DAS ULTIMATIVE PETER-GABRIEL-MIXTAPE

Zwölf Hits, Lieblinge und Obskuritäten. Von Arne Willander und Joachim Hentschel

1 Intruder

von „New Blood“ (2011)

Gabriels schaurigster Song wird in der Orchesterversion noch schauriger: die Geschichte vom Eindringling, der nachts ins Haus kommt, lautlos übers Parkett schleicht, in die Schubladen schaut und an den Kleidern im Schrank riecht, während die Besitzer wach liegen und seine Anwesenheit spüren. Man hört die Schritte auf dem Klavier, Streicher und Bläser steigern das Drama und den perversen Genuss, Gabriel wispert und röchelt. Besser nicht im Dunkeln hören.

2 San Jacinto

von „Deutsches Album“ (1982)

Eine der großen Balladen, auf dem vierten Album erschienen, dann in der deutschen Version. Horst Königstein, Autor und NDR-Redakteur, übersetzte die grimmigen Verse.Gabriel taucht auf dem Album ins Primitive und Animistische der Naturvölker: „San Jacinto“ spielt im Indianerland, doch die Natur ist schon korrumpiert. „Adlerfedern“, „schwitzende Büffel“, „Sitting Bulls Steakhouse“, dazu ein Chant. „Halt nur aus/ Weitergeh’n, weitergeh’n.“

3 Biko (extended version)

von „Sledgehammer“ (12″, 1986)

Ursprünglich 1980 erschienen, eine lange Fassung gab es später auf Maxi. Gabriel gelingt die unwahrscheinliche Verbindung von Kriegstrommeln, elektrischer Gitarre und dem triumphierenden Spiel von Dudelsäcken. Das Requiem für den südafrikanischen Bürgerrechtler Stephen Biko, der 1977 in Polizeigewahrsam ermordet wurde, ist eines der eindrucksvollsten Protestlieder überhaupt, das in einem wortlosen Hymnus aus „Oh-oh-ooooh“-Rufen mündet.

4 Here Comes The Flood

von „Peter Gabriel“ (1977)

Am ersten Solo-Album arbeitete Gabriel so lange, dass dieser Antwort-Song auf Randy Newmans „Louisiana 1927“ (1974) verspätet wirkte. Während in Newmans Lied die Stadtoberen adressiert werden, die durch Nichtstun die Armen ertrinken lassen, ist die Flut bei Gabriel eine gottgewollte Gewalt und Strafe für menschliche Hybris: „Lord, here comes the flood/ We’ll say goodbye to flesh and blood.“ Das Stück steigert sich zu einem pathetischen Orkan.

5 We Do What We’re Told

von „So“ (1986)

Die frappierende Vertonung eines Experiments des Psychologen Stanley Milgram, der 1961 einen „Lehrer“ anwies, einem „Schüler“ Stromschläge zu versetzen. Die Stärke wurde mit jedem Mal erhöht, 26 von 40 Personen schöpften die 450 Volt aus. Die Entmenschlichung begleitet Gabriel mit Pumporgel, Keyboard und den sich aufbauenden Drums, aus denen sich vor diffusen Schreien im Hintergrund der gespenstische Chorus „We do what we’re told/ Told to do“ schält.

6 Disturbed

von „Passion“ (1989)

Ein unterschätztes Meisterwerk: Den Soundtrack zu Martin Scorseses „Die letzte Versuchung Christi“ von 1988 baute Gabriel zu einem eigenständigen, vom Publikum unverstandenen Instrumental- und New-Age-Album aus, verlor sich fast in seiner Leidenschaft für Weltmusik, lud indische Geiger, senegalesische Trommler und türkische Flötisten ins Studio. „Dis-turbed“ klingt wie der Dance-Remix eines beduinischen Irrsinnstanzes, klappernd, warm und einlullend.

7 Time Table

von „Foxtrot“ (1972)

Der Ruhm von Genesis fußte zu Peter Gabriels Zeiten vor allem auf den komplexen, unfassbaren Epen. Natürlich zu Recht, aber man darf nicht vergessen, dass die Band auch ab und zu kleine, straighte Schönheiten zustande brachte – wie dieses glänzende Stück Chamber-Pop von 1972, in dem Gabriel von mittelalterlichen Rittern und Königen träumt und die Vergänglichkeit der Dinge als Zeichen dafür liest, wie lächerlich der menschliche Kleingeist ist. Mit Hackbrett-Solo.

8 The Chamber Of 32 Doors

von „The Lamb Lies Down…“ (74)

Von Gabriels amerikanischer Oper mit Genesis könnte man beinahe jeden Song auswählen – „The Chamber“ steht hier stellvertretend. Rael ist wieder in New York, hat die „Broadway Melody Of 1974“ gehört, ist den „Carpet Crawlers“ entkommen. „I need someone to believe in, someone to trust“, fleht er, Gitarre und Orgel spielen das Thema, hüpfen in die robuste Pop-Passage, münden im ergreifenden „Down here/ I’m so alone with my fear/ I’ve got to find my own way.“

9 Digging In The Dirt

Single (1992)

Der schludrige Groove von Gabriels bester Band aller Zeiten (Rhodes, Levin, Katché) ist noch ansteckender als bei „Sledgehammer“, den Slogan „This time you’ve gone too far“ quengelt er verzweifelt und vergrätzt wie nie. Das Charts-Comeback nach „So“ ging zwar schief – aber es bleibt einer seiner größten Single-Momente. Dass er im Video lebendig begraben wurde, zwischen Pilzen und verrottenden Erdbeeren, war keine leere Metapher: Damals war Gabriel in Therapie.

10 Family Snapshot

von „Peter Gabriel“ (1980)

Eine dramatische Ballade mit Spring-steen’scher Wucht und Aufrichtigkeit, allein am Piano begonnen, dann mit Glockenspiel und Saxofon gesteigert, bis zum großen Knall. Inspiriert von der Autobiografie Arthur Bremers, der 1972 auf den US-Präsidentschaftskandidaten George Wallace schoss, versetzt sich Gabriel in die Rolle des Mannes, der durch seine Tat unsterblich werden will. Und am Ende doch wieder der kleine Junge ist, der sich von den Eltern vernachlässigt fühlt.

11 Mercy Street

von „So“ (1986)

Das Meisterstück des Albums, der Lyrikerin Anne Sexton gewidmet, die 1974 Selbstmord beging. Zur feierlichen Friedlichkeit der Keyboards gesellen sich die Percussions, den Gesang stellt Gabriel auf intensivste Zartheit, die Melodie verfolgt einen noch lange. Zugleich gelang ihm mit „Mercy Street“ einer der besten Texte der Rockmusik, die den Wahnsinn der Dichterin und ihre obsessive Bindung an den Vater evoziert: „Looking for mercy/ In your daddy’s arms.“

12 Down To Earth

von „WALL-E (OST)“ (2008)

Der Trickfilm über den einsamen Müllroboter brachte Gabriel in Stimmung für einen seiner verspieltesten Spätwerk-Songs. Im Film hat die Menschheit die kaputte Erde verlassen, sich ins All geflüchtet – der Sänger rät zur Rückkehr und lässt in der schmissigen Wiedersehens-Euphorie gleich den Soweto Gospel Choir auflaufen, der herrlich „Down!“ singt. Bei den Oscars wollte Gabriel nicht singen, weil er die gekürzte Version doof fand (John Legend vertrat ihn).

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