Essays von David Foster Wallace: Der Sterne Tennisbälle

Alle veröffentlichten Essays von David Foster Wallace gibt es erstmals in einem Band - viele davon zum ersten Mal auf Deutsch. Sie sind ein Schatz der hintersinnigen Gedankenverdichtung und furchtlosen Wortakrobatik.

Vergessen Sie mal für einen Moment, dass David Foster Wallace einer der bedeutendsten, innovativsten amerikanischen Romanciers und Erzähler der letzten 50 Jahre ist. Blenden Sie auch aus, dass er mit „Unendlicher Spaß“ wohl den wichtigsten postmodernen Roman geschrieben und damit auch noch seinen Helden Thomas Pynchon ausgestochen hat. Und atmen Sie jetzt tief durch: Als Autor von Romanen und vor allem Erzählungen mag Foster Wallace eine Granate gewesen sein – doch seine Essays sind noch viel besser.

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Lange Zeit waren auf Deutsch nur wenige dieser Glanzstücke der Gedankenverdichtung verfügbar, darunter immerhin die schräge Kreuzfahrt-Reflexion „Schrecklich amüsant, aber in Zukunft ohne mich“ (wenn Sie eine Kreuzfahrt planen, lesen sie diesen urkomischen Reisebericht lieber vorher!) und „Am Beispiel des Hummers“ (nach dessen Lesegenuss Sie nie mehr Hunger auf Meerestiere haben werden, garantiert).

David Foster Wallace sprengt jeden Rahmen

In „Der Spaß an der Sache“, benannt nach einer glänzenden Abhandlung über die Wirrnisse des Schreibens, sind nun erstmals alle wichtigen und in den USA veröffentlichten Essays des Autors in einem Sammelband erschienen, fast alle neu übersetzt von Ulrich Blumenbach. Foster Wallace hatte für viele der wichtigsten Zeitschriften seines Landes geschrieben. Manche seiner Artikel kommen wie großangelegte Reportagen daher. Sie entern aber regelmäßig die Metaebene, auch weil die Bedingungen für ihre Entstehung stets mitgeliefert werden.

Wenn Foster Wallace etwa für den amerikanischen ROLLING STONE den republikanischen Senator John McCain im Kampf um seine Präsidentschaftskandidatur begleitet, dann schreibt er zunächst seitenlang darüber, wie er mit einem leicht verängstigten „Elektronikredakteur“ darüber debattieren muss, in welcher Form und Länge und ob überhaupt der Essay im Blatt erscheinen soll. Das Ende vom Lied ist meistens, dass seine Texte gekürzt werden oder eben, wie in diesem Fall, für Internetnutzer als PDF verfügbar gemacht werden. Also ungelesen bleiben.

Viele Postillen zeigten sich dann auch regelmäßig überfordert mit Foster Wallace‘ Wust an Beobachtungen und Seiteneinschüben, die zunächst den Eindruck machen, als lenkten sie von der eigentlichen Sache ab.

Schließlich beleuchten die oft jeden Rahmen sprengenden Essays aber ganz beiläufig die Komplexität der Gegenstände, die der Autor mit scharfem Verstand umkreist. Zum Beispiel dass es geradezu kafkaesk wird, wenn es darum geht, amerikanischen Literaturstudenten zu erklären, wie Kafkas Humor funktioniert. Oder wenn Foster Wallace erklärt, warum Roger Federer im Grunde kein Sportler mehr ist, sondern ein Art Messias, der jeden seiner Zuschauer spielend in religiöse Ekstase versetzen kann.

Essays sind das perfekte literarische Genre für DFW

Überhaupt Tennis: Gleich mehrere Essays widmete der Vielschreiber, der drei Jahre vor seinem Tod literarisch verstummte, seiner großen Leidenschaft, die ja auch in „Unendlicher Spaß“ eine (überbordende) Rolle spielt. Minutiös entblättert er die stocksteife Tenniskultur und erweitert das Spiel zu einer großen Metapher für unser Leben. „Wir sind nur der Sterne Tennisbälle, aufgespielt, gewechselt, wie es ihnen paßt“, wie es in einem Motto eines Stücks von John Webster heißt.

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Um zu verstehen, wie diese natürlich an Montaigne, Benjamin und Mailer geschulten Essays funktionieren: Wallace hätte im selben Atemzug nun ganz sicherlich Stephen Frys wunderbare Dumas-Variation umrissen, er hätte sich naserümpfend über Frys Einsatz als britische Maigret-Karikatur in „Gosford Park“ geäußert und wäre wohl danach zu einer Abhandlung über den Revenge-Filme übergegangen. Die Essays von DFW (Markenzeichen, Gütesiegel, mürrisch-minimalistisches Kürzel) sind eine ereignisreiche Zumutung. Sie haben kein festes Fundament, weil sie aus der Sicht eines Staunenden geschrieben wurden, ganz ohne ironische Schlagseite.

Wenn Foster Wallace sich in „Der große rote Sohn“ auf einer Porno-Messe umschaut, dann geht es ihm eben nicht darum, die schillernde Multimillionen-Dollar-Branche lächerlich zu machen oder sich gar wie ein Kriegsreporter in den Krieg um geschundene Körper und aufsehenerregende Cumshots zu werfen. Im Unterschied zu jungen, vorwiegend weiblichen Nachwuchsjournalisten, die gerne von ihren Auftraggebern zu solchen Veranstaltungen geschickt werden, um nassforsch und angekikert darüber zu berichten, enthüllt der Autor hier fast nüchtern die Widersprüche einer Parallelwelt, die in dieser Form nur in den Staaten existieren kann und die mehr mit Disneyland als mit einem Bordell gemeinsam hat.

In der Falle der Vergnügungssucht

Der versierte Popkultur-Kenner und Bildungsbürger, der über die Folgen von „Terminator 2“ für das Popcorn-Kino ebenso philosophiert wie über Wittgensteins Argument der Unmöglichkeit von Privatsprachen, stellt sich in seinen blitzgescheiten Essays dabei nie auf die Seite der distanzierten Intellektuellen. Stattdessen ist er mittendrin, statt nur dabei. Er will sich genauso vergnügen wie alle anderen, kann es aber nicht. Die Befriedigung fällt flach, wenn der Geist nicht ruhen kann.

In der Tradition dieser schönen literarischen Gattung, die stets alle paar Jahrzehnte auf neue Art von der Unmöglichkeit spricht, „Nein“ zu sagen, ohne sich umzubringen, gibt der zaudernde David Foster Wallace viel von sich preis, ohne je aufdringlich privat zu werden (über Depressionen, die ihn fast ein Leben lang plagten, gibt es kaum ein Wort zu lesen – und doch schwingt die Macht dieser schwarzen Sonne am Horizont immer mit; Überforderung durch Bullshit, durch den Zwang zum Amüsement endet im Blackout, legt Foster Wallace nah – aber die Versuchung, sich diesem biomaschinellen Eskapismus auszusetzen, ist eben doch viel zu verlockend). Sein Job besteht dabei vor allem darin, die eigenen Vorurteile zu überprüfen.

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Ähnlich wie später David Sieveking in seiner Dokumentation „David Wants To Fly“ stellt Foster Wallace in dem Essay „David Lynch bewahrt kühlen Kopf“ seine eigene Faszination für den Regisseur in Frage, als er die Dreharbeiten am Set von „Lost Highway“ beobachtet und dabei unterschwellig sowohl die Methode Lynch seziert (zu der es beispielsweise gehört, dass er als einziger am Set einen Aschenbecher bei sich hat und andere zu Höchtstleistungen antreibt, damit sie endlich wieder quarzen können) als auch die faszinierende Entwicklung eines sinn- und ziellosen Spielfilms ohne Aussicht auf Erfolg ganz nebenbei als Widerspruch zur Hollywood-Industrie erklärt, welche die Unterhaltung zur moralischen Verpflichtung, zur Verwirklichung des amerikanischen „Pursuit Of Happiness“ gemacht hat.

Die Kunst von David Foster Wallace ist das endlos hinausgezögerte „Nebenbei“. Im Zeichen aufquellender Fußnoten: Alles, was man sich fragen könnte, aber nie zu fragen gewagt hat. In seinen oft alle Spielarten des Absurden durchbuchstabierenden Essays hat der manische Worterfinder dieses Prinzip zu einer erstaunlichen Meisterschaft geführt.

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