Das Garagen-Revival erreicht den Dancefloor: Disco-Punk von The Rapture, Radio 4 und DJ Hell löst cool und traditionsbewusst einen neuen Club-Boom aus

Allein die Vorstellung, dass von einer tollen musikalischen Idee nichts übriggeblieben ist außer den Greatest Hits von Duran Duran, lässt einen doch daran zweifeln, dass die Idee überhaupt so toll war. Mehr als Echos aus entfernten Zeiten sind das nicht: der Disco-Beat, gespielt vom Schlagzeug oder einer aus heutiger Sicht antiquarischen Elektro-Box. Der Bass versucht, den schwarzen Tanz-Funk der siebziger Jahre zu imitieren, die Gitarre spielt nur einen Ton, den aber richtig und immer wieder. Und einer brüllt dazu. Viele Bands konnten das, verschollene Bands, die an Punkrock alles bescheuert fanden, bloß nicht die attitiide.

Zum Glück gibt es einen, der alles miterlebt hat. 1974 war er bei den ersten Proben von Suicide in New ork, 1988 erwachte er nackt am Strand von Ibiza nach einem Acid-House-Rave, 1997 legte er für das Rock-Publikum im CBGB’s Daft Punk auf, ab erster. Doch jetzt schmilzt seine Hipster-Relevanz plötzlich weg: „I’m losing my edge to the kids from France and from London, to better looking people with better ideas and more talent“, klagt er im Jahr 2003, ein fiktiver Prototyp und Hauptdarsteller im Song, „Losing My Edge“ von LCD Soundsystem, während sich hinter ihm die Ein-Ton-Basslinie verzerrt, das Schlagzeug einsetzt und über die Rhythmusmaschine spielt, die Geräusche immer irrer werden.

Genau, Punk ist wieder da. Die Nachricht quillt den Rock’n’Roll-Fans zu den Ohren raus, aber die besten Platten zum Thema kommen wie oft erst jetzt, wo es auch die Nicht-Rock’n’Roll-Fans mitbekommen haben. Das unglaublich komische „Losing My Edge“, das der New Yorker James Murphy produziert und im The Fall-Stil gesungen hat, ist schon ein genreübergreifender Klassiker. Der Kölner DJ Hans Nieswandt baut es in seine House-Sets ein, in England tanzen die Indie-RockLeute in neuen Qubs zu Disco-Punk, Minderjährige in eah eah eahsund Strokes-Mode, die sich amüsieren wie ihre Großcousins vor 15 Jahren beim letzten, vom Techno-Boom getriebenen Dance-Rock-Crossover. In München veröffentlicht der hedonistische DJ-Weltstar Hell auf seinem Dance-Label Punkrock-Platten, und aus Berlin hört man plötzlich, dass der so genannte Electroclash nicht nur Modeschau-Musik mit extrem kleinem Hirn sein muss. Für viele unangenehm, aber wahr: Peaches singt mit Iggy Pop.

„Frühe Disco-Musik, also der richtige Underground, ist wie Punkrock. Schwuler, schwarzer Punkrock“, sagt James Murphy, wenn man ihn im West Village von Manhattan an seinem Schreibtisch anruft. Eine Treppe tiefer sind die drei Studioräume, in denen sein aus London eingewanderter Arbeitspartner Tim Goldsworthy und er zum Produzenten-Team DFA werden, Death From Above. Punkbands kamen hierher, tranken und hörten Platten mit Murphy und Goldsworthy und traten nach Monaten mit den explosivsten Funk-Punk-Platten ans Tageslicht, die seit dem dilettantisch-energischen Anti-Rock von Gang Of Four, den Slits, der Pop Group oder den New Yorker No-Wave-Bands wie Liquid Liquid und DNA zu hören war (und selbst das war zuletzt nur schlauen Sammlern vergönnt).

Für die Jüngelchen von Radio 4 produzierten DFA unter anderem den Schlachtruf-Song „Dance To The Underground“, für die Band The Rapture „House Of Jealous Lovers“ mit House-Schlagzeug, kratzender Gitarre und überschnappendem Gesang. „Die rauen, charismatischen Rockbands treffen die smarten Produzenten, so ist es natürlich nicht“, sagt Murphy, der Garbage und die Indie-Remixe der „Madchester“-Ära für schlechte Beispiele hält. „Wir brauchen für alles sehr lang. Wir arbeiten, bis wir das Gefühl haben, der Track kann es mit einer Technooder House-Platte aufnehmen.“ Das Konzept besagt, dass die besten Fehler, die die Punk-Musiker beim ersten Rummachen mit elektronischen Gerätschaften machen, übernommen werden. In jedem Raum hängt eine Discokugel an der Decke – Bands haben durch die Scheibe beobachtet, dass Murphy und Goldsworthy sie bei Sessions manchmal anschalten und wild im Aufnahmeraum umherhüpfen.

Da sind noch viei mehr Bands: die Liars aus New York, die nicht mit DFA arbeiten, Erase Errata aus San Francisco, aus dem Indie-Paradies Omaha The FainL Und weil Disco-Punk eigentlich DJ-Musik ist, bringen Compilations den besten Überblick. Empfehlenswert: „Channel 2“ (Output/Zomba), ein Sampler des englischen Output-Labels mit den glanzvollen DFA-Tracks „Losing My Edge“ und The Raptures „Olio“. „Yes New York“ (WEA) bringt nur Künstler der Metropole, auch (die Übergänge sind fließend) reine Rockbands wie die Strokes und Interpol, und versteht sich als kecke Antwort auf den ,jslo New York“-Sampkr, auf dem Brian Eno 1978 Stücke der ersten Generation präsentierte. Zwei Ahnengalerien mit alten Originalen hat Soul Jazz/Indigo, „In The Beginning There Was Rhythm“(die Briten) und „New York Noise“ (die US-Avantgarde). Bei Electroclash sollte man nichts anderes berühren als DJ Hells durchnumerierte International Deejay Gigolo Records-Compilations. Das DFA-produzierte Rapture-Album wird wegen des anzunehmenden Erfolges beim Major erscheinen. Wie wenn man die Kinder an die Uni schickt, sagt Murphy.

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