Das literarische Talent David Foster Wallace, mit seinen „Fiesen Männern“ populär geworden, zieht neue Seiten auf

Schon nach ein paar Seiten kann man wissen, was Wallace an sprachlicher Artistik zu leisten imstande ist, schon nach der dritten Shorty Story „Für immer ganz oben“, die auf immerhin 14 Seiten einen heranwachsenden Jungen begleitet, wie er an seinem 13. Geburtstag im Schwimmbad den langen Weg zum Sprungturm auf sich nimmt, hinaufsteigt und schließlich springt. Es passiert eigentlich nichts auf diesen 14 Seiten, aber für den Jungen ist das, was hier passiert, alles was zählt, ein Quasi-Initiationsritus, eine Mannbarkeitsdemonstration. Und Wallace schreibt das in der zweiten Person, spricht den Jungen, nicht mehr Kind, aber auch noch nicht Mann, direkt an und schaut ihm dann über die Schulter, macht jeden Schwenk seines Kopfes mit Skrupulöses, zeitdehnendes Erzählen nach Art des“Nouveau Roman“ wird hier nach allen Regeln der Kunst durchexerziert, aber hier hat das mal nichts Etüdenhaftes, Manieriertes, ist es nur die adäquate Präsentationsform für diese wichtigsten fünf Minuten im Leben des Jungen – und noch dazu brillant in der aufgebotenen Bildlichkeit.

Wallace ist ein kreativer Wortpuzzler und noch dazu ein stilistisches Chamäleon und begnadeter Stimmenimitator, der zwischen den unterschiedlichsten Jargons und Sprachregistern hin und her zu springen vermag, ohne dabei an Überzeugungskraft zu verlieren. Er mimt den notgeilen Teppich-Vertreter genauso überzeugend wie den höflichen, akkuraten, intelligenten Bondage-Perversling, der seine etwas verquere Passion psychologisch genau zu analysieren weiß und dennoch nicht von ihr lassen kann; den alerten Krüppel, der mit seinem übel missgebildeten Arm, der „Geheimwaffe“, über die Mitleidstour „Mösen ohne Ende“ bekommt. Und so weiter… Möglicherweise hört sich das zeitgenössische Amerika tatsächlich so an wie dieser dissonante Chor. Wer weiß?!

Aber in der Vielstimmigkeit und Virtuosität liegt ein bisschen die Gefahr seines Schreibens. Nicht in allen Geschichten des in letzter Zeit wahrlich genug gelobten Erzählungsbandes „Kurze Interviews mit fiesen Männern“ (Kiepenheuer & Witsch) hat Wallace sein Können so zwingend in den Dienst der narrativen Sache gestellt. An einigen Stellen läuft die Kunst leer, verlässt er sich zu sehr auf die Worte, schreibt weiter, ohne im Grunde noch was zu erzählen zu haben. Etwa wenn er einen Lexikonartikel des Jahres 2096 fingiert, der das Wort „date“ in allen Bedeutungsnuancen und mit allen Albernheiten naturwissenschaftlicher und linguistischer Fachsprachen der Zukunft zu beschreiben versucht. Man will gern glauben, dass es Spaß gemacht hat, diesen Irrsinn zusammenzufabulieren – lesen kann man es nicht mehr. Und wenn er in beinahe joycescher Manier das Leben und Streben eines kalifornischen Programmdirektors mythologisiert, diesen kleinen Spaß aufwändig und arabesk grundiert mit Anspielungen auf Ovids „Metamorphosen“, dann legt er gewissermaßen einen Waldbrand, um zwei Spiegeleier zu braten.

Aber man ist dann doch immer wieder beeindruckt von der Formenvielfalt und Sprachmacht dieses Autors, der in seinen besten Momenten den Beweis erbringt, dass avantgardistisches Schreiben nicht gleichbedeutend sein muss mit algebraischer Ödnis oder ätherischem Bimbam, sondern hart dran sein kann an der Realität und mitten drin in der Welt.

Dass Wallace auch eher konventionelle Schreibweisen zu handhaben versteht, zeigt die hierzulande gleichzeitig erschienene Reportage „Schrecklich amüsant aber in Zukunft ohne mich“ (Marebuchverlag) über eine Karibik-Kreuzfahrt, die er im Auftrag für „Harper’s Magazine“ schrieb und dann für die Buchfassung erweiterte. Dieser satirische, zwischen Ekel und Affirmation schwankende Rapport von seinem „Seven-Night-Caribbean-Cruise“ soll sich wohl als Parabel lesen lassen. Im Mikrokosmos des Luxusliners, der die Teilnehmer sanft entmündigt, sediert und ihrer Individualität beraubt, spiegeln sich wohl Wesen und Funktionsweisen der westlichen Zivilisation, jener von den Zeitgeistsoziologen immer wieder diagnostizierten Spaß- bzw. Erlebnis-Gesellschaft. Aber auch wer einfach nur etwas vom dekadenten Aberwitz einer solchen Reise erfahren will, sich an Touristen- und Kleinbürgersatire delektieren kann, findet in Wallace einen genau beobachtenden und doch durchgeknallten Berichterstatter.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates