Dazed and Confused

Live sah ich Jimmy Page das erste Mal in Ipswich, am 2. Oktober 1966. Er stand links auf der großen Bühne des Gaumont Theatre. Rechts stand Jeff Beck. Dazwischen klappte Yardbirds-Sänger Keith Reif den Mund auf und zu wie ein Goldfisch. Was er sang, versank größtenteils im Klanggewitter der beiden Lead-Gitarristen. Inmitten der Kugelblitze und Feedback-Tornados, die zwischen Page und Beck hin- und herzischten, waren die bescheidenen Popsongs der Yardbirds nur noch ansatzweise erkennbar. So etwas hatte ich, damals 14 Jahre alt, noch nie gehört. Wahrscheinlich niemand in ganz England. Jimi Hendrix war erst vor einer Woche in London gelandet, und bis zu Creams erstem Album sollte es auch noch zwei Monate dauern. Zwar hatten die Jazzer schon bewiesen, dass man mit einem Stück Sachen machen konnte, die viel interessanter waren als das Stück selbst – John Coltrane, der „My Favourite Things“ mit hypnotischen Soli pulverisierte -, aber im Pop war das damals noch etwas völlig Neues. Die andere Band des Abends, die Rolling Stones – immerhin mit Brian Jones an Sitar und Marimba – wirkte zahm neben der radikalen Reformation des Popsongs, die Page & Co. zelebrierten.

41 Jahre später jubeln die Fans auf YouTube über Led Zeppelins Live-Version von „For Your Life“ beim Konzert in der Londoner 02 Arena: „Wahnsinn, genau wie damals auf dem Album!“ Jimmy Pages größtes Verdienst besteht heute offenbar darin, so zu klingen wie 1976. Jason Bonham wird von Foreigner (ausgerechnet!) ausgeliehen, um seinen Vater Schlag für wuchtigen Schlag zu kopieren. Robert Plant vergibt man, dass er die höchsten Noten von „Stairway To Heaven“ nicht mehr schafft. John Paul Jones achtet darauf, dass er nicht noch gesichtsloser wirkt als vor vier Jahrzehnten. Und das ganze „spooky karaoke“ (wie Plant seine ’98er-Gigs mit Page bezeichnete) resultiert in dem, was heutzutage schon als Meilenstein gefeiert wird: Wenn eine Gruppe angejahrter Typen – selbst Bonham Junior ist älter als Led Zeppelin waren, als 1980 der Vorhang fiel eine von viel Jüngeren geschaffene Musik halbwegs glaubwürdig nachspielt, ohne dass es für sie und für uns allzu peinlich wird (die „New York Times“ nennt das dann „gediegen“, „Der Spiegel“ gar eine Rückkehr ins „goldene Zeitalter des Rock“).

Und was ist mit dem kreativen Impuls? Wo bleibt der? Und was mit der Neugier der Zuhörer, die früher mal erinnert ihr euch? – neue Musik hören wollten? Hier scheint magisches Denken im Spiel zu sein: Lasst die „Rockgötter“ und „Gitarrenhelden“ wieder zusammenkommen und jenen Sound hinbasteln, den wir als Teenager so toll fanden, und sie geben uns unsere Jugend zurück – für die Dauer eines Konzerts oder einer DVD.

Wenn das Londoner Konzert ein einmaliger Gruß an Ahmet Ertegun im Sufi-Himmel war (oder wo immer erleuchtete türkisch-amerikanische Produzenten nach ihrem Tod hinkommen), dann mag man das hinnehmen. So eine Nostalgieveranstaltung brauchte nicht einmal kommentiert zu werden, wäre das kommerzielle Interesse an einer Led Zeppelin-Reunion (egal wie lang) nicht so groß. Kein Zufall, dass das „Mothership“-Set und „The Song Remains The Same“ in diversen Neuformaten ausgerechnet jetzt in die Läden kommen. Vielleicht beflügelt der „kreative Impuls“ heute eher die Marketingleute. Vielleicht würde Ertegun, auch er ein cleverer Geschäftsmann, das ganz richtig finden.

Page beschäftigt sich ohnehin seit Jahren vor allem mit der Verwaltung und Überarbeitung der gesammelten ZepWerke; musikalisch hat man schon lange nichts wirklich Neues mehr von ihm gehört. Und Plant, der sich mit seiner Band Strange Sensation durch seine 60er-Jahre-Plattensammlung singt oder mit der Pop-Bluegrass-Sängerin Alison Krauss Everly-Brothers-Songs zum Besten gibt, kann konsequenterweise auch gleich noch den jungen Robert Plant covern – auch wenn sein Herz daran weniger hängt als zum Beispiel an seinen Ausflügen in die Weltmusik. Doch da dem selbstverliebten West-Pop das Authentische so unwillkommen ist wie das Neue – und auch das i Zeppelin-Publikum trotz „Kashmir“ an asiatischer oder i arabischer Musik ebenso geringes Interesse gezeigt hat; wie am Blues von Son House, Bukka White oder anderen frühen Zep-Inspiratoren, muss dergleichen unter „private Leidenschaften“ abgelegt werden. Lasst uns also die Ärmel hochkrempeln und noch einmal, ganz professionell, „Dazed and Confused“ werden. „There are some things we had to do. This is one ofthem.“ fürwahr, eine privilegierte Art, Kompromisse zu schließen.

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