Das Biest im Künstler

Widersprüchlich, großherzig, einzigartig: Zum 70. Geburtstag des Country-Rhapsoden Johnny Cash

Auch wer Franz Doblers pünktlich zum Geburtstag erschienene, respektvoll-empathische und literarisch kongeniale Cash-Biografie („The Beast In Me“, siehe „Drucksachen“) gelesen hat, der hat den Mann in schwarz dann immer noch nicht wirklich verstanden. Das liegt nicht an Doblers Buch, das sollte man lesen, selbst wenn man mit Country und Western sonst nicht gar so viel am Stetson hat – und nebenbei das Tribute-Werk „A Boy Named Sue. Johnny Cash Revisiited“ (Trikont/Indigo) hören, das Dobler zusammengestellt hat.

Nein, das liegt vielmehr daran, dass sich Johnny Cashs Widersprüche nicht aufklären lassen. Die muss man einfach aushalten: Schon Ende der Fünfziger gehört er zu den Großverdienern im Country-Business und arbeitet eng zusammen mit dem Nashville-Establishment, distanziert sich aber auch immer wieder mit großer Geste davon, weil er mit dem gut geölten Mainstream-Sound und den „hatted penguins“, die dergleichen auf die Bühne bringen, eigentlich nichts zu tun haben will. Er spricht sich mal für, mal gegen den Vietnam-Krieg aus, spielt mit den Folkies und sogar Hippies zusammen und ebenso für Richard Nixon. Er gibt sich ganz als stolzer Patriot, schreibt sogar eine Eloge auf die US-Flagge und die von ihr symbolisierten Hillbilly-Tugenden, erinnert aber auch in Konzeptalben wie „Bitter Tears“ an das den Indianern zugefügte Leid, und das zu einer Zeit, als noch niemand etwas davon wissen will (seine konservative Anhängerschaft will dies bis heute nicht)… und so fort.

Einige Inkohärenzen resultieren sicher aus der Rolle des Rhapsoden, die Cash so oft in seinen Songs einnimmt. Er erzählt ganz einfach eine Geschichte und schlüpft dabei nicht selten in archetypische Figuren, deren Meinungen und Ansichten ja nicht seine eigenen sein müssen. Andererseits wird er schon gewusst haben, warum er die Presse einst augenzwinkernd anwies, keine Statements von ihm zu zitieren, die länger als fünf Minuten zurückliegen.

Aber es gibt eben auch Konstanten in seinem Leben und Werk, eine davon ist sein mitfühlendes Interesse für die Randständigen, minder Privilegierten, die Geschundenen, aber auch für die Schinder selbst, für den Kerl, der seine Frau im Kokain-Delirium zu Tode tritt, und für den, der eben Mann in Reno erschießt, nur aus Neugier. Eine große Barmherzigkeit steckt in diesen doch so knochenharten Songs, die wohl seiner Religiosität geschuldet ist, die aber nicht zuletzt auf Erfahrungen beruht.

Er hätte selbst als armer Baumwollpflücker in Dyess, Mississippi, enden können, wenn ihm nicht sein Talent und die glückliche Fügung zum Ausbruch verholfen hätten. Er wäre in den Jahren on the road beinahe an seiner Pillensucht zugrunde gegangen, wenn ihn seine zweite Frau June Carter nicht gerettet hätte, und das von seiner Musik nur vorübergehend in Schach gehaltene „Beast“ in ihm, das er dann später auf seinem 1994er Comeback-Album „American Recordings“ besingt und das sich immer mal wieder in Form von Gewaltexzessen gezeigt hatte, hätte ihn ebensogut zerstören können wie jenen Protagonisten aus dem legendären „Folsom Prison Blues“: „I shot a man in Reno just to watch him die.“

Als er diese Zeile Ende der Sechziger bei der Aufnahme zum legendären Gefängnisalbum in Folsom in die Runde grummelte, folgte ein zustimmendes Geheul der schweren Jungs, das die Wachen ihre Pumpguns entsichern und die Live-Platte weit nach oben in die Billboard-Charts schnellen ließ. Cash gab ihnen das Gefühl, einer von ihnen zu sein, sich um ihre Belange zu sorgen, und es war ihm ganz ernst damit Wie ernst, zeigt sein gesungenes Glaubensbekenntnis „The Man In Black“, in dem er sich in fast schon blasphemischer Weise zum zweiten Messias stilisiert: „I wear black for the poor and beaten down / Living in the hopeless, hungry side of town.“ Er kann gar nicht anders, jedenfalls solange die Welt so ist, wie sie ist, „I’ll try to carry off a little darkness on my back/ Till things look brighter/ I’ll be the man in black.“

Der Popkritiker Roel Bentz van den Berg ist ohnehin der Ansicht, Cash habe mittlerweile einen Grad der Elevation erreicht, aufgrund dessen er in Gott nur mehr einen respektierten Kollegen erkennen könne. Auch klar, wer von den beiden die tiefere Stimme hat.

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