Das alte Arche Noah-Prinzip

Nach "Independence Day" und "Godzilla" ist auch die neue Megaproduktion von Roland Emmerich, das Umweltdrama "The Day After Tomorrow" vor allem großes Popcornkino

Seit sieben Jahren hält Roland Emmerich sich nun schon im Club der zehn erfolgreichsten Regisseure aller Zeiten. Rund 811 Millionen Dollar spielte er 1996 mit „Independence Day“ ein. Das reicht zwar inzwischen gerade noch für den letzten Platz vor „Spider-Man“, seit „Der Herr der Ringe“ und „Harry Potter“ die Sitzordnung durcheinander gewirbelt haben und im letzten Jahr „Findet Nemo“ vorbeiziehen konnte. Länger ist in der Liste allerdings nur „Jurassic Park“ vertreten…

Ebenso hartnäckig und reflexartig werden seine Filme aber jedes Mal auch als mieseste Machwerke der Kinogeschichte ausgerufen. Erfolgreich, aber verpönt, wenn nicht sogar ungeliebt – so kann man die Karriere des Deutschen zusammenfassen. Andere als bei Cameron, Lucas, Jackson, Spielberg oder Raimi konnte er noch nie auch nur einmal die Rezensenten oder, was noch wichtiger ist, eine Anhängerschaft gewinnen. Selbst die gemeinen Kinogänger verdauen Emmerichs Filme so schnell wie das Popcorn. Spricht man mit jenen über „Independence Day“ und „Godzilla“ oder „Universal Soldier“ und „Stargate“, antworten sie meist: Mir hat’s ganz gut gefallen.

Kaum weniger unverbindlich wirkt Emmerich. Zum Interview in einem Berliner Luxushotel erscheint er mit Baseballkappe und Sonnenbrille. Die Gläser nimmt er nach der zweiten Frage ab, die Mütze nicht. Über einem grünen T-Shirt trägt er ein schwarzes Jackett. Trotz seiner 48 Jahre und grauen Haare sieht er sehr jungenhaft aus. Einige Wochen zuvor, als er in Frankfurt unter großem Aufwand und Aufmarsch von Gästen aus der Kinobranche die ersten Ausschnitte seines neuen Films „The Day After Tomorrow“ präsentierte, schlenkerte er auf der Bühne mit seinen Beinen wie ein Bub, der Mamis Porzellan zerbrochen hat. Den generösen Conferencier mit erhobenem Kopf und ausschweifenden Kommentaren dagegen gab sein Produzent Mark Gordon. Emmerich bleibt kurz angebunden, ökonomisch kann man auch sagen, nuschelt sich mit schwäbischem Akzent und amerikanischen Vokabeln dazwischen durch das Programm. Im Interview ist das nicht anders. Am auffälligsten sind seine gelben Turnschuhe, seit „Kill Bill Vol. 1“ der letzte Schrei. Den habe er aber nicht gesehen, sagt Emmerich knapp: „Ich mag keine Karatefilme.“

„The Day After Tomorrow“ ist ein Katastrophenfilm. Einer wie „Twister“, „Dante’s Peak“, „Der Sturm“, die in den letzten Jahren entstanden, weil die immer naturalistischer anmutenden visuellen Effekte es geradezu verlangten. Nur dass „The Day After Tomorrow“ diese einzelnen Szenarien zu einem globalen GAU gebündelt hat und die computergenerierten Bilder natürlich einen noch erstaunlicheren Realismus vorgaukeln. Sie sollen vorstellbar machen, was die Menschheit verdrängt: Einen rapiden Klimaumsturz, der die Polkappen schmelzen und das Ökosystem umkippen lässt, wodurch gewaltige Tornados und Hurrikans entstehen, die Los Angeles verwüsten und ganz New York fluten. Schließlich, nach einer Atempause, wird die halbe Erde von einer Blitzeiszeit mit einem Frost überzogen, bei dem Menschen im Freien in Sekunden gefrieren.

Emmerich interessierte sich in der Jugend für Malerei und Bildhauerei. Er wollte ein Kunststudium absolvieren und schrieb sich dann an der Filmhochschule zuerst für Produktionsdesign ein. Diese Neigung prägte ihn später auch als Regisseur, wie er selbst bekennt Schon sein Abschlußfilm „Das Arche Noah Prinzip“, die 1984 mit einer Million Mark teuerste Studentenarbeit, hat mit verhältnismäßig versierten Sets und Effekten verblüfft. So empfahl er sich 1990 mit „Moon 44“ auch für Hollywood. Für die visuellen Tricks erhielt „Independence Day“ dann den hier einzigen möglichen Oscar. Und das Pac-Man ähnliche Duell der Helikopter mit Godzilla in den Straßen von New York durchaus optisch faszinierend war. In „The Day After Tomorrow“ sieht man das schockgefrostete New York in der Ferne, als sei es einem impressionistischem Gemälde entlehnt.

Doch das sind Fußnoten in einem Bombast aus Bits und Bytes, der feinere, aber nicht unbedingt mehr Schauwerte produziert als der technische Stand von Filmen noch vor zehn Jahren erlaubte. Emmerich war nie originell. Er buchstabiert Filmformeln nach, wie die Schüler der klassischen Meister deren Farbenmischungen übernahmen. Und das gilt noch viel mehr für den Aufbau seiner Storys. Dennis Quaid spielt den Klimaforscher Adrian Hall, der frühzeitig vor der Katastrophe warnt, aber nicht erhört wird. Sein Chef ist ein Bürokrat, der später doch für ihn eintritt. Er hat Streit mit seinem Sohn Sam (Jake Gyllenhaal), den er schließlich aus dem tiefgefrorenen New York retten muss. Und für dessen Leben sterben bei der unmöglichen Aktion selbstlos Helfer. Jede Wendung, jede Randfigur bis hin zum schwarzen Penner, jede Kameraperspektive folgt in „The Day After Tomorrow“ der Übereinkunft über makelloses, überraschungsarmes Unterhaltungskino. Er ist nicht wirklich schlecht. Emmerich macht nichts wirklich falsch. Und womöglich ist das der Grund dafür, warum Filmfans sich so heftig an ihm reiben.

Bei „Godzilla“ ist es ihm zum Verhängnis geworden. Nach dem kommerziellen Triumph von „Independence Day“ wurde er gefeiert wie ein Wunderknabe. Sogar in Deutschland forderten die Schwätzer von Förderanstalten und Verbänden, die Emmerich jahrelang ignoriert hatten, plötzlich Regisseure wie ihn. Befeuert vom anmaßenden Slogan „Size does matter“, glaubten alle, mit „Godzilla“ müsse er nun „Titanic“ von der Spitze ablösen. Der Film hat sein Kapital wieder reingeholt, der Ruf indes war ruiniert. „Die hohen Erwartungen haben den Film zerstört“, sagt Emmerich. Und obwohl ein Vertreter der Fox in Frankfurt tönte, man wolle für „The Day After Tomorrow“ die „große Kampagne aller Zeiten starten“, befürchtet Emmerich diesmal einen ähnlich desaströsen Hype nicht: „Dafür ist die Fox viel zu knauserig.“

Statt dessen wird der Film seit Wochen schon als Weckruf auf wissenschaftlicher Basis vermarktet. Zwar wird beflissen bei Interviews versucht, die Fehler im dramaturgisch legitim verdichteten Spektakel nachzuweisen, im US-Wahlkampf aber ist die Botschaft schon angelangt. Denn dass der Präsident im Film ein Zauderer ist, der von einem Dick Cheney ähnlichen Ignoranten beeinflusst wird, will Roland Emmerich gerne als Kritik an Bush verstanden wissen.

Print POP von Frank Schäfer „Korper in Extremsituationen“ (Kiepenheuer & Witsch, 8,90£ura)vonSteve Almond vereint zwölf straighte, uramerikanische Short Stories, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie den Protagonisten bei ihren zumeist unglücklichen erotischen Kollaborationen noch ins Bett nachsteigen und sich dort eben nicht bloß mit lakonischer Galanterieware bescheiden. In der formal avanciertesten Geschichte „Versuch einer Annäherung“ spielt Almond einige Situationen durch, in die zwei paarungsbereite Menschen geraten können.

Wie diese Durchschnittsmenschen sich taxieren, im Stillen diskreditieren und trotzdem weitermachen aus bloßem Opportunismus, das ist nicht nur zutiefst ernüchternd, das ist nebenbei auch sehr gut beobachtet und schlicht die Wahrheit. Cool ist allerdings was anderes. Aber um solche Kategorien scheint sich Almond nicht zu sorgen. In „Wie man eine Republikanerin liebt“ lässt er den Ich-Erzähler, einen liberalen Politfunktionär, eine Affäre mit einer flammenden Wahlkämpferin für Bush junior beginnen. Während sie die ideologischen Differenzen auszuhalten bereit ist, kann der verbitterte Demokrat ihr die Wahlmanipulationen in Florida nicht verzeihen und fängt beim Cunnilingus an zu diskutieren… 3,5 „Gott segne Sie, Dr. Kevorkian“ (Hanser, 10Euro) von Kurt Vonnegut beerbt das alte Genre der Totengespräche. Vonnegut lässt sich an der „Ausgabestelle für tödliche Injektionen in Huntsville, Texas“, die finale Spritze verpassen, unterhält sich am Eingang des Paradieses (denn, man denke, die „Hölle“ gibt es gar nicht!) mit ausgesuchten Persönlichkeiten der Weltgeschichte, Volkshelden, Denkern, Schwerverbrechern etc., und lässt sich dann von Doc Kevorkian zurückholen, um gleich nach dem Abschnallen von der Liege über seine Nahtod-Erfahrungen dem lauschenden Rundfunkpublikum zu berichten. Diese fingierten Radioreportagen sind witzige, oft sarkastische Kommentare zur allgemeinen, naturgemäß katastrophalen Weltenlage, die Vonnegut allerdings nicht den Spaß verderben kann.

Das ganze Büchlein soll man wohl als satirische Breitseite gegen die Todesstrafe lesen, im besonderen gegen die kruden texanischen Gepflogenheiten. So muss Vonnegut einmal seinen Ausflug vorzeitig abbrechen, weil die Liege „in dieser voll ausgebuchten Exekutionskammer in Huntsville, Texas“ für wichtigere Fälle gebraucht wird. Und Dr. Kevorkian, der seit Jahr und Tag legal den Todeskandidaten die Nadel setzt, fällt irgendwann aus, weil er in einem anderen Bundesstaat wegen Mordes gesucht wird. Was für eine Pointe! 4,0 „Fredy Neptline“ (Ammann Verlag, 29,90Euro) von Les Murray ist ein Abenteuerroman in freien Versen. Als Fredy, dieser in den australischen Outbacks aufgewachsene Abkömmling von Ahasver und Simplicissimus und nicht zuletzt auch Forrest Gump, mitansehen muss, wie Türken eine Gruppe armenischer Frauen mit Kerosin übergießen und sich an ihrem grauenvollen Todeskampf weiden, verliert dieser sensible Moralist die Fassung. Er zieht sich in sich selbst zurück, wird taub am ganzen Körper, spürt nichts mehr, keinen Schmerz und keine Lust, zugleich wachsen ihm Bärenkräfte, die ihm auf seiner Irrfahrt durch die Weltgeschichte nun immer wieder gute Dienste leisten. Der Dichter lässt seinen plebejischen Odysseus das zupackende, vom Leben abgeschliffene, oft obszöne Idiom der australischen Kleinfarmer und Landarbeiter sprechen. Murray befreit sein Epos so von hochkultureller Vornehmheit und macht es aufnahmefähiger für all den Schmutz und das Leid des Lebens. Und er demonstriert wieder und wieder, dass auch auf dieser niederen Stilebene Poesie möglich ist, ja, dass sie diesen raureifen, menschenfreundlichen und gelegentlich schwarzgalligen Ton erst ermöglicht. Ein großes Gedicht! 5,0 „Rock Dreams“ (Taschen Verlag, 19,90Euro) von Guy Peellaert & Nik Cohn. „Rock Dreams sind Oldtimer-Träume“, schreibt Michael Herr im Vorwort von 1982, „und das schienen sie auch vor zehn Jahren zu sein“, als diese kommentierte Bildgeschichte des Rock erstmals erschien. Das große Sterben hatte begonnen, und wer überlebte, war fast schlimmer dran, nämlich unansehnlich geworden. Mit dem Rock’n’Roll ging es eindeutig zu Ende Anfang der 70er Jahre, so sahen es nicht nur der belgische Comiczeichner und der namhafte Rockschreiber, die sich zusammenfanden, um dem goldenen Zeitalter eine grelle, überdrehte, bonbonbunte Ikonografie hinterherzuschicken.

Alle sind sie dabei, in ihren vom Mythos verbürgten Kontexten: Hank Williams, tot auf der Rückbank seines Wagens, ein angebrochenes Röhrchen mit Pillen auf dem Teppich; Brian Wilson in seinem zugemüllten kalifornischen Refugium, übergewichtig, gedankenversunken am Klavier; Dylan als Hobo, unnahbare Diva im Pelzmantel, jüdischer Patriarch auf dem Lande; Jim Morrison als sterbender Heiland in der Badewanne. Und so fort. Peellaerts Bilder feiern die Ambivalenz des Rock, sie glorifizieren und karikieren, zeigen gleichzeitig Heils- und Krankheitsgeschichte. Und verklärt er doch mal einen Protagonisten zum Engel, schmiert ihm Nik Cohn gleich Dreck an die Flügel. 4,0

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