Der amerikanische Patient

Neun Jahre haben wir auf ein Album mit neuen Songs von Handy Newman warten müssen. Es hat sich gelohnt. Auf "Harps And Angels" widmet sich der Arztsohn wieder seinem liebsten Thema: Amerika. Und stellt eine erschreckende Diagnose.

Wartest du auch auf IHN?“ fragt eine maschinengebräunte End-30erin im Miniröckchen. Denn alle warten an diesem Nachmittag auf ihn. Die Frauen und Fotografen auf der Straße vor dem Hamburger „Hyatt“-Hotel, der Liftboy, die Zimmermädchen und Kellner, die Heiligen und Sünder, die Verlierer und Gewinner, die Huren und Spieler, die Tramps und die Seelen der Verstorbenen. Ein großer schwarzer Mann fragt an der Rezeption: „Ist er schon da?“ „Noch nicht“, antwortet die Hotelangestellte fast entschuldigend. Alle sehnen den Moment herbei, in dem die schweren Räder der Limousinen über den sonnenbeschienenen Asphalt im Hinterhof rollen, der Tross vor dem Eingang hält, eine der Hintertüren sich öffnet, ein schwerer Biker-Stiefel darunter hervorlugt, dann ein zweiter und schließlich der Bewahrer des American Dream höchstpersönlich aus dem Fond klettert. Der Mann, den selbst US-Präsidentschaftskandidat Barack Obama anspricht, als wäre es sein Vorgesetzter: Mister Bruuuuce Springsteen! Ganz genau.

Ein paar Stockwerke darüber in einer kleinen Suite sitzt ein älterer Herr schnaufend auf einem Bürostuhl. Er trägt Jeans, ein beiges Hemd und klobige Sneakers, wie sie Rentner in den US-Vorstädten gerne tragen, wenn sie ein Barbecue veranstalten oder ihr Auto waschen: Randy Newman. Er wird gerade abgeschminkt. Nicht, weil er jetzt unter die Schauspieler gegangen wäre, er kommt von einem Fototermin.

Um in eine Rolle zu schlüpfen, braucht Randy Newman immer noch kein Make-up. Da reicht ihm seine Stimme. Schleppend wie eine träge schwarze Schlange bewegt sie sich voran. Die Endsilben saufen ab, als wären sie aus Blei. Tumbe Südstaatler und impotente Neureiche hat er damit schon verkörpert, auch Triebtäter, Serienmörder, den Teufel, sogar Gott. Ja, wenn man dem hochstapelnden Erzähler seines Songs „My Life Is Good“ auf „Trouble In Paradise“ von 1983 glauben darf, wollte sogar Bruce Springsteen sich mal von ihm vertreten lassen. „Rand‘, I’m tired“, soll er gejammert haben. „Howwouldyou like to be the Boss for a while?“

Eine Szene, die an diesem Nachmittag im Juni 2008 eine zusätzliche slapstickartige Wendung erfährt. Denn Newman wird seit dem Mittagessen von einem schweren Schluckauf geplagt. Einem abwechselnd hicksenden und aufstoßenden 64-Jährigen in eher wackliger Konstitution mit dicker Brille würde man die Zeile „Tramps like us, baby, we were born to run“ wohl eher nicht abnehmen. Zumal, wenn mit schwerfälligem southern drawl vorgetragen. Die Springsteen-Songs vom „runaway American dream“ setzen einen vor Kraft strotzenden, jungen, gesunden Körper voraus. Denn mit dem amerikanischen Traum ist es wie mit einer Lebensversicherung – man kauft ihn nur, wenn der Vertreter einem glaubwürdig erscheint.

Und so richtig Vertrauen erweckend war Newman in seinen Songs ja eigentlich nie. Vielleicht kann man sagen: Wenn Springsteen die Stimme des amerikanischen Traums ist, ist Newman sein Schluckauf. Als antikes Vorbild könnte der griechische Tragödiendichter Aristophanes aus Piatons „Gastmahl“ dienen, der auf die pathosbeladene Rede des Pausanias (der antiken Entsprechung zu Springsteen) mit einem Schluckauf reagiert, als wolle er ihm das allzu Menschliche ironisierend entgegenhalten.

„Danke, dass Sie mich so hübsch gemacht haben“, bedankt Newman sich bei der Maskenbildnerin. „Sie sind übrigens selbst auch sehr hübsch. Undentschuldigen Sie den Schluckauf. Es ist wahrscheinlich die Aufregung. Bei ersten Dates kriege ich das immer.“

Dann senkt er den Kopf und wendet sich zu mir. „Mein Bruder sagt immer, ich esse zu schnell.“

Und sein Bruder, Alan heißt er, muss es wissen. Er war Arzt, bevor er vor dem amerikanischen Gesundheitssystem kapitulierte und in den vorzeitigen Ruhestand ging. Von ihm hat Randy Newman auch die Inspiration zu „Losing You“, einen der bewegendsten Songs auf seinem neuen Album „Harps And Angels“. „Alan erzählte mir von einem älteren jüdischen Ehepaar. Man hatte ihnen gesagt, ihr Sohn würde bald sterben „, berichtet Newman. „Sie hatten die Konzentrationslager überlebt, ihre Familien verloren – doch über die Jahrzehnte gelernt, damit zu leben. Aber mit dem Verlust ihres Sohnes wurden sie nicht mehr fertig. ,Wir werden nicht mehr lange genug leben, um darüber hinwegzukommen‘, haben sie zu meinem Bruder gesagt.“

Eine für Newmans Verhältnisse ungewohnt rührselige Geschichte. Aber er kennt eine Menge solcher Dramen. Bereits sein mittlerweile verstorbener Vater Irving, ebenfalls Arzt, gab, wenn er abends nach Hause kam, oft wenig zimperliche private Tragödien aus der Praxis zum Besten. „Schon als Kind habe ich manchmal Sachen gehört, die allzu sehr von dieser Welt waren“, erinnert sich Newman. „Etwa von diesem Kerl, der bei Fox gearbeitet hat. Den hab ich jeden Tag gesehen, weil ich dort auch eine Zeitlang gejobbt habe. Mein Vater erzählte öfter mal: ,Der hat seine Frau wieder halb tot geprügelt.‘ Ach so, hm, ja, wirklich? Und ich musste dem am nächsten Morgen wieder,Hallo‘ sagen (lacht). Von da an habe ich geglaubt — und gewusst —, dass man niemals wissen kann, was hinter verschlossenen Türen vorgeht. Auch nicht, wenn man glaubt, die Leute zu kennen.“

Eine Lektion fürs Leben, die wohl so manchen Abgrund in Newmans Songs erklärt. Oft habe er sich damals gefragt, was für Biografien wohl hinter diesen Krankheitsgeschichten ständen, erinnert sich Newman. „Was sind das für Leute?“ Das fragt man sich bei seinen Songs auch immer wieder. Wer spricht da eigentlich? Was für eine Geschichte steckt dahinter? Und egal wie sehr man glaubt, diese Charaktere zu kennen, man darf ihnen nicht trauen.

Bei der Vorstellung, all die Typen aus seinen Liedern könnten mal im Wartezimmer seines Vaters gesessen haben, lacht Newman lauthals auf. „Kann gut sein. Zumindest die Art, wie ich Leute beobachte, hat ganz sicher dort ihren Ursprung.“ Er schaut versonnen, bis ihn ein Schluckauf aus der Denkerpose

schüttelt. „Und natürlich in unseren gemeinsamen Abenden vorm Fernseher. Wir schauten jeden Abend von sieben bis zehn. Meine Mutter, mein Bruder und ich. Wir saßen im Wohnzimmer und kommentierten, was zu sehen war. Und immer wieder die Frage: Was sind das für Leute? Manchmal waren auch Patienten meines Vaters auf dem Bildschirm zu sehen. Über die wussten wir natürlich schon einiges (lacht).“

Doktor Newman war nämlich ein angesehener Arzt in Hollywood und zählte viele Prominente zu seinen Patienten. Jerry Lewis zum Beispiel. Und so wie Irving Newman die Protagonisten der Traumfabrik ins Sprechzimmer bat, untersuchte sein Sohn später den amerikanischen Traum selbst auf pathologische Verformungen. Nun muss er auf „Harps And Angels“ feststellen, dass es mit seinem Patienten langsam zu Ende geht.

Living in the richest country in the world — wouldn’t you think you’d have a better life?“ fragt Newman im neuen Song „Piece Of The Pie“ und konstatiert, dass alles den Bach runtergeht, die Wirtschaft, das Gesundheitssystem, die Moral. „Die Tatsache, dass du richtig hart arbeiten und alles tun kannst, was das Land von dir verlangt, und trotzdem nicht weiterkommst, ist ein bisschen überraschend, findest du nicht auch?“, kommentiert Newman.

„Man kann sich nur schwer daran gewöhnen, einerseits immer besser werden zu müssen und andererseits nichts davon zu haben.“

Da funktioniert das alte aus Tellerwäscherträumen und Millionärsmemoiren bekannte amerikanische Glücksversprechen nicht mehr. „Das Modell Amerika hat versagt“, schüttelt Newman den Kopf.

„Niemand will heute mehr sein wie wir. Das war mal anders. Meine erste Frau kam aus Düsseldorf, und ich war in den Sechzigern und Siebzigern häufiger dort. Da fragten mich immer alle über amerikanische Geschäftsmodelle aus. Ich meine, ich war da sicherlich der falsche Ansprechpartner (lacht). Aber das zeigt doch: Es gab ein Interesse daran, den USA nachzueifern.“ Roswitha, so heißt seine erste Frau, sei in den Sechzigern in die USA ausgewandert, weil ihr Europa so unzivilisiert vorgekommen sei, berichtet Newman mit gespielter Verwunderung. „Sie hat die Disziplinlosigkeit und Unhöflichkeit hier nicht mehr ausgehalten. Dass die Leute sich nicht gesittet in einer Reihe aufstellen, wenn sie in einen Bus steigen und solche Sachen. Sie schwärmte schon damals von einer ,stillen Eleganz‘. Ich habe mich darüber oft lustiggemacht. .Hast du gehört? Der Typ im Fernsehen hat gerade was von stiller Eleganz erzählt.‘ Ja, was ist den so schlecht an stiller Eleganz?‘, hat sie dann gefragt. Nun ja, jetzt, fast ein Vierteljahrhundert nach unserer Scheidung, lebt sie tatsächlich ein Leben in stiller Eleganz… von meinem Geld!“ Er lacht, ein bisschen bitter vielleicht, bevor der Schluckauf sich wieder meldet. „Oh, man…“

Der Blick auf die USA habe sich in den letzten Jahren sehr verändert, meint Newman. „Der ganze Bluff ist aufgeflogen. Wenn man mal in die Geschichtsbücher schaut, haben die Amerikaner ja eigentlich nichts wirklich gut gemacht. Außer in der Musik und vereinzelt in der Wissenschaft. Mich würde es nicht wundern, wenn sie bald irgendwelche russischen Archive öffnen und feststellen, dass es den Kalten Krieg überhaupt nicht gegeben hat! (lacht) Ein Freund hatte mal eine Social-Studies-Klasse, und in einem Geschichtstest gab es die Frage: Richtig oder falsch: Das russische Volk ist böse? Die Antwort war natürlich: Falsch. Seine Anführer sind böse.“

Diese Anekdote inspirierte Newman zu einer eigenartigen Apologie aufsein Heimatland: „I’d like to say a few words/ In defense of our country/ Whose people aren’t bad/ Nor are they mean/ Now the leaders we have/ While they’re the worst that we’ve had/ Are hardly the worst/ This poor world has seen.“

„Ich bin mir sicher, dies ist die schlimmste Regierung, die wir je hatten“, meint Newman. „Das ist ja offensichtlich — es sei denn, das alles ist eine Verschwörung der Nachrichtenagenturen, und die haben das alles nur erfunden. Wir sind gar nicht im Irak! (lacht) Als Kind war es für mich unvorstellbar, dass unser Land ein anderes Land angreifen könnte, wenn dieses nicht zuvor uns attackiert hat. Ich meine, gut, es gab da kleine Ausnahmen wie den spanisch-amerikanischen Krieg und Grenada. Aber egal, wie sehr wir die Regierung manchmal gehasst haben mögen, dachten wir doch immer, wir seien die Guten.“

elbst in Newmans teuflischsten Satiren schwingt dieser Glaube immer mit. Wenn er zum Beispiel in einem seiner berühmtesten Stücke, dem Titelsong seines Albums „Sail Away“ von 1972, zu verführerischen Hollywood-Streichern die Werbetrommel für die Sklaverei rührt und ein paar Afrikaner beeiret, um sie auf sein Schiff ins gelobte Land zu verfrachten („You’ll just sing about Jesus and drink wine all day/ It’s great to be an American“) erscheint das, so Greil Marcus in „Mystery Train“, „wie eine Vision des Himmels, die auf die Hölle projiziert wird“. Was der Song eigentlich beschreibt, ist genau die Utopie, die wir den amerikanischen Traum nennen. „Während sie über den Ozean segeln, lieben der Sklaventreiber und seine Sklaven einander.“ (Marcus) Es ist das Wissen um die (amerikanische) Geschichte, das einem hier übel aufstößt, Gift und Galle ins amerikanische Bewusstsein spritzt.

In den USA versucht man ein solches Aufstoßen schamhaft zu unterdrücken. Auch heute noch. Als der Text von „A Few Words In Defense Of Our Country“ auf der Meinungsseite der „New York Times“ erschien, unterschlug (oder sollte man sagen: verdrängte?) man genau die Strophe, in der der Erzähler seine schon etwas abgestoßene patriotische Maske fallen lässt, weil ihm die Galle hochkommt. Zuvor hat Newman zu „Columbia, Gern Of The Sea“ noch übersteigert weihevoll von Angst und Terror gesungen, die sein Heimatland bedrohen, und sogar den Präsidenten zitiert. Dann steigt er scheinbar beiläufig in die nächste Strophe ein: „You know k kind of pisses me off that this Supreme Court is going to outlive me.“ Bei dem Gedanken, dass die von George W. Bush eingesetzten obersten Richter (auf Lebenszeit) länger im Amt sein werden als er auf Erden, fährt er aus der politisch korrekten Haut. Plötzlich ist der Song weit mehr als nur eine launige Satire. „A couple of young Italians and a brother on the court now, too“, singt er. Doch die Italiener seien die verkniffensten, die sich auf dieser Welt finden ließen und der afro-amerikanische brother? „Well, Pluto’s not a planet anymore either.“ „Das bin ich, der da redet“, ruft Newmanund hebt die Hand. „Sie werden mich überleben, sie sind jünger als ich. Und das pisst mich an! Denn es wird nie wieder eine Supreme-Court-Entscheidung geben, hinter der ich stehen kann.“ Er beginnt über strittige Entscheidungen zur Abtreibung zu referieren, hält aber nach wenigen Sätzen inne. „Ich mag es eigentlich nicht, wenn Showbiz-Leute autoritär über Politik reden. Andererseits, warum nicht? Man darf ihnen nur nicht alles glauben. Ich würde ja nie behaupten, dass ich immer richtig liege. Nur unsere Regierung behauptet immerfort, dass sie in allem recht hat. Und das ist gefährlich. Das ist ja auch das Schlimme an Religionen – jede von ihnen glaubt zu wissen, wo’s langgeht.“

Gott hat trotzdem seinen festen Platz in Newmans Amerika. Auch wenn er selbst nicht an ihn glaubt.

„Gott ist für viele Leute eine große Sache“, meint er, „ich nehme das ernst. Und ,God‘ ist einer meiner besseren Songs.“ In dem angesprochenen Stück vom „Sail Away“-Album porträtiert er Gott als Zyniker, der sich die menschliche Komödie aus der Entfernung anschaut, so wie einst Familie Newman das Fernsehprogramm.

Im Titelsong von „Harps And Angels“ spielt Gott wieder eine tragende Rolle. Doch die Zeiten haben sich auch für ihn geändert. Er kann es sich nicht länger leisten, auf dem Sofa zu sitzen und dem Welttheater genüsslich zuzuschauen. Er ist nun der Boss eines großen globalen Unternehmens und muss eine fehlerhafte Transaktion eines Mitarbeiters aufklären. „Lucky foryou this ain’t your time“, erklärt er einem auf dem Bürgersteig zusammengebrochenen Mann, der schon die Engel singen hörte. „Someone very dear to me has made another clerical error/And we’re here on a bit of a wild goose chase.“

Gott und Amerika, gut und schön, aber eigentlich interessiere ihn doch vor allem der einzelne einfache Mensch, betont Newman, „und die Auswirkungen, die bestimmte Ideologien, Religion und Politik auf ihn haben. Meist sind die Leute, über die ich singe, etwas engstirniger als mein Publikum. Aber daraus abzuleiten, ich sei zynisch, finde ich falsch. Ich glaube zum Beispiel überhaupt nicht, dass die Welt ein beschissener Ort ist. Ich glaube nur nicht, dass sie besonders fair ist — Gott sei Dank nicht! (lacht) Also, mir geht’s gut.“

Ja, insgeheim scheint Newman Amerika zu lieben. Am Ende von „A Few Words In Defense Of Our Country“ singt er mit Trauerstimme vom Ende des US-Imperiums und schickt ihm ein verzagtes „Good-bye“ hinterher. Es scheint fast so, als verabschiede er sich von einem guten Freund.

Einem guten Freund allerdings, dem er selbstverständlich niemals so recht über den Weg getraut hat. Als Jude habe er sich in der amerikanischen Gesellschaft immer als Außenseiter gefühlt, so Newman. Eine Rolle, die ihm wohl schon ziemlich früh in seinem Leben bewusst wurde. Als sein Vater während des Zweiten Weltkriegs für die US-Army in Europa kämpfte, war er mit seiner Mutter zu deren Familie nach New Orleans gezogen. „Ein Südstaatler zu sein, ist wohl so ziemlich das Gegenteil davon, ein Jude zu sein“, lacht Newman. Trotzdem hätten seine Verwandten dort alles dafür getan, dazuzugehören, erinnert er sich in seinem Song“Dixie Flyer“ aut „Land Oj Dreums“, „Drinkin‘ rye whiskey from a flask in the back seat/ Tryin to do like the Gentiles do/ Christ, they wanted to be Gentiles, too.“

„Land Of Dreams“ war Ende der Achtziger das erste Album, auf dem Newman seine Maske für einige Songs abnahm, um über sich selbst zu singen. „Immer jemand anders sein zu müssen, schränkt einen ziemlich ein“, meint er. „Man muss immer überlegen, wie der Typ in dem Song sprechen würde, ob er zu bestimmten Einsichten fähig ist oder ob die über seinen Horizont hinausgehen. Da habe ich gedacht, ich schreibe einfach mal über jemanden, den ich gut kenne —und liebe. Mich! Komisch, dass vor mir noch niemand auf diese Idee gekommen ist…“

So erfahren wir auf „Land Of Dreams“ etwa, dass Newmans Kindheit – auch wenn er sich heute nicht als Amerikaner sieht – durchaus eine amerikanische war. Auf dem Cover sieht man den kleinen Randy im Cowboy-Outfit, auf der Rückseite mit Baseball-Schläger. Obwohl er eher ein Werfer war als ein Schlagmann. Das offenbart er uns auf „Harps And Angels“. In „Potholes“ erzählt er, wie er an einem Nachmittag nach schlimmer Misserfolgsserie als Pitcher den Ball an einen Mitspieler gab und weinend das Feld verließ.

Auf seinen Vater muss diese Geschichte enormen Eindruck gemacht haben, denn als er Randys zweite Frau Gretchen kennenlernte, hatte er nichts Eiligeres zu tun, als ihr von diesem rabenschwarzen Basebaütag im Leben seines Sohnes zu berichten. „Ich verstehe das bis heute nicht“, schüttelt Newman den Kopf. „Gleich beim ersten Besuch. Und als sie sich das nächste Mal sahen, erzählte er ihr genau dieselbe Geschichte noch einmal. Ich denke, er wollte sie fortjagen, weil ich noch mit einer anderen Frau verheiratet war. Das ist die wohlwollendste Interpretation dieser Angelegenheit. Mein Bruder meint ja, mein Vater hätte immer noch den Ehrgeiz gehabt, der Bessere von uns beiden zu sein. Und Baseball war sein Spiel. Ich war in Football und Basketball viel besser, aber er hat mich zum Baseball gedrängt.“

Womöglich sind traumatische Erfahrungen wie diese dafür verantwortlich, dass Newman sich der amerikanischen Identität lieber in seinen Songs nähert, als sie für sich selbst anzunehmen. ,Ja, die meisten meiner Song-Charaktere sind in der Tat echte Amerikaner“, stimmt er zu. „So komme ich näher ran an die Dinge, die mich interessieren. Aber ich will mich hier jetzt nicht selbst analysieren. Ich will nicht, dass die Leute die ganze Zeit denken: ein Jude, ein Jude -jüdisch -jetzt versucht er wieder so zu sein wie wir. Er macht auf Südstaatler. Ich glaube aber, da ist was dran. Ich meine, die Studiobosse im alten Hollywood waren Juden. Und sie machten die amerikanischsten Filme, die man sich vorstellen kan n. In der Generation wollte man sich assimilieren. Niemand wollte Jude sein. Für Leute in meinem Alter gilt das auch noch.“

Fast die gesamte Familie Newman verdiente in der Traumfabrik ihr Geld. Seine Onkel komponierten Filmmusik. Allen voran Alfred, der insgesamt 45 Mal für den Oscar nominiert war und ihn neun Mal bekam. Auch die 2oth-Century-Fox-Fanfare stammt von ihm. „Als Kind habe ich es geliebt, AI im Studio zu besuchen“, schwärmt Newman, „und, hey, vielleicht ist das der Grund, warum ich mich heute so wohl fühle, wenn ich mit einem Orchester zusammenarbeiten darf. Das ist einfach der Versuch, meine Kindheit zu wiederholen.“ Ein Schluckauf reißt ihn aus der Nostalgie. „Gut, wenn ich früher jeden Tag auf einen Stuhl gefesselt und dann umgeboxt worden wäre, würde ich mich vielleicht heute auch danach sehnen.“ Schwer vorzustellen allerdings, dass man daraus eine Karriere hätte machen können. Newman, dessen Arrangements von Anfang an eine starke filmische Komponente hatten, die die Handlungen seiner Songs kommentierten, ist mittlerweile selbst in Hollywood gut im Geschäft, hat nach 15 erfolglosen Nominierungen 2002 endlich seinen ersten Oscar für den besten Song bekommen und schreibt hauptsächlich für Disney. „Die Filmsongs gehören sicher nicht zu meinen besten“, meint er. „Das ist halt Unterhaltung für Kinder. Aber diese Arbeit hilft mir, auch mal Sachen zu schreiben, die mir sonst nicht gelingen würden. Lieder über Liebe, Freundschaft und solche Dinge. Ich darf mich nicht davor fürchten, echte Gefühle zu zeigen. Das Problem ist wohl, dass ich mein Leben lang jeden meiner Songs zuerst meinem besten Freund Lenny („W-iron/(er, ehemals Chef von Warner/Reprise) vorgespielt habe. Hätte ich ihm ein Liebeslied vorspielen sollen? Wir waren nicht die gefühligen Typen. Daher habe ich dann eine andere Richtung eingeschlagen. Wenn Lenny ein Mädchen gewesen wäre… flacht) Ach, wäre er doch nur ein Mädchen gewesen! „

Natürlich gibt es auch bei Newman Liebeslieder. Etwa „Feels Like Home“ auf dem neuenAlbum. Ein Song, der erstmals in Newmans Musical „Faust“ auftauchte. Dort richtet Martha (gesungen von Bonnie Raitt) ihre Liebeserklärung allerdings an den Teufel: „Feels like I’m all the way back where I belong.“ Ohne eine luzide Verschiebung geht es nicht bei Newman. Auch nicht wenn er sich über die liebsten Themen des jungen Springsteen – cars and girh — hermacht. Die Autos sind bei ihm lange Limousinen, die Mädchen noch nicht volljährig und die Männer alt und verzweifelt. So wie in „Only A Girl“ auf „Harps And Angels“, in dem der Erzähler einem Freund, der anscheinend auch mit dem US-Sexualstrafrecht vertraut ist, von seiner kapriziösen minderjährigen Freundin erzählt. Natürlich geht es hier nicht um die Schilderung intimer Zweisamkeit, sondern um den exhibitionistischen Akt des Darüber-Redens. Doch dummerweise stellt sich der ältliche Liebhaber am Ende die eine fatale Frage, auf die wir alle die Antwort wissen. „Why would someone beautiful as she love someone old as me?“ Er weiß natürlich auch, warum. Doch um die Beziehung genießen zu können, muss er diese Wahrheit verdrängen. „Maybe it’s the money/Jeez, I never thought ofthat/ What a horrible thought.“ Da ist er aufgewacht aus seinem Traum von der blinden-und wie Newman einwirft: auch tauben – Liebe.

Sein Leben lang hat er hart gearbeitet, um sein Stück zu bekommen vom amerikanischen Kuchen. Und dann muss er sich von so einer verwöhnten Göre, die ihn sogar noch mit dem Gesetz in Konflikt bringen könnte, an der Nase herumführen lassen. Sagen Sie selbst: Das Leben ist doch nicht fair, oder? Randy Newman wird weiterhin wach bleiben müssen, während Amerika träumt. Und sei es nur, weil sein Schluckauf ihn nicht einschlafen lässt.

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