Nachruf

Die leidende Jukebox: Zum Tod des Songwriters und Dichters David Berman

„The dead know what they're doing when they leave this world behind“, singt David Berman auf der Debütplatte der Purple Mountains. Das Album ist nun sein Vermächtnis. Ein Nachruf auf einen Poeten, der immer die richtigen Worte fand.

Das absurde Gefühl, am Leben zu sein war stärker als die Lebensmüdigkeit

ROLLING-STONE-Autor Jan Jekal über die letzte Begegnung mit David Berman

Als ich vor drei Monaten den Auftrag bekommen habe, David Berman für den ROLLINg STONE zu interviewen, kannte ich ihn gar nicht. Zwar war mir der Name seiner alten Band, Silver Jews, ein Begriff, aber gehört hatte ich die nie. Deren letztes Album war 2008 erschienen, als ich fünfzehn war, zu der Zeit hatte ich mich ausschließlich mit den Red Hot Chili Peppers beschäftigt.

Jedenfalls kündigte dieser Berman nun ein neues Projekt an und würde nach über einem Jahrzehnt wieder neue Musik veröffentlichen. Daher das Interview. Ich machte mich mit dem neuen Album vertraut, Bermans raue Stimme raunte mir Zeilen wie diese entgegen: “Lately, I tend to make strangers wherever I go.” Und diese: “If no one’s fond of fucking me/ Maybe no one’s fucking fond of me/ Yeah, maybe I’m the only one for me.” Und diese: “And the end of all wanting/ Is all I’ve been wanting/ And that’s just the way that I feel.”

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„Du bist der erste Journalist, mit dem ich seit elf Jahren spreche“

Ich rief bei Berman an, wie verabredet; er ging nicht ran. Ich probierte es bei seiner Plattenfirma. Eine nette Frau meldete sich, sie bat mich, kurz zu warten. Ich hörte Geräusche in der Ferne. Dann war David dran, seine raue Stimme raunte nun durch meinen Telefonhörer. Er wohnte, wie ich erfuhr, direkt über seinem Label. Sie war kurz die Treppe hochgegangen und hatte ihn ins Büro geholt.

“Du bist der erste Journalist, mit dem ich seit elf Jahren spreche”, sagte er. Dann erzählte er von dem Zusammenbruch seiner Ehe, von seiner nicht behandelbaren Depression, von Drogenproblemen und Suizidgedanken, auch von überzogenen Kreditkarten und davon, dass er keine Lust habe, mit dem neuen Album auf Tour zu gehen, aber so verdiene man heute eben Geld, Platten kaufe ja niemand mehr.

Es hört sich deprimierend an, so aufgelistet, aber das war es nicht, in der Situation. Wie in seinen Texten überlagerte lakonischer Witz die Traurigkeit, zumindest ein bisschen, und die Empfindsamkeit für das absurde Gefühl, am Leben zu sein war stärker als die Lebensmüdigkeit.

So erzählte Berman zum Beispiel, wie er sich eines Morgens vor vier oder fünf Jahren eine Akustikgitarre genommen habe, nachdem er jahrelang gar keine Musik gemacht hatte, und wie er dann mit der Gitarre in seinem Schlafzimmer gesessen, einen Akkord gegriffen und sachte die Saiten angeschlagen habe, wie das Holz der Gitarre gegen seinen Oberkörper vibriert sei, wie der Klang durch das Zimmer geschwungen und von den Wänden widergehallt sei, und wie er diesen einen Akkord dann immer wieder gespielt habe, immer wieder, immer wieder, immer wieder.

An diesem Tag, erzählte er, habe er beschlossen, neue Lieder zu schreiben, ein neues Album zu machen. Dieses Album, “Purple Mountains”, ist vor vier Wochen erschienen. Es ist sein Abschiedsgruß.

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