Coldplay: Sankt Martin Superstar

Mit unbescheidener Multimedia-Show bringen Coldplay die Fans zum Weinen

London, Earl’s Court. Wie das wohl werden würde! Als Coldplay vor gut einem halben Jahr zu ihrer zweiten großen Welttournee ausrückten, wackelte die neue Musik noch sehr – was zuvor im Studio nur unter Not geboren worden war, machte auf der Bühne neue Mühe. Und nährte so den von Chris Martin selbst geäußerten Verdacht, daß Coldplay wahrhaft große Lieder nicht mehr eingefallen waren. Allerdings hegt das Publikum diesen Verdacht bekannterweise nicht, und so konnte die Band bei ihrer Rückkehr nach London den knapp 10 000 Menschen fassenden Earl’s Court gleich dreimal ausverkaufen.

Den Schritt zum völlig ungenierten Bombast auf „X&Y“ vollziehen Coldplay auch live: Tausend Lichter blinken auf Kommando, eine riesige konkave Leinwand umspannt die Bühne und setzt Musik wie Musiker fulminant in Szene. Die Vorbilder hier sind Pink Floyd und U2, die Erstgenannten wegen der blubbernden Farbbilder und kunstsinnigen Miniszenen, die Letzteren, weil die Bilder die vier Coldplays heilig sprechen sollen. Die Musik verhält sich entsprechend: Nach gut sechs Monaten riesiger Venues und massenhafter Zuschauer sind „Talk“, „Square One“ und „White Shadows“ endgültig Visitenkarte einer Band, die sich zum langen Hebel und großen Auftrag bekennt. Jede Sekunde ist multimedial im Tuning, jedes Lied mit ultrafetten Sequenzen hinterlegt, jedes Riff krisp und mächtig. Bescheiden ist hier nun wirklich gar nichts mehr, selbst Martin nicht, der das allzu Verbindliche der ersten Coldplay-Tage mittlerweile abgelegt hat und sich – offenbar in Ermangelung einer Alternative die meisten Worte spart. All das hat man ja auch erwartet.

Auch, daß „Yellow“, „Clocks“ und „In My Place“ das Herz sehr erwärmen und gerade vor solch gigantischer Kulisse ihr wahres Wesen erst zu entfalten scheinen. Was man aber nicht so gewußt hat, ist, mit welcher Euphorie selbst neue Lieder wie das doch eigentlich nur recht mäßige „Speed Of Sound“ und vor allem „Fix You“ hier gefeiert werden. 10 000 Menschen singen und nehmen Martin das Lied weg, der Mann neben mir weint. Etwas Feierliches, sehr Kollektives liegt in der Luft – und England ist in diesen Momenten ganz unter sich. „Lights will guide you home/ And ignite your bones“, singt Martin, „And I will try to fix you“. Aber kann Chris Martin England wirklich heil machen?

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