Das Gezeichnete Ich: Ausgeglichene Chemie

Unter dem Moniker Das Gezeichnete Ich will ein Berliner Künstler mit einem Faible für Quantenphysik die Potenziale der Menschen wecken.

Vor zweieinhalb Jahren wachte ein junger Künstler (sein Name tut nichts zur Sache) in einem Berliner Keller auf und hatte ein Gedicht von Gottfried Benn im Kopf. „Es gibt nur zwei Dinge/ Die Leere und das gezeichnete Ich“, heißt es in „Nur zwei Dinge“, mit dem Benn am Ende seines Lebens Fazit zog. Leer war der junge Künstler an jenem Morgen nicht – sondern noch voll von der vorherigen Nacht -, also musste er Das Gezeichnete Ich sein.

Die Erkenntnis kam wie eine Erleuchtung. Gleich am nächsten Tag kündigte der junge Künstler seinen Job – Autowäscher, Kabelträger, Werbetexter, etwas in der Art. Endlich sinnvoll leben! „Ich wollte was für die Menschen machen, auch scheitern, wenn es sein muss, aber etwas machen“, sagt er. „Wir haben eine unendliche Fantasie, aber wir nutzen sie nicht. Es gibt so viele Menschen, die eine Ahnung haben, wer sie sein könnten, aber sie haben Angst vor ihren eigenen Potenzialen. Dann kommen die Folgebeschwerden, wie ich immer sage.“

Das große Sehnen, es steckt auch im Gezeichneten Ich. Die strengen Pressebilder, der Nimbus des beladenen Philosophen, das romantische Seufzen: Das ist am deutschen Ideal des intellektuellen Künstlers geschult, der vor dem Unsagbaren kauert. Wir sind ins Sein geworfen, jetzt haben wir den Salat. Hinzu kommt beim Gezeichneten Ich eine Liebe zur reinen Physik. Ohne deren Kenntnis könne man doch ohnehin nicht mehr philosophieren, sagt der junge Künstler und versucht kurz eine Erklärung der Quantentheorie. Vergebens! Sein Gegenüber kommt nicht mit.

Die Musik ist allerdings für Millionen. Auf dem Debütalbum von Das Gezeichnete Ich schlägt das schwere Herz des reflektierten Melancholikers im Rahmen von reinem Pop, eine deutsche Version von britischen Indie-Pop-Acts wie Keane. Grönemeyer­. Produzent Alex Silva hat eine moderne Produktion dazugetan. „Meine Demos klangen ganz anders“, spricht mal kurz der Musiker. „Aber ich habe gelernt loszulassen. Es befreit meinen Geist, nicht an allem festzuhalten.“

Dann geht das Gezeichnete Ich auf die Bühne, um im Vorprogramm von Ich & Ich vor zehntausend anderen Gezeichneten Ichs zu singen, die von Quantenphysik keine Ahnung haben. Aber davon, wie es sich anfühlt, am Leben zu sein.

Jörn Schlüter

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