Reelin‘ In The Years

Volume 12

Müntefering kündigt Neuwahlen an, man spricht von „Selbstmord aus Angst vor dem Tod“. Wir fahren in den Bayerischen Wald und treffen in einem kleinen Hotel jene Wirtin an, die sich vor 23 Jahren um meine Eltern, meinen Bruder und mich gekümmert hatte. Sie hat sich nicht verändert; wahrscheinlich trägt sie noch immer dieselbe Schürze. Der Schankraum ist allerdings neu – und wenn auch die Einheimischen schwatzen und Schafskopfen wie ehedem, so merke ich doch, dass mir der Sinn für folkloristische Gemütlichkeit komplett fehlt. Früher gefiel mir vermutlich der Fernseher in der Ecke. Ratzinger wird Papst. Besaufe mich mit dem Grafiker Ulli Pfleger, da läuten plötzlich alle Glocken in der irren Stadt. Ullis Jeep parkt auf der Straße, die Ziehharmonika-Busse schnaufen an ihm vorbei.

Ich unternehme eine Kreuzfahrt auf einem Dampfer vor der norwegischen Küste. Wenn ein Fjord oder ein Wasserfall in Sicht kommt, spielt das Bord-Sinfonieorchester immer „Peer Gynt“. Gebe den Plan auf, David Foster Wallaces großartiger Reportage von einer Karibik-Cruise nachzueifern. Bizarr sind nur das ständige Fotografieren einer Kamera-Crew, der Bordkanal im Fernsehen und der Wettlauf zu Kaffee und Kuchen in den Speisesaal. Erwarte eigentlich Leute wie Cherno Jobatey, sehe aber nur einen Schulkameraden aus der 7. Klasse. Er weiß, dass ich weiß, wer er ist. Ganz der alte Fußballer, holt er seiner Freundin im chinesischen Bord-Imbiss einen Nachschlag und ignoriert mich so unsouverän wie ich ihn. Wäre aber ein Schaumstoffball in der Nähe und ein Handball-Tor – wir würden an Deck herumbolzen wie früher auf dem, Schulhof(wo man es auch nicht durfte). Bis zum nächsten Auftritt von „Peer Gynt“.

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