Diese Filme von Ingmar Bergman muss man gesehen haben

Mit Filmen wie „Das siebente Siegel“, „Persona“ und „Fanny und Alexander“ schrieb Ingmar Bergman Filmgeschichte. Am 14. Juli wäre der schwedische Regisseur 100 Jahre alt geworden. Eine Auswahl seiner denkwürdigsten Filme.

Ingmar Bergman gehörte zu den produktivsten Regisseuren in der Geschichte des Kinos. In fast 60 Jahren schrieb und inszenierte der Schwede insgesamt 60 Filme. Auch wenn er damit Roger Corman quantitativ ganz gewiss nicht das Wasser reichen kann, dürfte er – was die Relevanz und Gültigkeit seiner Werke angeht – eine Insel für sich im Ozean der Filmkunst sein.

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Viele Titel seines beeindruckenden Gesamtwerks (zu dem sich noch 170 Theaterstücke gesellen) sind sogar Kinoanfängern ein Begriff, so etwa „Das siebente Siegel“, „Szenen einer Ehe“ oder „Fanny und Alexander“. Der Regisseur, der seine Arbeiten für das Kino und das Fernsehen dem eigenen Wirken am Theater immer untergeordnet hatte, inspirierte eine ganze Generation von jungen Filmemachern, sich mit komplexer Figurenzeichnung und psychologischen Stoffen auseinanderzusetzen.

Erst als Woody Allen in seiner Jugend zum ersten Mal „Die Zeit mit Monika“ (1953) sah, keimte in ihm der Wunsch, selbst hinter der Kamera zu stehen. Vielleicht auch, weil es hier für das puritanische amerikanische Publikum zum ersten Mal so etwas wie Nacktheit zu sehen gab. Doch noch viel entblößter als die Leiber waren bei Bergman stets die Seelen seiner Figuren. Dazu gehörte, dass der Regisseur seine Figuren stets in den Kriegsgraben der Gefühle schickte. Sie alle schockieren einander mit entsetzlicher Ehrlichkeit und Worten von unerschütterlicher Kraft. Dafür benötigt man die richtigen Schauspieler(innen). Bergman hatte ein sagenhaftes Händchen dafür, sie ausfindig zu machen.

 Ingmar Bergman wurde am 14. Juli 1918 in Uppsala (Schweden) geboren
Ingmar Bergman wurde am 14. Juli 1918 in Uppsala (Schweden) geboren

Nicht erst nach seinem Tod im Jahr 2007 richtete sich allerdings der Vorwurf an seine Filme, dass sie häufig zu theatralisch (Bergman drehte oft mit wenig Personal und sehr häufig mit den gleichen Mitarbeitern vor und hinter der Kamera) und trotz experimenteller Bilder abstumpfend pessimistisch, in der Wiederholung existenzialistischer Themen gar ermüdend seien.

Ingmar Bergman (neu) zu entdecken ist deshalb eine kleine Herausforderung. Aber sie lohnt sich schon deshalb, weil kein anderer Autorenfilmer das Medium so klug und ästhetisch anmutig zur Bekämpfung der eigenen Dämonen verwendete und dabei zeitlos gültige Wahrheiten über Liebe, Zweifel, Untreue, Erziehung, seelische Erschütterungen, den Kampf mit Autoritäten und vor allem den Glauben (nicht nur an Gott) in die Welt setzte. Ein Ingmar-Bergman-Film ist immer noch unverwechselbar, egal um welchen es sich handelt.

Ingmar Bergman: Mit diesem Film sollte man starten

Wilde Erdbeeren (1957)

Natürlich ist es kaum möglich, einen bestimmten Film aus dem Œuvre Bergmans herauszunehmen, um ihn quasi als den typischsten und gelungensten auszustellen. Dafür sind seine Werke viel zu komplex und und zu sehr aneinander gebunden. Manche seiner Filme kommentieren sich gegenseitig oder fungieren als Triptychon (z.B. „Wie in einem Spiegel“ (1961), „Licht im Winter“ (1962) und „Das Schweigen“ (1963)).

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Doch „Wilde Erdbeeren“ ist sicherlich Ingmar Bergmans zugänglichster, vielleicht auch sein poetischster Film. Hier finden sich als Teil einer psychologischen, tagtraumähnlichen Reise einige seiner Schlüsselmotive in ihrer reinsten Form. „Smultronstället“, wie der Film im Original heißt, erzählt von Isak Borg, einem emeritierten Professor, der durch halb Schweden fährt, um für seine akademischen Dienste zum Promotionsjubiläum einen Ehrentitel zu erhalten.

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Nur Stunden vor der Fahrt, die er mit seiner Schwiegertochter Marianne bestreiten wird, hat Borg einen Albtraum, in dem er seinen eigenen Tod voraussieht. Mit zahlreichen Rückblenden und im Stile einer introspektiven Odyssee konfrontiert Bergman seine Hauptfigur mit den Folgen seines verbitterten, nicht gelebten Lebens. Ernüchternd ist der Besuch seiner buchstäblich steinalten Mutter, erquickend die Begegnung mit einem jungen Tramper-Pärchen. Der expressionistische Traum, der Borg dazu verleitet, über sein Handeln in der Vergangenheit und vor allem auch seine nicht ganz einfache Kindheit nachzudenken, schrieb Filmgeschichte und wirkt auch heute noch nahezu perfekt inszeniert.

Szene aus „Wilde Erdbeeren“: Isak Borg bekommt den Spiegel vorgehalten
Szene aus „Wilde Erdbeeren“: Isak Borg bekommt den Spiegel vorgehalten

Die von Strindberg inspirierte Story bekommt auch dadurch eine besondere Note verliehen, dass der Darsteller des zweifelnden Professors von Schwedens Kinolegende Victor Sjöström gespielt wurde. Er zog sich nach dem Dreh ins Privatleben zurück, teilte aber mehrfach mit, wie strapaziös die Arbeit mit dem damals noch unerfahrenen Bergman für ihn war. Doch die Arbeit hatte sich für alle Seiten gelohnt. „Wilde Erdbeeren“ ist ein zeitloses, humanistisches Kunstwerk.

Ingmar Bergman: Diese Filme sollte man kennen

Für alle, die mit der kühlen Ernsthaftigkeit der Filme von Ingmar Bergman nicht warm werden wollen, mag vielleicht „Das Lächeln einer Sommernacht“ (1955) der ideale Start sein. Die sanft-alberne Komödie im Stile Shakespeares und Schnitzlers nimmt den Theaterbesuch mehrerer Paare zum Anlass, Verwechslungen und Missverständnisse zu produzieren, die schließlich neue Liebschaften möglich werden lassen. Der Film wurde 1956 bei den Filmfestspielen in Cannes ausgezeichnet und begründete die Kino-Karriere Bergmans.

Obwohl Ingmar Bergman vor allem für seine tiefgründigen Dramen bekannt war, feierte er erste Erfolge mit einer heiter-nachdenklichen Komödie: „Das Lächeln einer Sommernacht“
Obwohl Ingmar Bergman vor allem für seine tiefgründigen Dramen bekannt war, feierte er erste Erfolge mit einer heiter-nachdenklichen Komödie: „Das Lächeln einer Sommernacht“

Natürlich bleibt „Das siebente Siegel“ (1957) bis zum heutigen Tag der berühmteste Film von Ingmar Bergman. Die karg ausgestattete Meditation über Tod und (Un-)Glaube spielt im Mittelalter und markierte den Beginn der ausgesprochen produktiven Zusammenarbeit zwischen dem Regisseur und seinem Hauptdarsteller Max von Sydow – der hier als zweifelnder Ritter dem Tod höchstpersönlich begegnet. Auch „Das siebente Siegel“ funktioniert als eine von Analogien geprägte magische Reise, in der die Angst vor der Pest möglicherweise die Furcht vor der Ende der 50er-Jahre drohenden Atombombe spiegelte. „Die Jungfrauenquelle“ (1960) erweiterte dieses Mittelalter-Szenario um eine Rache-Sühne-Geschichte, die später von Wes Craven und Quentin Tarantino als Inspiration dankbar aufgenommen wurde.

Der Tod verführt zu einem Schachspiel: Szene aus „Das siebente Siegel“
Der Tod verführt zu einem Schachspiel: Szene aus „Das siebente Siegel“

Im Anschluss an die von Ibsen und abermals Strindberg geprägten Endzeit-Dramen empfiehlt sich das Dreigespann um „Wie in einem Spiegel“ (1961), „Licht im Winter“ (1963) und „Das Schweigen“ (1963). Die drei Werke wurden aufgrund ihrer ähnlichen Thematik (tiefe Zweifel, Krankheit, Angst vor dem Tod) und miteinander korrespondierenden Symbolen von Kritikern als „Glaubenstrilogie“ bezeichnet. Tatsächlich sind sie aber aufgrund ihrer dichten Inszenierung eher eine „Kammerspieltrilogie“.

Während „Wie in einem Spiegel“ einen typischen Tag aus dem Leben einer psychisch schwer kranken Frau schildert, zeigt „Licht im Winter“, wie ein Pastor mit dem Suizid eines seiner Gemeindemitglieder umgeht. Der Film schließt mit einer erstaunlichen Neudeutung der Passion Christi.

Bergmans Figuren zweifeln an sich und der Welt. Sie haben aber auch die Fähigkeit, diese Zweifel in Worte zu fassen. Szene aus „Licht im Winter“
Bergmans Figuren zweifeln an sich und der Welt. Sie haben aber auch die Fähigkeit, diese Zweifel in Worte zu fassen. Szene aus „Licht im Winter“

„Das Schweigen“ hingegen funktioniert mehr wie ein kafkaesker Albtraum: Die lungenkranke Ester (gespielt von Ingrid Thulin, die in zahlreichen Bergman-Filmen dabei war) ihre nymphomanische Schwester Anna und deren neun Jahre alter Sohn Johan stranden auf Reisen in einer fremden, unheilvollen Stadt, in der sie sich mit anderen Menschen sprachlich kaum verständigen können. In ihrem unheimlich anmutenden Hotel warten zudem Liliputaner auf sie, während davor bereits Panzer durch die Straßen fahren. Wegen einer Masturbationsszene wurde „Das Schweigen“ zum Skandalfilm hochgejazzt – den in Deutschland allein deshalb 17 Millionen Menschen sehen wollten.

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Zahlen, wie sie heute für ähnlich anspruchsvolle Stoffe nicht mehr denkbar wären. Doch Ingmar Bergmans Psychodramen wurden vor allem in den 60ern und 70ern zu Ereignissen, die sich vor allem das gebildete bürgerliche Publikum kaum entgehen lassen wollte. Einer der Höhepunkte in Bergmans Schaffen wurde 1966 „Persona“. Erzählt wird von der Krankenschwester Alma, die sich in einem Haus am Meer um die plötzlich nach einer Aufführung verstummte Schauspielerin Elisabet Vogler kümmern soll. Doch recht schnell kehren sich die Vorzeichen um, gerät die Begenung der auf den ersten Blick ungleichen Frauen zu einem gewaltsamen Psychoduell.

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Bergmans Antwort auf den in den 60ern populärer werdenden Kunst- und Experimentalfilm entstand nach einer auskurierten Lungenentzündung des Regisseurs und ist einer der grundlegenden Inspirationen für David Lynch. „Inland Empire“, Lynchs radikale surrealistische Phantasmagorie, kann als eine einzige große Verbeugung vor „Persona“ verstanden werden. Mit Liv Ullman, mit der Ingmar Bergman auch zusammenlebte, und Bibi Andresson lässt der Film zwei schonungslose Schauspielerinnen aufeinander los. Die Kamera von Sven Nykvist umkreist jede Muskelzuckung ihrer pulsierenden Gesichter.

„Persona“ ist auch eine geschickte Metapher auf die Methodik und die Gewalt des Filmemachens
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Keineswegs mit einem Erfolg hatte Bergman gerechnet, als er für das schwedische Fernsehen eine Art Miniserie über ein sich auseinander lebendes, sich schließlich mit gewaltigen Folgen für sie und ihre Familie und Freunde trennendes Paar drehte. „Szenen einer Ehe“ (1973) entwickelte sich aber zum Straßenfeger und konfrontierte auch das Publikum seichter Beziehungsdramen mit jenen messerscharfen Bergman-Dialogen, in denen zwei Verlorene für ihre gramgebeugten und häufig von Selbstekel und Verunsicherung angetriebenen Gefühle erschreckende Worte finden.

Ein Horrorfilm eigener Gattung, der in der von Bergman fürs Kino auf drei Stunden gekürzten Fassung viel von seiner Bedrohlichkeit und Komplexität einbüßt. Mit „Sarabande“ erhielt „Szenen einer Ehe“ 2003 noch eine Art subtilen TV-Epilog. Der letzte Film, den Bergman inszenierte.

Auch wenn Ingmar Bergman ein Frauen-Regisseur war, ein feministischer Regisseur war er nie. Das wird in „Szenen einer Ehe“ wohl am deutlichsten
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Ähnliches gilt auch für „Fanny und Alexander“ (1982). Nach „Wilde Erdbeeren“ erneut eine autobiographische Auseinandersetzung mit der Kindheit des Regisseurs als Sohn eines lutherischen Pastors und in der ursprünglichen Fassung 5,5 Stunden lang. Bergman empfahl seinen Zuschauern einst, den Film unbedingt am Stück zu schauen (mit einer stärkenden Mittagspause dazwischen), denn nur so würde er Wirkung erzielen.

Das Porträt der großbürgerlichen Familie Ekdal um die beiden Kinder Fanny und Alexander, die unter den erbarmungslosen Erziehungsmethoden ihres Bischof-Stiefvaters leiden, ist die letzte große Auseinandersetzung Bergmans mit dem Kampf um Glaube und Gewissheit. Zugleich eine berückende, manchmal gar zärtliche Studie über die Kindheit.

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Lesen Sie auf der nächsten Seite: Geheimtipps – diese Bergman-Filme sind für echte Kenner. Außerdem verlosen wir einen Band des Ingmar Bergman Archivs. 

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