer („Song To Rufus“) und wird in „Highway Child“ gesellschaftskritisch: „Think I’ll watch my tv set and let America steal my mind …“ Der Midtempo-Ausreißer „Big River“ mutet wie eine frühe Studie zu „Night Moves“ an, während Seger das einzige Cover „River Deep – Mountain High“ mit einer irren Performance aus Spector’schen Höhen auf den Boden von Detroit zurückholt.

BRAND NEW MORNING

1971 1/2

Zwecks Vertragserfüllung bei Capitol spart sich Seger das System und liefert dieses rein akustische Solo-Album, das er später als gegen seinen Willen veröffentlichte „Demos“ kleinreden wird. Wollte der Rocker nicht mehr an den strauchelnden Songwriter erinnert werden, der nach dem schnellen Aus der ersten Ehe nicht seine glücklichste Zeit hatte? „When I was young and in my prime“, singt Seger in „Railroad Days“ so, als hätte er mit 26 alles hinter sich. Und dann machen sie auch noch die vertraute Bahnstation dicht. „It’s like me, I’ll be obsolete one day …“ Kein Wunder, dass er in „Song For Him“ zum ersten (und letzten) Mal mit Jesus flirtet. Vor der Internet-Ära wird die bis heute nicht wiederveröffentlichte Momentaufnahme für mindestens 150 Dollar gehandelt.

SMOKIN‘ O.P.’S

1972

Mit Keyboarder Skip Knape alias Van Winkle und Drummer David Teegarden (wird später in der Silver Bullet Band wieder auftauchen) startet Seger einen neuen Band-Versuch – und weil bis auf das bittersüße „Someday“ keine eigenen Songs vorliegen, covern sie sich munter durch alles Mögliche, an zwei Studiotagen bei Leon Russell in Oklahoma. Der Gastgeber ist mit „Hummin‘ Bird“ vertreten, darüber hinaus reicht das immer soulig interpretierte Spektrum von Stephen Stills‘ „Love The One You’re With“ über Tim Hardins „If I Were A Carpenter“ bis zu R&B-Klassikern wie „Turn On Your Love Light“. Als ihnen zu guter Letzt gar nichts mehr einfällt, covert Seger mit „Heavy Music“ halt mal den ganz frühen Seger – von wegen „Smokin‘ OP’s“ (= Other People’s Cigarettes/Songs).

BACK IN 72

1973 1/2

Seger startet seine Zusammenarbeit mit der Muscle-Shoals-Studio-Band in Alabama um Keyboarder Barry Beckett. Vorläufig langt’s finanziell nur für drei Stücke, darunter eine funky Lesung von Van Morrisons „I’ve Been Working“. Weitere Sessions in Tulsa und Detroit sehen aber auch J.J. Cale und erstmals Saxofonist Alto Reed (noch als Tom Cartmell) an seiner Seite. Bis heute verweigert sich Seger einer Wiederveröffentlichung. Ziemlich absurd, bedenkt man, dass „Back In 72“ mit dem später von Thin Lizzy popularisierten „Rosalie“ (seine Hommage an die einflussreiche Radio-Frau Rosalie Trombley) und dem noch fast saxlosen Original von „Turn The Page“ mindestens zwei absolute Klassiker hat – und damals nicht mal Joe Cocker „Midnight Rider“ packender interpretierte als Seger hier.

SEVEN

1974

Der harte Kern der Silver Bullet Band – Drew Abbott (Gitarre), Chris Campbell (Bass) und Charlie Allen Martin (Schlagzeug) – debütiert mit Seger im Studio. Doch ausgerechnet der Vorzeige-Rock’n’Roller des siebten Albums, das tollkühne Chuck-Berry-Rip-off „Get Out Of Denver“, geht wie vier weitere Titel aufs Konto altgedienter Nashville-Sessioncracks um Pianist David Briggs und Drummer Ken Buttrey. Überhaupt geht Seger – „20 Years From Now“ mal ausgenommen – hier nie vom Gas, egal ob in Richtung Bar („Seen A Lot Of Floors“) oder Garage („School Teacher“, „Need Ya“). Dazu beweist die Aufsteiger-Satire „U.M.C.“ (= Upper Middle Class) auch humoristisches Format. Eine tolle Rock-Platte in einer fantastisch belanglosen Hülle.

BEAUTIFUL LOSER

1975 1/2

Seger hat jetzt immerhin die Kohle, um die Muscle-Shoals-Musiker voll zu bezahlen – doch Tina Turners „Nutbush City Limits“ überlässt er dann doch lieber der Silver Bullet Band, die das ausgekochte Cover angeblich gleich im ersten Anlauf aufs Band bringt. „Katmandu“, oder besser: „K-k-k-k-k-k-Katmandu“, eine selbstironische Fluchtfantasie, ist der zweite große Rocker auf „Beautiful Loser“. Das bringt aber vor allem wieder Segers introspektive Seite zum Klingen, wobei es auch schon mal arg sentimental wird („Momma“). Beim Titelsong steht der gleichnamige Epilog eines Leonard-Cohen-Romans Pate, und ein Stück wie das fast allein eingespielte „Jody Girl“, eine nüchterne Beziehungsreflexion, haben damals nicht viele Rocker im Programm.

LIVE BULLET

1976

In der Cobo Hall, wo er zehn Jahre vorher dem vergötterten James Brown zugejubelt hatte, schreibt Seger im September 1975 nun selbst Musikgeschichte, vor sich 12.000 enthusiastische Fans, im Rücken eine gnadenlos rockende, aber subtilen Intermezzi zugängliche Silver Bullet Band. „Beautiful Loser“-Repertoire dominiert, u.a. mit der hinreißenden Verknüpfung von „Travelin‘ Man“ zum Titelsong. Drumherum gruppiert frühe Single-Kracher („Heavy Music“,, Lookin‘ Back“), sein Van-Morrison-Cover („I’ve Been Working“), atemlose Rock’n’Roll-Klassiker (,,Bo Diddley“,, ,Let It Rock“) und der ultimative Tour-Abgesang „Turn The Page“. „Here I go, playing the star again“, singt der Mann, als wäre dies die letzte Chance, doch noch überall einer zu werden.

1976-2006

NIGHT MOVES

1976 1/2

Das Timing hätte kaum besser sein können. Für ein Publikum, das nach „Live Bullet“ nicht nur in Michigan ziemlich heiß ist auf neue Seger-Songs, hat er sein bisher stimmigstes Album parat. So wie sich die Silver Bullet Band und die Muscle Shoals-Jungs die Arbeit auf „Night Moves“ (und den folgenden Alben) sauber teilen, so wirft Seger beseelt den Blick zurück (Titelsong, „Mainstreet“), ohne darüber die frohe Botschaft zu vergessen, dass einen der Rock’n’Roll auch jenseits der 30 nicht vergessen wird und immer irgendwo ein „Sunspot Baby“ wartet (und dann durchbrennt). „The Fire Down Below“ ist Sex pur, „Come To Poppa“ knackiger Memphis-Funk, und zwischendurch greift Seger auch mal zur maritimen Metapher („Ship Of Fools“).

STRANGER IN TOWN

1978 1/2

Seger variiert die Erfolgsformel auf hohem Niveau – und covert Frankie Miller diesmal lieber gleich direkt („Ain’t Got No Money“), nachdem eigentlich schon „Fire Down Below“ tantiemenreif für den Schotten war. „Hollywood Nights“ rekapituliert den Flirt (und das Fremdeln) des Midwesterners mit dem Glamour überzeugend. Bei „Old Time Rock’n’Roll“ flippen sogar die Deutschen aus und kaufen das Album in ihre Top 30. Dass Seger beim Re-Write auf einen Autorencredit für den „most played juke box song“ verzichtet, dürfte ihn gewurmt haben. Dazu solide Seger-Mediums wie „Til It Shines“ mit einem Gitarren-Solo von Glenn Frey. „We’ve Got Tonight“ macht aus Sex-in-der-Not eine Schnulze, die bis heute auf Hochzeiten – und von Barry Manilow – gesungen wird.

AGAINST THE WIND

1980

Der lahme Rocker „The Horizontal Bop“, den nicht mal ein Gast-Piano von Dr. John retten kann, ist der symptomatische Aufgalopp für ein komplett von Seger geschriebenes Album, das auch einen Grammy für die beste Verpackung kassiert und bis heute seine einzige US-Nummer-eins geblieben ist. Während er für „Her Strut“ (für das Jane Fonda das Vorbild war) sogar Sexismus-Vorwürfe kassiert, hält ein in sich ruhender Seger seine Nase lieber in ein laues Lüftchen. Das freilich nicht ohne ein gewisses Format. Neben dem Titelsong (mit der klassischen Zeile „I wish I didn’t know now what I didn’t know then“ ) ist auch die Versuchung dieser „bronze beauties“ am „Fire Lake“ eine Reise wert. Die erste Single präsentiert Seger so nah an Country wie nie zuvor.

NINE TONIGHT

1981 1/2

Als Live-Best-Of der Studioalben seit „Night Moves“ mag es seine Berechtigung haben – als Live-Album an sich ist „Nine Tonight“ trotz eines zuvor unveröffentlichten Titelsongs eher enttäuschend. Liegt es vielleicht daran, dass die jetzt 17 Tracks aus nicht weniger als acht Konzerten in Detroit und Boston zusammengesucht wurden? Oder daran, dass die Silver Bullet Band ihr Handwerk inzwischen beinahe einen Tick zu gut versteht? Vielleicht daran, dass Drummer David Teegarden nicht die Dynamik und den Punch seines Vorgängers Charlie Allen Martin entfaltet? Oder am zahmen Mix von Bill Szymczyk (Eagles)? Wahrscheinlich an allem zusammen. Und „Let It Rock“ wird für die CD ge-edited. Das hätte es bei Seger früher auch nicht gegeben.

THE DISTANCE

1982 1/2

Seger nimmt hier quasi Garth Brooks vorweg, wenn nur „Billie Jean“ der Pop-Nummer-eins im Weg steht und „Shame On The Moon“ zugleich die Top 20 der Country-Charts knackt. Der Rodney-Crowell-Song bleibt das einzige und ein untypisches Cover auf einem Album mit kräftig neu gemischten Karten. Top-Produzent Jimmy Iovine, alte Besen wie die Muscle-Shoals-Gang (nur noch ein Song) und selbst Silver-Bullet-Gitarrist Drew Abott (nur noch zwei Songs) auf dem Abstellgleis, jede Menge Studioprominenz (Roy Bittan, Waddy Wachtel, Russ Kunkel etc.). Unter der Rock-Oberfläche und hinter der Motor-City-Nostalgie von „Makin‘ Thunderbirds“ gelingen Seger mit „Even Now“, „Love’s The Last To Know“ und „Little Victories“ einige seiner stärksten Beziehungs-Songs.

LIKE A ROCK

1986

Nicht nur auf dem Cover stecken Seger und seine zusammengeschnurrte Silberkugelband tief in den 80er-Jahren. „Miami“ schafft es prompt in „Miami Vice“! Ein neuer Lieblingsgitarrist (Rick Vito) und ein neuer Lieblingsdrummer (John „J.R“ Robinson) bringen auch nur schale Varianten alter Musik. Die machen auch zig Bläser und die Weather Girls als Background-Brummer nicht besser, wenn Seger gegen Kokain wettert („American Storm“) und Trennungsscherben zusammenkehrt („The Aftermath“). Das wahrhaft stoische „Like A Rock“ darf immerhin der darbenden US-Autoindustrie in einem Chevy-Werbespot beistehen. Bis plötzlich, als CD-Bonus, eine Live-Version von John Fogertys Vietnam-Song „Fortunate Son“ vorüberweht wie ein Geist aus einer anderen Zeit.

THE FIRE INSIDE

1991 1/2

Die Silver Bullet Band ist bei rund 40 Sessionmusikern längst Etikettenschwindel. Zum ersten Mal seit „Seven“ arbeitet Seger auch wieder in Nashville – mit dem längst dort ansässigen ex-Muscle-Shoals-Mann Barry Beckett. Auch Don Was mischt mit. Während „The Real Love“ müde die Top 40 ansteuert, kann Seger mit gleich zwei Songs seines neuen Lieblings Tom Waits („New Coat Of Paint“, „Blind Love“) nicht so viel falsch machen. „She Can’t Do Anything Wrong“ beschert immerhin den Tulsa-Fachkräften Bill Davis/Walt Richmond (The Tractors) Tantiemen. Roy Bittans Piano macht dem Titelsong Beine. „Dreams die hard and we watch them erode“, singt Seger nach einem unerquicklichen Streifzug durch Clubs und Betten, „but we can’t be denied the fire inside.“

IT’S A MYSTERY

1995 1/2

Nachdem er mit 47 doch noch Vater wird, sieht Seger die Welt natürlich durch die Augen seines „Golden Boy“ – und sorgt sich plötzlich um die ganzen Waffen, die nicht nur in „Manhattan“ losgehen könnten. Golfkrieg („Rite Of Passage“) und Medien-Meute (Titelsong, „Revisionism Street“) stehen ebenso auf der Agenda, und der Learjet-Besitzer findet auch nichts dabei, mit „By The River“ in Ökologie zu machen. Seger wird „It’s A Mystery“ sein „Garagen-Rock-Album“ nennen, aber das ist natürlich relativ und vor dem Hintergrund seines alten Hyperperfektionismus zu verstehen. Ja, es sind nicht mehr so viele Session-Profis, er produziert selbst und programmiert auch schon mal eine Drum-Machine. Aber Seger riskiert hier für seine Verhältnisse fast abenteuerlich viel.

FACE THE PROMISE

2006

Sein größter Fan jagt mit ihm durch Vince Gills „Real Mean Bottle“, doch selbst Kid Rock kann Seger nicht zu juveniler Maskerade verführen. Der Mann klingt hier nach 61 Jahren und kann nichts dafür, wenn der Videomann die seinen Kindern zugedachte Botschaft „Wait For Me“ in ein schön verkitschtes „Wohnwagen-Blondine-wartet-auf-Harley-Prinz“-Szenario umdeutet. Unmissverständlich adressiert Seger Konsumwahn („Are You“), Irak-Krieg („No More“), Sucht („Won’t Stop“), Alzheimer („The Long Goodbye“) und Erderwärmung („Between) – und trägt sein Blue-Collar-Herz auf dem rechten Fleck („Wreck This Heart“). Dass Seger in seiner „Simplicity“ in Nashville angekommen ist, offenbart vor allem „The Answer’s In The Question“.

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