Der Dichter und der Ferkelhändler

Ignaz Hennetmairs "„versiegeltes Tagebuch 1972" gibt Einblick in die skurrile Welt des THOMAS BERNHARD- eine deftige österreichische Lebenskomödie

Jahrestage wie Preisverleihungen waren ihm verhasst, die Feier seines Geburtstages hatte er allen Menschen untersagt Nun gibt es heuer mal wieder einen Bernhardjahrestag: Vor 70 Jahren wurde der weitbeste Schriftsteller, der Übertreibungskünstler und Beschimpfungsvirtuose, der Weltverneiner und philosophische Clown, geboren. Im Februar 1989 starb er unfassbarerweise und hinterließ ein schwarzes Loch, gegen das die Bernhardverehrer seitdem anleben müssen, ihm entgegen in verzweifelter Nachfolge.

Spurensuchen im Salzkammergut, wo Bernhard drei Bauernhäuser gekauft und renoviert hatte, erweisen sich als Reisen in eine weniger finstere als vielmehr heiter-skurrile Seelenlandschaft, in der einem immer wieder die Bernhardgasthäuser, die Bernhardortsnamen und die Bernhardfiguren begegnen.

Die schönste und kernigste dieser Gestalten ist der „Realitätenvermittler“ Karl Ignaz Hennetmair, ein ehemaliger Ferkelhändler aus Ohlsdorf, der Bernhard die Liegenschaften vermittelte. Hennetmair diente Bernhard zwischen 1965 und 1975 als eine Art Sekretär, ein besserer Knecht, zu dem er sich selbst berufen hatte. Hennetmair war aber auch der wohl beste Freund, den der Dichter je hatte. Nachdem die beiden Dickschädel sich einer Bernhardschen Attacke wegen entzweit hatten, schrieb der weltberühmte Schriftsteller dem Realitätenhändler ein kleines Denkmal: In der Erzählung Ja“ (1978) preist er den Moritz als Vermittler der Realität

Nach Bernhards Tod hatte Hennetmair – der eine Versöhnung ausgeschlug, weil er glaubte, Bernhard hätte ihn andernfalls verachtet – bereits über gespielte Aufbahrungsrituale und makabre Sterbeszenen berichtet, die der Thomas im Hennetmairschen Haus aufführte. Erst jetzt aber publiziert das 82-jährige Faktotum sein „versiegeltes Tagebuch 1972“: „Ein Jahr mit Thomas Bernhard“ (Residenz Verlag, 68 Mark). Ein Vermächtnis, das dem akademischen Bernhardforscher weniger nützlich sein wird als dem Amateur-Bernhardianer: Harald Schmidt etwa zitierte ausgiebig aus der sensationellen Chronik und lud Hennetmair in die Show ein; immer wieder ist der Schinken überall vergriffen. Die hier dokumentierte Lebenskomödie zweier Witzbolde ist tatsächlich noch komischer als die notorischen Stücke Bernhards.

Im Jahr 1972 hat er bereits alle wichtigen Preise für deutschsprachige Literatur gewonnen, bemüht sich aber entgegen seinen Bekundungen um immer neue Ehrungen (die er dann vorgeblich nicht annehmen will), gern auch um Geld. Hennetmair bestärkt, assistiert, quirlt Beef Tartar, holt die Post, spielt „17 und 4“ mit Bernhard und schaut mit ihm „Stars in der Manege“, Neujahrsskispringen und „Tagesschau“ im deutschen Fernsehen. Das alte Fernsehgerät stinkt. Auch beim Skandal um das Stück „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ bei den Salzburger Festspielen hat Hennetmair eine hübsche Nebenrolle, indem er den Emissär gibt und mit Gaus Peymanns Schauspieltruppe den Kontakt hält. Dazwischen gibt’s Kutteln, werden in Wirtshäusern alte Teller, Truhen und Sessel billig erstanden, schneidet Bernhard sich mit einer Kreissäge ins Bein, sitzt man abends in Omis guter Stube, werden allerlei Possen und Farcen inszeniert, warten sie auf Post von Dr. Unseld.

Schließlich furzen die Freunde gemütlich im Austragstüberl.

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