Der bessere Beethoven

Zwei Cracker-Platten, am selben Tag veröffentlicht, bei verschiedenen Firmen? David Lowery bleibt ein Schelm, aber er kann ja auch ernst

So richtig haben wir ihm nie verziehen, dass er sein schrullig-schrammeliges Indie-Kollektiv Camper Van Beethoven Anfang der 90er Jahre gegen eine ironiebegabte, aber wesentlich mainstreamkompatiblere Band eingetauscht hat. Mit keinem der größtenteils schon ganz tollen Cracker-Alben machte er es uns wirklich glücklich, Kür-Projekte wie das „0′ Cracker Where Art Thou?“-Bluegrass-Album mit der Gruppe Leftover Salmon erschienen ebenso als Ablenkungsmanöver wie die nachträglich veröffentlichte Camper-Version von Fleetwood Macs „Tusk“. Dabei ist David Lowery durchaus ein einsichtiger Mann, der sich schon seit Jahren um unserer Freundschaft bemüht: „Schon auf „Golden Age“ haben wir mit Cracker doch angefangen, das gleiche Territorium wie zuvor Camper Van Beethoven zu erkunden“, behauptet er und verspricht: „So nahe wie jetzt waren sich beide Bands noch nie.“

Tatsächlich: Obwohl Lowery inzwischen Camper Van Beethoven konzert- und plattentauglich wiederbelebt hat und Veranstaltern nahegelegt wird, die zwei Bands doch gleich im Doppelpack zu buchen, würden wir so verschrobene Songs wie „I’m Glad She Ain’t Never Coming Back“ oder „Minotaur“ vom aktuellen Cracker-Album „Greenland“ mit etwas Nachsicht auch als Camper Van Beethoven-Nummern durchgehen lassen. Was auch damit zu tun haben könnte, dass sich unter den 20 Musikern, die auf der Cracker-Platte zu hören sind, zahlreiche Weggefährten aus Camper-Zeiten tummeln.

Während David Lowery also mit seiner Vergangenheit bei den Rock-Eklektizisten aus Santa Cruz offenbar Frieden geschlossen hat, herrscht weiterhin Krieg zwischen ihm und der früheren Plattenfirma Virgin.

Schon auf „Countrysides“ hat er mit seinen früheren Major-Verbündeten abgerechnet („Ain’t Gonna Suck Itself“). Weil Virgin aber nun ein Retrospektiv-Album mit Cracker-Hits in Arbeit hatte, die Band aber nicht am Entscheidungsprozess beteiligen wollte, haben Lowery, Johnny Hickman und Co. ihre größten Erfolge einfach selbst noch mal neu eingespielt: Ihr Album „Greatest Hits Redux“ erschien in den USA am selben Tag wie Virgins „Get On With It: The Best Of Cracker“. „Erst habe ich gedacht, ich bin zu alt für solche Albernheiten, doch dann habe ich mich gefragt: Was hätte Andy Kaufman getan? Und je länger ich darüber nachgedacht habe, umso besser fand ich die Idee.“ Auf „Greenland“ geht Lowery mit seinem anarchischen Humor jedoch sparsamer um. Die Produktion der Platte wurde vom Tod Bryan Harveys (House Of Freaks, Gutterball) überschattet. Harvey war mit seiner Frau und seinen beiden kleinen Töchtern am Neujahrstag in seinem Haus in Richmond ermordet worden. „Wir waren mit Bryans Familie eng befreundet, und was da passiert ist, hat uns alle geschockt und uns dazu gebracht, darüber nachzudenken, was wir eigentlich tun“, sagt Lowery.

Und so erzählen fast alle Songs auf dem Album davon, wie Geschichten, die eigentlich bereits traurig zu Ende gegangen sind, traurig weitergehen. Und wenn David Lowerys Helden mal ausnahmsweise nicht am Trinken sind, dann suhlen sie sich im eigenen Selbstmitleid oder fallen nachts, von Schrotgewehren gewärmt, in einen unruhigen Schlaf.

Hinter der Überdrüssigkeit, die das Album prägt, glauben viele Kommentatoren Ernest Hemingways Einfluss erkennen zu können. „Das mag schon sein“, sagt Lowery, „ich habe aber zu wenig von Hemingway gelesen, um das wirklich selbst beurteilen zu können.“

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates